Im Einsatz: Rettungskräfte der Bergwacht und Feuerwehrleute an der Falkensteiner Höhle. Foto: dpa

Fast einen ganzen Tag lang ist ein 26-Jähriger mit seinem Guide im Bauch der Schwäbischen Alb eingeschlossen gewesen, umgeben von Wasser. Die Rettung glückt. Aber es bleiben Fragen.

Grabenstetten - Markus Metzger gibt Entwarnung: Um Punkt elf Uhr reckt der Rettungsdienstleiter des Reutlinger Roten Kreuz den Daumen nach oben. Gerade hat er den 26-Jährigen untersucht, der zusammen mit seinem 38 Jahre alten Guide seit dem frühen Sonntagabend in der Falkensteiner Höhle bei Grabenstetten eingeschlossen gewesen war. Dem jungen Mann geht es gut, ebenso seinem Begleiter. Die 95 Einsatzkräfte der Höhlenrettung Baden-Württemberg, der Bergwacht, Rettungsdienste, Feuerwehr und Polizei können aufatmen. Es ist vorbei, und es ist gut gegangen. Der Höhlentaucher, der den 26-Jährigen keine halbe Stunde zuvor zusammen mit einem Kollegen geborgen hat, holt sich erst mal eine Cola.

Der junge Mann dagegen wird in ein Krankenhaus gebracht, eine Vorsichtsmaßnahme. Dort kann er sich auch duschen und umziehen. Der Guide war schon früher am Morgen geborgen worden. Ihn hatten die Helfer als Ersten aus der Höhle befreit, weil er über Taucherfahrung verfügte. Er hat auf eine Stippvisite im Klinikum verzichtet.

Wenn er sich von der unbequemen Höhlennacht auf der Schwäbischen Alb erholt hat, wird er sich aber einige noch unbequemere Fragen gefallen lassen müssen. Warum er seinen Gast am Nachmittag in die Höhle geführt hat, obwohl es seit zwei Tagen geregnet hatte und starke Schauer angekündigt waren, das ist nur eine. Warum er nicht einmal eine Rettungsdecke mitgenommen hat auf den gefährlichen Ausflug in die acht Grad kalte Höhle, von einer Tauchausrüstung ganz zu schweigen, das ist eine weitere.

Sozialminister und Bürgermeister kritisieren das Verhalten

„Das war ein bissle leichtsinnig und nicht gut durchdacht“, sagt Sozialminister Manfred Lucha (Grüne), der zufällig in der Nähe war und im dunkelblauen Anzug die 500 Meter vom Parkplatz durch den Wald zum Höhleneingang hochgestapft ist. Der Grabenstettener Bürgermeister ist da direkter. „Eine Dummheit“ sei die Tour gewesen, sagt Roland Deh (parteilos), der Schultes des knapp zwei Kilometer oberhalb der Höhle gelegenen Ortes. „Das weiß jeder, dass die Höhle bei Regen schnell vollläuft.“

Erst im April vorigen Jahres hat sein Gemeinderat beschlossen, die Begehungslizenzen nur noch an Touranbieter und Privatleute zu vergeben, die über eine entsprechende Versicherung verfügen. Damit soll sicher gestellt sein, dass die Gemeinde nicht auf den Kosten für die Rettung sitzen bleibt. Sollte der Einschluss auf ein Fehlverhalten des Guides zurückzuführen sein, werde es erst einmal seine letzte Tour zur Falkensteiner Höhle gewesen sein, kündigt Deh an. Dann werde ihm die Lizenz entzogen.

Michael Hottinger, der Einsatzleiter der Höhlenrettung Baden-Württemberg, attestiert den Geretteten ein gerüttelt Maß an Leichtsinn. „Die beiden waren nicht gut ausgestattet“, sagt er. Wer „bei diesem Wetter in die Höhle geht, dem muss klar sein, es kann etwas passieren“ – und müsse entsprechend gewappnet sein, zumindest mit Tauchausrüstung und Rettungsdecken. Der Reutlinger Landrat Thomas Reumann (parteilos) ist erst einmal froh, dass alle den Einsatz unbeschadet überstanden haben. Über Konsequenzen will er noch nicht sprechen. „Wir müssen erst einmal mit den beiden reden.“

Eine andere Gruppe dreht rechtzeitig um

Fest steht: Die zwei sind am Sonntag gegen Mittag bekleidet mit Neoprenanzügen, ausgestattet nur mit Rettungsringen und Taschenlampen, in die Höhle gegangen. „Die beiden sind uns entgegengekommen“, sagt Jochen Hinz, Inhaber und Geschäftsführer von Cojote Outdoor Events in Köngen (Kreis Esslingen), der ebenfalls Höhlentouren anbietet. Auch Hinz und seine Kollegen unternahmen mit Gästen eine Höhlentour, allerdings nur bis zum ersten Siphon – 480 Meter tief in der Höhle. Ein Siphon ist ein Gangteil einer wasserdurchflossenen Höhle, in dem die Höhlendecke unter der Wasseroberfläche verschwindet. Normalerweise ist das Wasser im ersten Siphon der Falkensteiner Höhle etwa brusthoch. Doch bei starkem Regen kann sich das schnell ändern.

