Familie Ryan in ihrem Wohnzimmer in Weil im Schönbuch beim Verzieren des Weihnachtsgebäck. Foto: factum/Granville

Wie kommen Ausländer in der Region Stuttgart klar? Eine Serie über Familien, die in zwei Kulturen zu Hause sind. Heute: die Ryans aus den USA.

Weil im Schönbuch - Colorado oder Deutschland – diese zwei Arbeitsplätze offerierte die US Army Bob Ryans vor zweieinhalb Jahren. Als Soldat ist er es gewohnt, alle zwei bis drei Jahre seinen Standort zu wechseln. Doch außerhalb der USA war er bis dato noch nie stationiert gewesen. „Für meine Karriere macht sich ein Auslandsaufenthalt wahrscheinlich gut“, dachte er sich. Let’s go to Germany!

Bobs Frau Tammy war mit dieser Wahl sofort einverstanden. „Meine Urgroßeltern stammen aus Crailsheim“, erzählt sie. „Ich wollte schon lange dorthin, um meine Wurzeln zu erkunden.“ Neugierig waren beide. „Eine solche Erfahrung gemeinsam als Familie zu machen ist eine einmalige Gelegenheit“, sagt Bob. „Also haben wir zugegriffen.“

Die Familie, zu der neben dem Ehepaar die Kinder Emily (16) und Tristin (13) sowie der Labrador Bodie (4) gehören, packte ihre Koffer und machte sich auf in die Ferne. Und so kam Tammy zum ersten Mal in die Heimat ihrer Vorfahren. „Meine Pateneltern sind nach Amerika ausgewandert“, sagt sie. „Sie haben mir den Schuhplattler und viele deutsche Weihnachtslieder beigebracht.“

Ein wahres Wintermärchen

Zwei Jahre lebte die Familie bei Grafenwöhr in Bayern, vor sechs Monaten wurde sie nach Böblingen versetzt. Schuhplattler hat Tammy zwar bisher noch nicht getanzt, aber die deutschen Weihnachtsbräuche ausgiebig erkundet. Besuche auf den diversen Weihnachtsmärkten in der Region gehören zum Familienprogramm. Doch manches machen die Ryans weiter auf amerikanische Art: Ihr Haus in Breitenstein, einem Ortsteil von Weil im Schönbuch, ist seit Anfang Dezember ein wahres Wintermärchen: Zwei perfekt gewachsene Christbäume, üppig dekoriert mit Kunsthandwerk und antiken Kugeln schmücken die Wohnung. „Ich weiß, die meisten Deutschen dekorieren den Baum erst an Heiligabend“, sagt Tammy. Aber sie ist eben eine Amerikanerin.

Auch die Weihnachtsgutsle, die die Familie an dem großen Esstisch gemeinsam verziert, entsprechen voll dem „american taste“. Für den deutschen Geschmack sind die Erdnussbutter-Cookies und die pinkfarbenen Ausstecherle hingegen gewöhnungsbedürftig: die einen sehr salzig, die anderen sehr süß.

Captain Ryan lautet die korrekte Anrede für den 43-Jährigen, der im Privatleben einfach nur Bob sein will. Bob Ryan ist als Commander der Garnisonskompanie in der Böblinger Panzerkaserne stationiert – „aber ich bin viel auf Reisen in ganz Deutschland und Europa“. Seine Frau Tammy organisiert den Alltag. In den USA war sie Englischlehrerin, als Ehefrau eines Soldaten mit wechselnden Einsatzorten ist sie vor allem als Familienmanagerin gefragt. Auch wenn sie bis heute kein Deutsch spricht, hat sie doch immer wieder Kontakte zu Einheimischen: zu den Hausnachbarn, beim Einkaufen und vor allem beim Gassigehen im Schönbuch mit Labrador Bodie. „Da treffe ich andere Hundehalter und komme mit ihnen ins Gespräch.“ Schwaben, die mit ihren Vierbeinern im Wald herumspazieren, verfügen meistens über gute Englischkenntnisse.

Tristin hat das Vagabundenleben satt

Die Fotos an den Wohnzimmerwänden zeigen Mr. and Mrs. Ryan in jungen Jahren. Sie stammen beide aus einem kleinen Ort im Bundesstaat New York. „Deshalb fühlen wir uns in Breitenstein sehr wohl“, sagt Bob. „Es ist hier ähnlich wie in unserem Heimatort: klein und überschaubar. Und wir sind gleich im Grünen.“ Auf den Fotos aus der Vergangenheit wirkt Bob viel kräftiger als heute. „Ich war Footballer“, erzählt er. Sohn Tristin ist in Deutschland hingegen zu einem Fan des europäischen Fußballs geworden. In Grafenwöhr spielte er im örtlichen Verein – zweimal in der Woche Training, an den Wochenenden Spiele und Turniere. In Weil im Schönbuch wäre er auch gerne sofort wieder für eine Jugendmannschaft aufgelaufen, doch das war nicht möglich. „Er benötigt zuerst einen neuen Spielerpass“, erzählt seine Mutter. „In Deutschland ist eben alles perfekt organisiert – auch der Sport.“ Immerhin: In den Sommerferien konnte Tristin an einem Fußballcamp in Sindelfingen teilnehmen.

