Sich austauschen und debattieren: Die Berliner Internetkonferenz Republica ist zur Massenbewegung geworden Foto: dpa

Kampf gegen die Überwachung und für ein freies Internet. Die Republica versucht, eine Gegenlobby zu Konzernen wie Facebook und den Geheimdiensten zu schaffen. Damit schützt sie auch die Verbraucher.

Kampf gegen die Überwachung und für ein freies Internet. Die Republica versucht, eine Gegenlobby zu Konzernen wie Facebook und den Geheimdiensten zu schaffen. Damit schützt sie auch die Verbraucher.

Stuttgart/Berlin. Auch das Landesmarketing ist da. An einer kleinen Bar auf dem ehemaligen Postgelände in Berlin-Kreuzberg erhält der Besucher ein Freigetränk, wenn er via Twitter eine Nachricht auf die Baden-Württemberg-Seite schickt. Bis am Ende des Tages ist die Bar fast geleert. Auch die eher kritischen Besucher der Republica sind offenbar bereit, mit ihren Daten zu zahlen. Als Bloggertreffen mit 700 Besuchern ging die Veranstaltung 2007 an den Start. Inzwischen ist sie die größte Konferenz zu Internetthemen und digitalem Leben in Europa. Zum Abschluss an diesem Donnerstag wird wohl die Rekordmarke von 6000 Besuchern fallen.

Die Trendscouts

Den Bloggern und Netzaktivisten folgen inzwischen Wirtschaft und Politik auf dem Fuß. Ob Start-up-Unternehmen oder Riesen wie Microsoft und Daimler: Sie spüren den Trends nach, die in den 350 Vorträgen zu Datenschutz, Verschlüsselungstechniken oder Liebe in Zeiten des Internets stecken könnten. Man will „den Puls fühlen“, wie oft zu hören ist. Das Kalkül: Wenn es neue Trends gibt, werden sie von jenen gesetzt, die mit dem Netz aufgewachsen sind und teils ihre Einkünfte daraus beziehen.

So überrascht es nicht, wie viele der Besucher in Jeans und Schlabberpulli sich auf Nachfrage als stille, aber aufmerksame Beobachter entpuppen. Da ist der Mann vom Zoll, der gerne seine Behörde modernisieren möchte. Zwei junge Männer hat die Bundeswehr auf Weiterbildung geschickt – „damit wir den Anschluss an das Zivile nicht verlieren“. Das baden-württembergische Wirtschaftsministerium macht kein Geheimnis aus seiner Mission: Man will Fachkräfte werben. Zu viele aus dem Südwesten sind in das deutsche Start-up-Mekka Berlin abgewandert, sagt Wirtschaftsminister Nils Schmid. „Wir müssen die Leute dort abholen, wo sie sind. Wir freuen uns über jeden Rückkehrer.“

Die Aktivisten

Die meisten Besucher kommen aber aus einem anderen Grund: Sie wollen, dass das Internet ein möglichst freier und gleicher Lebens- und Arbeitsraum bleibt. Oder, wie Mitgründer Markus Beckedahl es formuliert: „Wir glauben, dass man Wirtschaft nicht ohne Gesellschaft denken kann.“ Eine der Aktivisten ist Susanne Eiswirt.

Die 27-Jährige ging nach ihrem Studium nach Berlin, um sich „für die Bürger- und Freiheitsrechte“ einzusetzen, wie sie sagt. Inzwischen ist sie Presseverantwortliche der Konferenz und Mitglied im Verein Digitale Gesellschaft, der sich für Verbraucherschutz im Netz einsetzt. Sie und viele andere ihrer Generation seien politisch interessiert – „aber wir engagieren uns nicht mehr über die klassischen Parteien“.

Alle Parteien haben inzwischen Internetbeauftragte, doch die Politik erreicht die Masse der Internetznutzer noch nicht. „Viele Internetaktivisten fühlen sich von der Politik nicht ausreichend vertreten und ernst genommen, gerade nach Enthüllungen durch Edward Snowden. Die Problematik wurde heruntergespielt“, sagt Eiswirt. „Die Bürger werden im Stich gelassen.“

Doch die Leute achten mehr darauf, was mit den Daten geschieht, heißt es am Rande der Vorträge, und das stimmt viele kämpferisch. „Wir müssen das Netz wieder aus den Händen dieser kriminellen Geheimdienste entreißen“, fordert Beckedahl und spielt auf die Spähattacken der amerikanischen und britischen Geheimdienste an. „Es ist unser Netz, lasst es uns gemeinsam zurückerkämpfen.“

Der Staatsfeind

Auch deshalb wird eine Frau in einem ihrer seltenen Auftritte gefeiert, die Edward Snowden die Flucht vor den US-Behörden ermöglichte. Sarah Harrison, eine zierliche Frau mit energischer Stimme, hat für die Enthüllungsplattform Wikileaks den Whistleblower nach Hongkong und von da nach Moskau gebracht und ihm juristischen Beistand verschafft. Drei Monate blieb sie bei Snowden in Moskau, der bis Ende Juli temporäres Asyl genießt, danach flog sie nach Berlin. Auch Harrison ist gestrandet, denn bei einer Rückkehr in ihr Heimatland Großbritannien rechnet sie mit der Festnahme. Bereut hat sie ihre Hilfe nicht.

