Parcourschefin Christa Jung bei der Arbeit in der Stuttgarter Schleyerhalle. Foto: imago/Rau

Christa Jung ist eine der wenigen Parcourschefinnen im Reitsport. Seit 2008 entwirft die 64-Jährige die Strecke für das Turnier der Springreiter in der Stuttgarter Schleyerhalle.

Stuttgart - Gemalt hat Christa Jung schon immer gern, stets trug sie einen Bleistift und einen Block mit sich – schließlich hat sie Kunst studiert. Auch heute noch hat die 64-Jährige oft etwas zum Zeichnen bei sich, und wenn sie eine Idee überfällt, kramt sie ihre Utensilien hervor und beginnt. Dann entsteht der Grundriss eines Springreitparcours. Ihr Beruf ist Berufung. Seit 1977 ist Christa Jung Springparcours-Designerin und wenn sie gefragt wird, warum sie sich diesen Nebenjob zu ihren Aufgaben als Grund- und Hauptschullehrerin ausgesucht hat, antwortet sie: „Das ist eine schwierige Frage.“

Eigentlich nicht. Denn im Grunde war dieser Weg vorherbestimmt, als sie ihren späteren Ehemann Karl-Georg kennengelernt hatte. Der war Parcourschef, und Christa Jung begleitete ihn erst zu Turnieren, dann zu Lehrgängen, und wissbegierig eignete sie sich mehr und mehr Kenntnisse dieses komplexen Metiers an.

Parcours-Bauen ist nicht nur Vergnügen

„Also habe ich entschieden, das aktive Reiten bleiben zu lassen und mich aufs Parcours-Bauen zu stürzen“, erzählt sie und sattelte um. Sie lernte die Geheimnisse von Parcours-Papst Arno Geco, sie begleitete die renommierten Parcours-Tüftler H. H. Brinkmann und Hauke Schmidt bei der Arbeit. Mit 22 Jahren legte Christa Jung die Lizenz zum Parcourschef Klasse L ab, seit 1986 ist sie International Course Designer des Reit-Weltverbandes Fei. Eine höhere Klassifizierung gibt es nicht. Bis vor Kurzem war sie die einzige deutsche Frau mit diesem Qualitätssiegel, mittlerweile gibt es zwei. Der Job scheint bei Frauen nicht begehrt. „Es ist Knochenarbeit, man muss alles Mögliche schleppen“, erklärt Christa Jung, „man ist bei Wind und Wetter draußen, das ist nicht immer ein Vergnügen.“

In der Schleyerhalle hat sie ein Dach über dem Kopf, hier ist die zweifache Mutter seit 2008 Parcourschefin. Darüber hinaus entwarf sie den Streckenplan bei der EM 1997 (als Assistentin) und der EM 2007 (als Chefin) in Mannheim. Dort findet auch ihr „Heim-Turnier“ statt, das Mannheimer Maimarktturnier, das sie seit 1980 baut.

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Vielseitigkeit ist gefragt

Ein Parcoursdesigner muss viele Faktoren berücksichtigen, wenn er Hindernisse platziert. Die Linienführung soll rhythmisch sein, harmonisch; Route und Hindernisse müssen zum Niveau der Starter passen, je nachdem, ob Reiter und Pferde bei einem internationalen Championat, einem Weltcup-Turnier antreten oder bei Turnieren, in denen sich nicht die Weltelite tummelt. Man muss Reiter und Pferde gleichermaßen verstehen, ein gutes Maß an Fingerspitzengefühl ist nötig. Es geht um Längen, um Distanzen zwischen den Sprüngen sowie den Hindernisfolgen. „Es sind viele Puzzleteile, die passen müssen“, sagt Christa Jung, „ein Parcours entsteht nicht innerhalb von ein paar Minuten, sondern er wird in einem Gedankenprozess entworfen.“ Die erste Idee mag sie mit einem Bleistift auf Papier kritzeln, doch die detaillierte Ausarbeitung findet längst am Computer statt. Für den wenig versierten Reitsport-Liebhaber mögen sich die Parcours ähneln wie ein Ei dem anderen – Oxer, Steilsprung, Mauer, Wassergraben, Kombinationen, die Hindernisse tauchen stets wieder auf.

Und doch bauen Parcourschefs wie Christa Jung eine Prüfung kaum zweimal gleich auf: Zum einen unterscheiden sich die Plätze sowie Pferde und Reiter, zum anderen hat das auch mit Berufsehre zu tun. Und nicht zuletzt ändern sich Vorgaben. Wurden vor Jahrzehnten für einen Galoppsprung 3,50 Meter berechnet, so sind es heute – die Tiere sind noch bessere Spitzensportler geworden – 3,70 Meter. Auch wurde früher massiver gebaut im Parcours, wogegen die Prüfungen heute luftiger sind. „Diesen Entwicklungen müssen wir uns anpassen“, sagt die Frau aus Bad Friedrichshall am Neckar, „natürlich entwickelt jeder Parcoursbauer eine eigene Handschrift.“

Jeder Handgriff muss sitzen

Zwar entwirft sie die Abfolge im Alleingang, aber die Hindernisse stellt Christa Jung nicht im Alleingang auf. In Stuttgart steht ein Team von 25 Leuten bereit, organisiert in fünf Gruppen zu je fünf Leuten. Jeder kennt seine Aufgabe, die Umbauzeiten beim Turnier sind knapp kalkuliert. In zehn Minuten muss alles stehen. „Da muss jeder Handgriff sitzen“, betont die Chefin, die mit ihren Leuten auf dem Wasen stets zu den letzten in der Halle gehört, weil die Hindernisse noch aufgeräumt werden wollen.

Christa Jung ist trotz der Belastung nicht müde und längst nicht ausgebrannt, ein paar Jährchen möchte die umtriebige Frau diesen Job noch mit Enthusiasmus ausfüllen. Seit Sommer hat sie mehr Zeit, von Turnier zu Turnier zu fahren und Skizzen für einen Parcours zu zeichnen. Denn seitdem ist sie pensioniert.