Madonna Einst inszenierte sie sich als Mischung aus Heiliger und Hure, ... Foto: dpa

Viele Prominente bekennen sich öffentlich zum Glauben - und setzen einen Trend.

Stuttgart - Wer zurzeit Fußball-WM schaut, erlebt Bekreuzigungsorgien. Mit der Geste bekennen sich immer mehr Kicker zum Glauben. Überhaupt: Bei Prominenten ist es angesagt, Spiritualität zu zeigen. Was man glaubt, ist dabei weniger wichtig. Entscheidend ist, dass man es öffentlich tut.

Wie sich die Zeiten ändern. Einst stellte der argentinische Trainer César Luis Menotti die "Theorie des linken und rechten Fußballs" auf - "rechter Fußball" gleich Existenzkampf am Ball, "linker" ein Fest der Fantasie. Bayern-Nationalspieler Paul Breitner gab sich damals in den 70ern als intellektueller Revoluzzer, der in der Mao-Bibel blätterte. Und Gladbachs Ewald Lienen engagierte sich Anfang der 80er in der Friedensbewegung.

Heute dagegen werden im Fußball immer mehr religiöse Akzente gesetzt. Wer die WM in Südafrika verfolgt, könnte sich glatt in der Kirche wähnen. Die Spieler schicken Stoß- und Dankesgebete nach oben, bekreuzigen sich vor, nach und während des Spiels. Bekräftigt wird die Geste mit einem beherzten Griff in den heiligen Rasen. Dass T-Shirts mit Botschaften wie "Jesus lebt und liebt dich" gezeigt werden, hat der Weltverband Fifa zwar verboten.

Doch keiner kann untersagen, dass Nationalspieler Cacau vom VfB Stuttgart ebenso wie Brasiliens KakÖ nach jedem Tor die Hände zum Himmel reckt. Macht ihn das zum religiösen Eiferer? Klar, über die politische Gesinnung sagt es nichts aus, wenn sich Spieler bei Gott bedanken oder dessen Beistand erflehen. Über die Religiosität aber fast genauso wenig, sagt Karl-Josef Kuschel.

Fragt man den Tübinger Theologieprofessor, ob es glaubwürdig ist, wenn Prominente ihre Überzeugung vor sich hertragen, mahnt er zur Differenzierung: "Man sollte derartige Bekundungen nicht gleich als Show abtun oder dem Prominenten unterstellen, er wolle nur auf sich aufmerksam machen." Man dürfe religiöse Zeichen, die in unserer säkularisierten Welt zwangsläufig auffallen, aber auch nicht von vornherein als Ausdruck tiefen Glaubens verstehen.

Zeigen, woran man glaubt

Ob das Bekreuzigen, das Berühren des Rasens, die Widmung der Tore an Maria: "Zunächst sind das nur Zeichen. Diese Zeichen sind mehrdeutig", sagt Kuschel. Dass die Spieler darauf zurückgreifen, sei nachvollziehbar. Es laste unheimlicher Druck auf ihnen. "Da will man zum Ausdruck bringen, dass der Spielablauf nicht nur von einem selbst abhängt, sondern von Glück, Schicksal - oder einer höheren Macht." Wie tief der Glauben gehe, zeige sich erst, wenn man genauer hinschaue: "Man muss sich fragen, welche Grundsätze diese Person hat - und ob sie auch danach lebt und handelt."

Dennoch: Wer spirituellen Seelenstriptease betreibt, will Wirkung erzielen. Ein Faible dafür haben mittlerweile viele Prominente aus Sport und Kultur: Sie zeigen, dass sie glauben. Woran, spielt eine untergeordnete Rolle. Entscheidend ist, dass man öffentlich glaubt. Bis vor wenigen Jahren kannte man das Phänomen nur aus Lateinamerika und den USA, wo es zum guten Ton gehört, bei jeder Gelegenheit dem Herrgott zu danken.

Nun schwappt die Welle auch zu uns. "In Amerika geht man seit jeher offener und unverkrampfter mit Bekenntnissen zur Religion um", sagt Kuschel. In Deutschland dagegen sei der Glaube nach dem Krieg ins Private verdrängt worden. So beantwortete der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker in einer Talkshow die Frage nach seinem Glauben mit: "Das ist meine Privatsache." Die jüngere Generation scheint ein anderes Verhältnis zur Frömmigkeit zu haben: Intimität ist nicht gefragt, Zurschaustellung dagegen erlaubt - egal, um welche Form des Glaubens es sich handelt.

