Regisseur Antú Romero Nunes Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Seit er 25 Jahre alt ist, bezaubert der in Tübingen geborene Regisseur Antú Romero Nunes Zuschauer mit hoch emotionalen, politischen Theaterabenden in Wien, Hamburg und Stuttgart.

Stuttgart - Kürzlich im Thalia Theater in Hamburg. Vor dem Eingang stehen drei hippe Mitzwanziger und grämen sich. Melvilles „Moby Dick“ wird zurzeit nicht gespielt. Und Brechts „Dreigroschenoper“ ist auch ausverkauft.

Womöglich waren es junge Hochbegabte, die jeden Klassiker verschlingen, der ihnen vor die Nase kommt. Wahrscheinlicher aber waren es Connaisseure. Leute, die wissen, der Mann, der diese Werke auf die Bühne bringt, ist einer von ihnen. Nicht einer von denen, die sich jugendlich geben, aber letztlich nur mit Geschrei, Gymnastik und Popsongs bei der Jugend andienen.

Tränenrührend. Hochkomisch. Pathetisch. Todesbetrübt. Wutrasend. Das Theater in Frage stellend. Gefühlsberserkerhaft. In fast jeder von Antú Romero Nunes’ Inszenierungen gibt es solche Momente, und sie machen einem klar, das Theater mag in der viel beschworenen Krise sein, aber was soll’s. So lange es solche Wahrhaftigkeitsmomente gibt, soll die Krise ewig währen.

Tanzen, Küssen, Schwärmen

Vielleicht liegt Nunes’ Kraft auch in seinem Absolutheitsanspruch, den er sich bitte sehr bewahren möge: „Ich inszeniere nur, was ich selber sehen will“, sagte der 32-Jährige an einem Nachmittag in Stuttgart, während der Wiederaufnahmeproben zu Fritz Katers „zeit zu lieben zeit zu sterben“in Stuttgart. Nunes hat nach seiner Regieausbildung an der Hochschule Ernst Busch am Armin Petras’ früherer Wirkungsstätte, dem Berliner Maxim Gorki Theater, viel inszeniert. Seit sieben Jahren arbeitet er nicht nur in Berlin, sondern auch an den größten Häusern, in Hamburg oder Wien.

Seit Petras in Stuttgart Intendant ist, konnte er das viel gefragte, in Tübingen geborene Regietalent nicht dazu bewegen, etwas Neues zu zeigen. „Denn“, so Nunes, „ich wollte immer die Gegend, aus der ich komme, von der Arbeit freihalten. Ich war bei „zeit zu lieben zeit zu sterben“ sogar noch aufgeregter als bei meinen Arbeiten in Hamburg oder Wien, weil hier Leute sind, die mich seit meiner Kindheit kennen.“ Und was die Zukunft betrifft, mag er sich nicht allzu sehr festlegen. „Beamtenmäßig spießig“ finde er so etwas. „Auch ändert sich das Lebensgefühl doch schneller als man denkt, ich weiß nicht, ob Themen, die mich jetzt interessieren, auch in zwei Jahren noch angehen.“

Dass er bei der Wiederaufnahme so aufgeregt war – , was man ihm ansah: bleich, nervöse, fahrige Bewegungen während des Gesprächs – könnte auch daran liegen, dass der Abend ihm besonders am Herzen liegt. „Ich wollte das unbedingt machen! Ich wollte viel Freude versprühen, trotz der depressiven Geschichte“. Die Premiere im vergangenen Dezember zeigte, der Abend übers Erwachsenwerden, über Freiheit und, salopp gesagt, Chancenverwertung und Lebensplanung unter gesellschaftlich schwierigen Zeiten funktioniert immer noch. Und wie. Nunes: „Es geht auch um Stillstand, der sich durch Aktivität ausdrückt. Es passiert viel und nichts gleichzeitig.“ Peter Jordan rennt und rennt und rennt und kommt doch nicht von der Stelle. Szenen mit umwerfend emotionaler Livemusik, Tanzen, Küssen, Schwärmen. Tränen, Kummer, Repressionsleid – eindrücklich.