Natürlich könnte sie ein bequemeres, ein einfacheres Leben haben, aber sie will dieses. Sie möchte diese Welt verbessern, hat sie einmal gesagt. In welcher Welt sie leben möchte, fragt sie ein Zuhörer. Sie glaube an eine Welt, in der die Privatsphäre aller geschätzt, das Handeln der Mächtigen aber transparent sei, antwortet Harrison. „Jetzt haben wir Regierungen, die selbst alles privat halten und unser aller persönlichen Informationen sammeln.“

Momentan treibe sie die Sorge um Snowden um. Die Konferenzbesucher ruft sie auf, ihre Regierungen davon zu überzeugen, Snowden Asyl zu gewähren. „Persönlich glaube ich, dass die Regierungen sich nicht stark genug fühlen, um ihm Asyl zu gewähren“, sagt sie. Auch Deutschland sei wohl zu schwach, um sich gegen die USA zu stellen. Sie wünsche sich die Unterstützung weiterer europäischer Staaten. „Deutschland allein hat nicht die Macht.“

Der Lobbyist

Wer setzt sich ein für die Interessen der Verbraucher im Netz? Es gibt die Verbraucherzentralen, die Datenschutzbeauftragten. Und es gibt den Verein Digitale Gesellschaft und andere Nichtregierungsorganisationen, deren Namen die meisten noch nie gehört haben. Nur ganz wenige Netzaktivisten haben es geschafft, sich bei einer breiteren Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen. Republica-Mitgründer Beckedahl zum Beispiel. Oder Sascha Lobo, der schon mit seinem grell gefärbten Irokesenschnitt auffällt. Lobo liebt die Polemik, so auch auf der Konferenz, wo er vor knapp 3000 Leuten spricht. „Ihr habt versagt!“, ruft er ins Publikum. „Das Internet ist euch offensichtlich nichts wert. Ihr tut so, als sei euch Netzpolitik wichtig, ihr handelt aber nicht danach!“

Was Lobo meint: Wer verhindern will, dass es in Deutschland und Europa kein Zwei-Klassen-Internet gibt, wer beim Datenschutz Druck auf Google, Facebook & Co. aufbauen möchte, der muss auch dafür zahlen. „Wir haben alles, was sich andere Lobbyisten wünschen“, betont Lobo – „außer Geld.“

Lobo will das Engagement für mehr Bürgerrechte und Verbraucherschutz im Internet professionalisieren. Die Bürger würden sich an die Spähattacken der amerikanischen und britischen Geheimdienste gewöhnen. Er warnt vor einer „Weltüberwachung mittels Internet“ und geißelt die Arbeit des US-Geheimdienstes als „Kontrollwahn“ und „Sicherheitsesoterik“. Die Netzaktivisten müssten mehr Bündnisse eingehen und ihr Anliegen bei den Abgeordneten vor Ort klarmachen, fordert Lobo. „Ich fürchte, mittelfristig führt nichts an einem Marsch in die Institutionen vorbei.“ Bewahrheitet es sich, ist die Internetgemeinde in den Gemeinde- und Stadträten angekommen.

Hintergrund

+ Der Name Republica leitet sich aus dem Lateinischen ab. „Res publica“ heißt so viel wie „öffentliche Sache“ und bezeichnete in der Antike das Allgemeinwesen bzw. die Politik. Die dreitägige Konferenz beleuchtet bis diesen Donnerstag in 350 Vorträgen die Wechselwirkungen zwischen Internet und Gesellschaft.

+ Dieses Jahr sind die Freiheit im Netz nach den Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden und die Überwachung durch die amerikanischen und britischen Geheimdienste im Fokus. Weitere Themen sind Datenschutz und IT-Sicherheit, Start-up-Förderung sowie der Einfluss des Internets auf das alltägliche Leben.

+ Dass die Konferenz immer weitere Kreise zieht, zeigt auch eine etwas fragwürdige Veranstaltung einer finnischen Sicherheitsfirma. Nach einem Interview stimmte US-Star David Hasselhoff seinen Hit „Looking for Freedom“ an. (dag)