Bergsteiger-Legende Reinhold Messner musste sich seinen Platz unter den Alpinisten hart erkämpfen. Warum? Das verrät er im Interview.

Bergsteiger-Legende Reinhold Messner (74) will für Gerechtigkeit sorgen. In seinem neuen Buch "Der Eispapst" bespricht er den Fall des 1934 verunglückten Bergsteigers Willo Welzenbach. Was war damals passiert? Und musste auch er sich mit solchen Intrigen, wie Welzenbach sie erfahren hatte, einst auseinandersetzen? Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news berichtet Messner von seinen schwierigen Anfängen im Alpinismus und davon, wie er heute mit seinen abnehmenden Fähigkeiten aufgrund des Alters zu kämpfen hat.

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Die Geschichte um Willo Welzenbach und die Expedition zum Nanga Parbat liegt 85 Jahre zurück. Welche Intention steckt Ihrerseits dahinter, das Geschehene nochmals aufzurollen?

Reinhold Messner: Willo Welzenbach war der beste Bergsteiger seiner Zeit. Ich kannte natürlich seine Geschichte. Aber als ich dann in das viele Material dazu hineingelesen habe, war ich so erschüttert, was der Mann im Hintergrund durchgemacht hatte... Das hat man auf diese Weise nie erzählt.

Was meinen Sie mit "was er durchgemacht hat"?

Messner: Die Welzenbach-Geschichte ist erst mit seinem Tod gekippt. Erst dann wurde er vom deutschen Alpenverein, der ihn zuvor eher ausgegrenzt hatte, zum Helden gemacht. Es geht also in erster Linie darum, zu zeigen, wie im Heroischen Alpinismus, der Phase zwischen den beiden Weltkriegen, das Bergsteigen dafür instrumentalisiert wurde, um den Übermenschen darzustellen.

Damals wurden Werte wie Kameradschaft und Einsatz bis zum Tod gepredigt. Die meisten Bergsteiger entsprachen diesem Bild und dieser Haltung aber gar nicht. Wenn man die Welzenbach-Geschichte betrachtet, sieht man, wie sich die Kameraden im Hintergrund bis aufs Messer bekriegt haben. Und Kamerad Welzenbach wurde dabei radikal niedergemacht.

Gibt es solche Intrigen heute noch?

Messner: Heute ist das zum Glück nicht mehr so schlimm. Aber es hat Jahrzehnte gedauert, um von dieser Haltung herunterzukommen. Als ich diese in den Sechzigerjahren als junger Kletterer infrage gestellt habe, sind die älteren Herrschaften, die in diesem Geist großgeworden sind, über mich hergefallen.

Wie sind Sie damit umgegangen?

Messner: Ich habe weitergelebt und meinen Alpinismus gewagt, wie ich es für richtig hielt. Es gelang den Gegnern nicht, mich auszugrenzen. Aber sie wollten es tun.

Die Expedition zum Nanga Parbat wurde von der Presse begeistert verfolgt. Heute bekommt man von solchen Abenteuern nichts mehr mit. Woran liegt das?

Messner: Heutzutage geht das alles sehr viel schneller. Heute wird vom Gipfel oder aus dem Basislager gepostet und dann geht das durch die Sozialen Medien. Das ist am nächsten Tag aber alles wieder vergessen, weil dann irgendwer woanders schon wieder höher gestiegen ist. Das überlappt sich inzwischen sehr stark und schnell.

Gibt es denn noch Abenteurer Ihrer Sorte?

Messner: Es gibt sie noch, aber in einer ganz kleinen Zahl. Heute findet das Klettern, das ich nur in der Natur an großen Wänden betrieben habe, in der Halle statt. Mehr als 90 Prozent von den Kletterern haben nie Fels angegriffen, sie klettern an künstlichen Wänden und Plastikgriffen. Das ist zwar ein großartiger Sport, der ja auch auf Wettkampfniveau betrieben wird, hat aber mit Abenteuer nichts zu tun.

Und an den ganz großen Bergen, am Mount Everest, Mont Blanc oder dem Denali in Alaska, findet Tourismus statt. Der Unterschied? Der Tourist braucht eine Infrastruktur und der Alpinist geht dorthin, wo es keine Infrastruktur gibt, wo niemand anderes ist. Und die Leute, die wirklich in die Wildnis gehen und das Abenteuer suchen, werden immer weniger.

Freut es Sie denn, dass die Zahl der Bergsteiger durch den Tourismus wieder steigt?

Messner: Das ist falsch! Es gibt nicht mehr Bergsteiger als früher. Mehr werden nur die Wanderer. Also die Leute, die am Fuße der Berge herumwandern, ohne in den Gefahrenraum hineinzukommen. Aber diejenigen, die den Gefahrenraum wirklich aufsuchen, die traditionellen Bergsteiger, werden weniger. Das Verhältnis hat sich völlig verändert.

Heute gibt es viel mehr Touristen, die markierten Wegen und eingebohrten Routen folgen. Und es ist gut so! Es werden Bolzen in die Wand gebohrt und geschlagen, damit die Akteure nicht herunterfallen können. Aber wenn ich auf einen Berg steige, von dem ich nicht herunterfallen kann, ist das kein Berg, sondern eine Attrappe. Der traditionelle Alpinist weiß, er kann herunterfallen, und versucht, das zu vermeiden.

Wie hat sich Ihre Risikobereitschaft über die Jahre verändert?

Messner: Meine Risikobereitschaft ist nicht kleiner oder größer als früher. Aber meine Fähigkeiten sind geringer - aufgrund meines Alters. Das Erste, was man verliert, ist die Schnellkraft. Dann die Geschicklichkeit. Und mit der Zeit verliert man auch die Leidensfähigkeit. Abenteuer kosten immer auch Schmerzen.