Psychische Probleme wirken sich auf die Lebensqualität und die körperliche Gesundheit von Kindern aus. Foto: dpa/Nicolas Armer

Depressionen, Ängste oder ADHS – laut einer Untersuchung der Krankenkasse AOK leiden immer mehr Jungen und Mädchen unter psychischen Erkrankungen. Was Experten dazu sagen:

Rems-Murr-Kreis - Der Anteil der Kinder und Jugendlichen, die unter psychischen Erkrankungen leiden, hat in den vergangenen Jahren zugenommen: Laut einer Erhebung der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) Baden-Württemberg war jeder fünfte Junge und jedes siebte Mädchen wegen einer psychischen Erkrankung in ambulanter oder stationärer Behandlung.

Im Rems-Murr-Kreis stieg der Anteil der Kinder und Jugendlichen mit einer entsprechenden Diagnose zwischen 2014 und 2018 im Schnitt um 3,0 Prozent pro Jahr. 2018 wurden 3944 Minderjährige im Kreis wegen einer psychischen Erkrankung behandelt, teilt die Krankenkasse mit. In Baden-Württemberg betrug der Anstieg im selben Zeitraum im Schnitt 2,3 Prozent pro Jahr.

Die Angebote für Psychotherapie sind knapp

Zwar beziehe sich die Auswertung nur auf die Versicherten der AOK, die Zahlen seien aber repräsentativ, da die Krankenkasse im Land mehr als 4,5 Millionen Menschen versichere und einen Marktanteil von mehr als 45 Prozent habe, erklärt eine Sprecherin. Kinder im Grundschulalter seien besonders häufig betroffen. „Psychische Störungen wie zum Beispiel Depressionen und Angststörungen gehören zu den häufigsten Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter“, wird Sabine Knapstein, Ärztin und Psychotherapeutin bei der AOK Baden-Württemberg, in der Mitteilung zitiert.

In der Tagesklinik und Institutsambulanz für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie in Winnenden habe es angesichts der knappen stationären Angebote schon immer einen hohen Andrang gegeben, berichtet Marianne Klein, die ärztliche Direktorin des Klinikums Schloss Winnenden und leitende Ärztin der Tagesklinik und Institutsambulanz für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie. Pro Jahr werden dort zwischen 800 und 1000 Patienten behandelt. Es gebe inzwischen eine deutliche Zunahme von Notfallsituationen. „Die Not der Kinder ist größer geworden“, was sich etwa in Traumafolgestörungen zeige, so Marianne Klein.

AOK: Vorsorge ist wichtig, um psychische Krankheiten zu verhindern

Sie verweist auf die sogenannte Kiggs-Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland des Robert-Koch-Instituts. Demnach lasse sich sogar eine rückläufige Tendenz psychischer Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen in den vergangenen Jahren feststellen. Das steht jedoch nicht unbedingt im Widerspruch zu der Erhebung der AOK, denn: „Eine frühe Behandlung verbessert die Prognose“, erklärt die Medizinerin.

Da in den Vorsorgeuntersuchungen U 10 und U 11 seit 2006 gezielt Verhaltensauffälligkeiten überprüft würden, sei die Sensibilität für psychische Probleme bei Kindern gestiegen: „Es wird mehr danach geschaut“, sagt Klein. Diese Vorsorgeuntersuchungen sind auch aus Sicht der AOK sehr wichtig – „weil bei Minderjährigen nicht leicht zu erkennen ist, wann ein ärztlicher Beratungs- und Behandlungsbedarf entsteht“, betont Sabine Knapstein. Betroffene Kinder und Jugendliche würden durch die Einschränkung ihrer psychischen Gesundheit stark in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt, insgesamt sogar stärker als durch körperliche Erkrankungen.

Der Rems-Murr-Kreis ist mit Jugendpsychiatern unterversorgt

Zudem könnten sich psychische Beschwerden auch auf die körperliche Gesundheit sowie die schulische und berufliche Entwicklung negativ auswirken. „Das Risiko, dass diese im Kindes- und Jugendalter chronisch werden und die Betroffenen Begleiterkrankungen entwickeln, ist hoch“, heißt es in der Pressemitteilung der AOK. Vor diesem Hintergrund bemängelt Klein die „eklatante Unterversorgung an niedergelassenen Kinder- und Jugendpsychiatern im Rems-Murr-Kreis“.

Wichtig für die Prävention gegen psychischen Krankheiten bei Kindern und Jugendlichen sei eine gute Bindung zwischen Eltern und Kindern. „Die beste Prophylaxe ist Aufmerksamkeit. Die psychische Gesundheit der Eltern ist wichtig, damit sie ihre Kinder unterstützen können“, erklärt die Ärztin. Zugleich spielten aber auch gute Betreuungsangebote eine große Rolle – vor allem dann, wenn Eltern nicht in der Lage seien, angemessen auf ihr Kind zu reagieren. Ein Beispiel: „Ängstliche Kinder haben häufig ängstliche Eltern – die Kita kann dann ein Gegenmodell sein, wo das Kind Zuversicht erhält“, sagt Marianne Klein.