In den Tafelläden steigt die Zahl der bedürftigen Kunden. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Auf der einen Seite jagt eine Erfolgsmeldung die andere, auf der anderen Seite steigen die Sozialausgaben. Im Landkreis Esslingen tut sich eine Kluft zwischen Arm und Reich auf.

Esslingen - Die Unternehmen im Landkreis Esslingen übertreffen sich mit Erfolgsmeldungen, die Steuereinnahmen der öffentlichen Hand steigen auf Rekordhöhe und die Menschen in den Städten und Gemeinden sind in Kauflaune. Doch wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten. In diesem Schatten hat sich die Armut dauerhaft eingenistet – auch in dem wohlhabenden Kreis Esslingen.

Der Esslinger Landrat Heinz Eininger zieht die Bilanz der Sieger. „Wir stehen ökonomisch glänzend da. Acht Jahre Konjunkturaufschwung in Folge führen zu einer Arbeitslosenquote von 3,1 Prozent. Das bedeutet Vollbeschäftigung. Die Auftragsbücher der Unternehmen sind gefüllt. Die Steuereinnahmen der 44 Städte und Gemeinden sind in den vergangenen fünf Jahren um 30 Prozent angewachsen“, hat der Kreischef zur Einbringung des Kreishaushalts 2019 jüngst verkündet.

Eberhard Haußmann, der Geschäftsführer des Kreisdiakonieverbandes Esslingen, hat täglich mit den Verlierern in dem rund 535 000 Einwohner zählenden Landkreis zu tun. Er schüttet ordentlich Wasser in den Wein. „Insgesamt beziehen 20 120 Personen staatliche Unterstützung. Auch die Arbeitslosenstatistik zeichnet ein schiefes Bild. Zu den 5677 offiziell arbeitslos gemeldeten Menschen kommen weitere 8221 hinzu, die in einer Maßnahme oder länger als sechs Wochen krank gemeldet sind“, sagt er.

Im Tafelladen bekommt die Armut ein Gesicht

In den sechs von der Diakonie betriebenen Tafelläden bekommt die Armut in einem reichen Landkreis ein Gesicht – viele Gesichter. „Wir haben in diesem Jahr rund 4575 Berechtigungskarten ausgegeben. Das sind 650 mehr als noch vor fünf Jahren“, sagt Haußmann.

Mehr noch: Die Menschen, die im Landkreis Esslingen ökonomisch nicht so glänzend dastehen, wie es die Statistik glauben machen will, sind aus den Töpfen von Diakonie und Caritas im vergangenen Jahr mit 310 000 Euro zusätzlich unterstützt worden. Dabei handelte es sich Haußmanns Angaben zufolge immer um konkrete Einzelfallhilfen. Alleinerziehende in Geldnot, Schulkinder, Rentnerinnen und Obdachlose sind in der Not unterstützt worden.

„Bei den Zuschüssen geht es eigentlich fast immer um eine minimale Teilhabe an der Gesellschaft“, sagt Haußmann und zählt auf: Kindergeburtstage, Schulmaterial und Schulranzen, Strom- und Heizungsnachzahlungen, Mietzuschuss, Schulfreizeiten, Mütterkuren, Schwangere in Not und Erstausstattung für Familien. Ein Dauerbrenner sei die Unterstützung bei den Fahrtkosten. „Der Regelsatz für einen Hartz IV-Empfänger liegt bei knapp mehr als 38 Euro im Monat. Da kommt man nicht weit“, sagt Haußmann. Zudem gehen die Hilfsorganisationen davon aus, dass es bei den Bedürftigen eine hohe Dunkelziffer gibt. „Viele Menschen schämen sich, um Hilfe zu bitten“, sagt Haußmann.

Diakonie fordert den Einstieg in den sozialen Wohnungsbau

Der dringende Appell des Diakoniechefs geht an die Städte und Gemeinden. „Die Kommunen müssen den sozialen Wohnungsbau vorantreiben“, fordert er – gerade in einem reichen und deshalb auch besonders teuren Landkreis wie Esslingen. In vielen Haushalten gingen 40 Prozent des Einkommens für das Wohnen drauf. „Das setzt dann eine Armutsspirale in Gang“, so der Diakonie-Geschäftsführer.

Deren Folgen kommen letztlich auch wieder beim Kreis an – und trüben die Erfolgsbilanz. Monika Dostal, die Finanzdezernentin im Esslinger Landratsamt, hat anlässlich der Haushaltseinbringung bei den Sozialausgaben eine ähnliche Dynamik ausgemacht, wie bei den Steuereinnahmen. „Die Sozialausgaben steigen im nächsten Jahr um 4,7 Prozent auf jetzt netto 180 Millionen Euro. In den vergangenen fünf Jahren ist der Aufwand damit um 16 Prozent oder 25 Millionen Euro gestiegen“, sagt sie.

Was der reiche Landkreis einnimmt, gibt er für den armen Landkreis wieder aus

99 Prozent des Geldes, das der Landkreis über seine 44 Städte und Gemeinden an Kreisumlage einfordert, fließt in das Sozialsystem. Mit anderen Worten: Was der reiche Landkreis einnimmt, gibt er für den armen Landkreis umgehend wieder aus. „Die Quote ist unverändert hoch, obwohl wir in den letzten Jahren im Landkreis ein überdurchschnittliches Wachstum bei den Steuereinnahmen hatten“, sagt Monika Dostal, die als Finanzdezernentin des Landkreises immerhin einen Zeitraum von 13 Jahren überblickt.

Erfreulich ist in ihren Augen, dass die Zahl der Bedarfsgemeinschaften leicht zurückgegangen ist. Im August 2018 waren 11 522 Familien oder Einzelpersonen im Landkreis von staatlichen Transferleistungen abhängig. Der Zuschussbedarf für die Leistungen der Kinder-, Jugend und Familienhilfe wird sich im kommenden Jahr bei 44,1 Millionen Euro einpendeln. Das ist gegenüber dem Vorjahr eine Steigerung von 5,4 Millionen Euro. Mehr Geld fließt vor allem in die individuellen Hilfen, aber auch in die Schulbegleitung.