Traurige Clowns im Wiener Akademietheater

Selbst bei weniger starken Abenden ist diese besondere Spannung spürbar. „Hotel Europa oder Der Antichrist“ frei nach Joseph Roth in Wien. Wenig Konkretes von Roth zu hören im Akademietheater, eher ein Gefühl des „Keiner kennt sich mehr aus“. Es geht um Krisen, Krieg. Mit Tschechows Ennui oder Ibsens Bürgerlichskeitsthemen kann Nunes, wie er sagt, zurzeit noch wenig anfangen, mit dem großen Ganzen schon: „Kunst ist von Natur aus politisch, und der Künstler muss Haltung beziehen.“ Viel Rauch und Nebel dann auf der Bühne, wie so oft – etwa seiner ersten, immer noch auf dem Spielplan stehenden Arbeit für das Theater Lindenhof Melchingen, Kleists Gerechtigkeitstext „Kohlhaas“. Der sei hiermit all jenen schwer ans Herz gelegt, die durch Deutschunterricht nachhaltig kleistgeschädigt sind.

Rauch und dunkle Bilder also auch in Wien, Gestalten in lila Livree, weiß geschminkte Gesichter, traurige Clowns. Manches ist einfach nur albern, manches lustig, etwa die Tratschereien über korrektes Wienerisch. Dann aber steigt der Schauspieler Michael Klammer aus einer seiner vielen Rollen aus. Während er immer wieder mit einer Handbewegung ein Rechteck in der Luft zeichnet, stößt er Bürokratensätze hervor: „unter Maßgabe ihrer Möglichkeiten“. Diese Floskel kombiniert er dann mit zynischen Sätzen über Flucht und Vertreibung, über volle Boote und Piefkes und Zahlenspiele über Flüchtlinge und Einwohner. Unmöglich, sich der Energie zu entziehen. Und die Szene hat in der Wut auf Kleingeistigkeit und Kleinmut mehr mit Joseph Roth zu tun als hätte Klammer seitenweise dessen Texte aufgesagt.

Das wirkt improvisiert, ist aber genau gesetzt. Wie sehr Nunes Arbeiten von Timing leben zeigt sich im Hamburger Thalia Theater an einem Abend, an dem mehrere Mitspieler der „Dreigroschenoper“ erkrankt und tapfere Kollegen eingesprungen sind. Bettlerkönig Peachum gibt dem angehenden Bettler Filch Unterricht darin, möglichst effektvoll zu lamentieren. Immer wieder muss Paul Schröder als Filch die Worte Mutter als „Muottta“ betonen und das Wort „Groooßstadt“ zu zerdehnen und unheilvoll zu raunen. Derlei fabelhafte Sprachspiele, auch stetes Verfremdungs-Betonen (diverse in Brecht-Kluft gekleidete Akteure behaupten, sie seien Bertolt Brecht) – alles präzise gearbeitet. Was umso mehr auffällt, da die vielen ungeplanten Umbesetzungs-Improvisationen einfach nur täppisch wirken.

Räuberbanden und Waldgetümmel

Nunes’ Schein-Improvisationen funktionieren auch in Stuttgart in „Die Räuber“ nach Schiller – wie „zeit zu leben zeit zu sterben“ eine Übernahme vom Berliner Gorki Theater. Punktgenau an immer der selben Stelle hampelt und räkelt Paul Schröder als Franz Moor aufgeregt auf seinem Sessel, so lange, bis Stuhl und Schröder von der Bühne plumpsen und das alte Sprichwort vorführen „wer hoch fliegt, fällt tief“. Viele Zuschauer wissen das inzwischen, da sie die Inszenierung mehrmals angeschaut haben. Sie lassen sich immer wieder gern von Michael Klammer als Eddy oder auch als Vater Moor anreden. Und sie haben gemerkt, Klammers Frechheiten, jetzt nicht den korrekten Karl-Moor-Text aufzusagen, sondern zu improvisieren, dem Publikum die Pause zu klauen und Schiller einiges an Text, hat viel Räuberisches und Karl-Moor-Aufrührerisches an sich. Nunes’ ist aber nicht nur ein politischer Kopf, sondern auch ein Bilderfreund: Den Effekt mit Räuberbande, Waldgetümmel und viel Nebel, ganz großes Theater also, gibt’s am Ende dann doch noch. Und demnächst wieder – an diesem Sonntag ist die Wiederaufnahme des Schillerstückes.

Weiterer Termin der „Räuber“noch am 24. 4. Termine für „zeit zu lieben zeit zu sterben“ am 19.4., 26.4., 19. 5., 16., 25.6.