Hinz und seine Gruppe sind deshalb umgedreht. Bei dieser Wetterlage sei es zu riskant gewesen, weiterzugehen, erklärt er. Vor der Höhle habe man gesehen, wie der Pegel steige und steige. Als die anderen am späten Nachmittag noch nicht wieder draußen waren, verständigte Hinz die Feuerwehr. War die Aktion des Kollegen leichtsinnig? Hinz will dazu nichts sagen, er kennt den 38-jährigen Touranbieter. „Ganz unerfahren“, das sagt er allerdings, „ist dieser Guide nicht.“

Er hätte es womöglich besser wissen müssen. Die erste Vertiefung in der Falkensteiner Höhle erreicht man nach 20 Metern. Normalerweise steht das Wasser am Eingang nur zehn bis 15 Zentimeter hoch, sagt Michael Hottinger. „Am Sonntagabend ist das Wasser rausgeschossen“, der Eingang war „komplett zu“. Normalerweise rauscht auch kein Bach mitsamt Wasserfall den Berg hinunter zum kleinen Parkplatz an der B 28, der an diesem Montagmorgen von zwei großen Zelten, von Einsatzfahrzeugen, Helfern und Medienvertretern belagert wird.

Tee und Müsliriegel zum Frühstück

Am Sonntagabend war der Siphon irgendwann dicht, die Strömung fatal – und der Rückweg damit versperrt. Guide und Gast mussten in der Reutlinger Halle in 650 Metern Tiefe ausharren. Acht Grad kalt ist es dort, die Luftfeuchtigkeit liegt bei 90 Prozent, es ist stockfinster und es ist laut: An einer Seite der Steinhalle schießt ein Wasserfall mit 80 Zentimetern Durchmesser herab. Die Höhlenretter brachten den Eingeschlossenen warme Decken und versorgten sie mit Proviant. Zum Frühstück gab es Tee und Müsliriegel.

Beide bekamen eine Tauchausrüstung angeschnallt und Bleigewichte, damit sie unter Wasser den Grund entlang die 25 bis 30 Meter durch den überfluteten Siphon zurück ins Freie schreiten können. Das ist kein Spaziergang, dafür braucht man Nerven – und Geduld. Die Sicht ist gleich Null, Orientierung gibt allein das Führungsseil. Anderthalb bis zwei Stunden dauert es, bis die 650 Meter nach draußen endlich bewältigt sind.

Notfalls hätte man die beiden an Seilen befestigt auch durch das Wasser nach außen ziehen können, falls Panikanfälle einen Tauchgang mit Pressluftflaschen unmöglich gemacht hätten, sagt Werner Gieswein, ein erfahrener Höhlentaucher. Der 57-Jährige war im Juni 2015 dabei, als ein 60-Jährige aus Bayreuth in der Höhle ausgerutscht ist und sich den Arm gebrochen hatte. Zehn Stunden dauerte es, bis sie den Verletzten auf einer Trage zurück ans Tageslicht bugsiert hatten. „Das war ein bisschen kitzlig.“

Es war die letzte Bergungsaktion in der Falkensteiner Höhle. Aber bei Weitem nicht die Einzige. 2003 ignorierten vier Studenten alle Warnungen erfahrener Höhlengeher und waren wegen eines einsetzenden Starkregen gefangen. 1964 mussten ebenfalls vier Studenten 66 Stunden lang in der finsteren Kälte im Bauch der Schwäbischen Alb ausharren, ehe sie endlich wieder ans Freie kamen. Gieswein wundert es fast schon ein bisschen, dass nicht mehr passiert. „Ich bin Höhlentaucher geworden, weil ich meine Ruhe wollte“, sagt Werner Gieswein. In der Falkensteiner Höhle taucht er nur noch bei Einsätzen. Dort ist ihm zu viel Trubel. Dutzende Menschen klettern, schwimmen und tauchen an Wochenenden durch Teile des Systems, der Stein wirkt abgegriffen und speckig. „Diese Höhle ist zu Tode getrampelt“, sagt Höhlenretter Hottinger. „Es ist eine Opferhöhle, weil dadurch andere Höhlen geschützt werden können.“