Wenn es nach Tristin ginge, zöge die Familie besser heute als morgen zurück in die USA und würde für immer an einem Ort bleiben. Dem Teenager fällt es schwer, sich alle paar Jahre umzugewöhnen, obwohl er und seine Schwester Emily stets die Schulen der US Army besuchen, die überall die gleichen Standards und den gleichen Lehrplan garantieren. Aber er trifft auf neue Klassenkameraden und muss sich auf neue Lehrer einstellen.

Emily sieht das Vagabundenleben als Soldatenkind gelassener. „Anfangs war es schwer“, sagt sie. „Aber ich habe mich daran gewöhnt, mir alle paar Jahre neue Freunde zu suchen.“ Emily ist in der vorletzten Klasse der Highschool in der Böblinger Panzerkaserne. In anderthalb Jahre macht sie ihren Abschluss. Kontakte zu deutschen Jugendlichen hat sie kaum. „In Grafenwöhr traf ich mich manchmal mit dem Nachbarmädchen, aber hier in Weil im Schönbuch kenne ich niemanden in meinem Alter.“

Burger und Ballett

Die 16-Jährige spricht als Einzige in der Familie etwas Deutsch, das Ergebnis von drei Jahren Sprachunterricht in der Schule. Das Mädchen wirkt zurückhaltend. Erst auf Drängen ihres Vaters erzählt sie von ihrer Leidenschaft, dem Ballett. Stolz zeigt Bob den Flyer einer Aufführung in Grafenwöhr, an der seine Tochter mitwirkte: Ein Foto von Emily ziert die Einladung. Es war wichtig für sie, dass sie in Stuttgart-Vaihingen eine Ballettschule gefunden hat, wo sie sich als Tänzerin weiterentwickeln kann.

„Emily ist die Künstlerin in unserer Familie“, sagt Bob. „Sie malt und zeichnet und tanzt.“ So verwundert es nicht, dass das Mädchen „die Architektur“ nennt, wenn man sie nach ihren Vorlieben in Deutschland fragt. „Die Bauwerke hier sind, anders als in den USA, so individuell mit vielen kleinen Details.“

Ihre Mutter schätzt vor allem die Vielfalt des Essens und die Auswahl in den Läden. „Alles ist so frisch.“ Sie vermeide es, im amerikanischen Supermarkt der Böblinger Panzerkaserne einzukaufen. „Lieber gehe ich zu Edeka, Real oder Kaufland.“ Auch über Wochenmärkte streift sie gern. Tristin steht hingegen nicht auf frisches Grünzeug, er vermisst sein geliebtes Fast Food: „Hier gibt es nicht so viele Burger und Hotdogs wie in den USA.“

Umfangreiche To-do-Liste

Vielleicht könnte sich Tristin etwas mehr für sein Gastland erwärmen, wenn sein größter Wunsch wahr würde: Er möchte unbedingt einmal zu einem ein Bundesliga-Spiel von Bayern München in der Münchner Allianz-Arena. Stars wie Jérôme Boateng, Mats Hummels und Robert Lewandowski auf dem Rasen, 75 000 Zuschauer auf den Rängen – und Tristin Ryan mittendrin. „Das steht auf unserer Liste der Dinge, die wir noch unternehmen möchten“, sagt seine Mutter Tammy.

Einige Punkte von ihrer To-do-Liste haben die Ryans schon abgearbeitet: Sie waren in Italien, Tschechien, Österreich, haben das Heidelberger Schloss besucht, die Burg Hohenzollern und das Cannstatter Volksfest – natürlich in Dirndl und Lederhose. Als Nächstes steht Paris auf dem Besichtigungsprogramm, und auch Schloss Neuschwanstein muss noch abgehakt werden. „Und wir möchten einmal nach Irland“, sagt Tammy. „Denn dort hat Bob seine Wurzeln.“

Wie steht es mit der Politik? Was halten Ryans von Donald Trump? „Diese Frage wird uns ständig gestellt“, antwortet Bob. „Dann wechsele ich sofort das Thema.“ Denn in der US Army gilt die strikte Regel: Persönliche politische Auffassungen dürfen nicht nach außen getragen werden.

Die wichtigsten Erfahrungen

Noch knapp zwei Jahre, dann endet für die Familie Ryan das Abenteuer Deutschland. Was nimmt sie mit in die USA? „Das Umweltschutzbewusstsein“, sagt Emily. Ihr gefällt, dass die Deutschen ihren Müll trennen und ihre Häuser energiesparend dämmen.

Tammy freut sich darüber, dass sie „die deutschen Bräuche, die ich ja schon von meinen Paten kannte, nun live erlebt habe“. Und auch die vielen historischen Gebäuden, die sie besichtigt hat, fand sie beeindruckend: „Jahrhundertealte Bauwerke gibt es in den Vereinigten Staaten ja nicht.“

Bob hat die ruhigen Sonntage schätzen gelernt. „Anfangs war es befremdlich, dass alle Läden zu sind. Aber jetzt ich finde es schön, diesen Tag fest für die Familie zu reservieren.“ Vor allem aber habe er zum ersten Mal in seinem Leben einen umfassenden Blick auf die Welt bekommen. In den USA seien die Menschen auf die USA fokussiert. „Ich sehe vieles nun aus einer anderen Perspektive.“