Selbst wenn seit Jahren immer wieder ihr Verschwinden prognostiziert wird: Die Religiosität nimmt auch in Europa nicht ab. Stattdessen "individualisiert" sie sich, sagt die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Margot Käßmann. Diese Ansicht bestätigt der Religionsmonitor der Bertelsmann-Stiftung: Etwa 70 Prozent der Menschen hierzulande stufen sich laut der Umfrage aus dem Jahr 2007 als religiös ein. Jeder Fünfte gab an, sich von verschiedenen Lehren inspirieren zu lassen. Nur rund die Hälfte schließt sich der christlichen Vorstellung eines persönlichen Gottes an.

Zwar vertritt Sänger Xavier Naidoo seinen Glauben an Jesus mit Nachdruck, Kollegin Nena findet darin "Kraft und Trost", und Profi-Kicker Christoph Metzelder besucht möglichst regelmäßig katholische Gottesdienste. Typischer für den allgemeinen wie prominenten Glaubenstrend ist jedoch, was Ex-Schwimmerin Franziska van Almsick auf entsprechende Fragen antwortet: Sie glaube an Gott, es sei ihr aber gleichgültig, um welchen Gott es sich handle. Anders gesagt: Glauben ja, schließlich gibt kaum etwas den Menschen mehr Halt. Aber bitte nicht zu verbindlich.

Man glaubt an Wiedergeburt

Auf der Suche nach einem Sinn jenseits des Promialltags bedienen sich viele im Supermarkt der Weltanschauungen. Schauspieler Sky du Mont etwa bezeichnet sich zwar nicht als religiös, ist aber sicher, dass ihn Verstorbene, die ihm nahe standen, als "Schutzengel" begleiten. Moderator Jörg Pilawa hört Bibel-CDs und findet das "besser als Fernsehen".

Für US-Schauspieler Richard Gere ist der Dalai Lama der spirituelle Superstar, vielleicht weil der Buddhismus sich nicht aufdrängt und von westlichen Anhängern zuweilen eher als allgemein gehaltene Botschaft von Liebe und Glück interpretiert wird. Popstar Madonna hat sich derweil der Kabbala verschrieben, einer mystischen Lehre, die im Judentum wurzelt und statt auf starre Regeln auf "das Erleben von Freude und dauerhafte Erfüllung" setzt. Wie viele Promis lässt sich Madonna ihr Seelenheil etwas kosten: Sie dankt Philip Berg, dem Gründer der Kabbala-Zentren, angeblich immer wieder mit Millionenspenden.

Man glaubt an Wiedergeburt, geht auf Wallfahrt, besucht Esoterik-Messen, praktiziert Zen-Meditation - wenn gewünscht, alles parallel. "Was mir gefällt", heißt die Maxime, mit der sinnstiftende Angebote kombiniert werden. Der Trierer Soziologe Waldemar Vogelgesang spricht denn auch von "religiöser Bastelmentalität", die so manchem Kirchenoberen suspekt ist: "Ich halte nichts davon, sich den Lebenssinn bei allen möglichen Kulturen zusammenzusammeln", sagt der Benediktinerabt Notker Wolf: "Was soll dabei anderes herauskommen als eine oberflächliche Einheitsweltanschauung?"

Manche kritisieren gar, die öffentlich bekannte Spiritualität stelle nur einen weiteren Weg der Selbstverwirklichung dar.

Theologieprofessor Kuschel dagegen bewertet den Trend nicht nur negativ: "Man kann das zwar nicht gleich aufs Habenkonto der Kirchen buchen. Aber deutlich wird auf alle Fälle, dass Religiosität nicht mehr als weltfremd angesehen wird, sondern eine positive Note bekommt." Auch Rundfunkpfarrer und VfB-Stuttgart-Fan Andreas Koch begrüßt es, wenn Prominente ihre Nähe zur Religion bekunden: "Man kann so etwas auch als Angebot sehen, andere zum Glauben einzuladen."