Refugien sind ein Zuhause für arme und obdachlose Menschen. Foto: Sägesser

Seit Kurzem wohnt Swantje Rülicke in einem besonderen Zuhause an der Steinwaldstraße. Nämlich in einem Refugium für arme und obdachlose Menschen.

Steckfeld - Der Glücksfall misst 20 Quadratmeter, mit Bad und Küche. In dem blauen Häuschen neben der Steckfeldkirche geht es eng zu, aber Swantje Rülicke hat es sich gemütlich gemacht. Ihre Mitbewohner heißen Arthur und Socke; er ist ein blonder Hund, sie eine Katze mit zwei schwarzen Flecken über dem Maul.

Mit ihren Tieren hält es die 32-jährige Frau gut aus. Menschen sind Swantje Rülicke hingegen oft nicht geheuer. Sie erzählt, dass sie psychische Probleme hat, dass sie Rente bekommt und Sozialhilfe. Deshalb lebt sie seit Anfang April im Refugium an der Steinwaldstraße. Ihre WG in Pforzheim hat sich aufgelöst, auf dem normalen Wohnungsmarkt habe sie daraufhin nichts gefunden. „Wegen dem Hund, und wegen der Rente und der Sozialhilfe“, sagt sie.

Ein Refugium von zehn in Stuttgart

Das Refugium im Steckfeld ist eines von zehn in Stuttgart. Die Evangelische Gesellschaft (Eva) und die Stadt hatten schon in den 90er- Jahren die Idee für die schlichten Häuschen, als Zufluchtsort für obdachlose und arme Menschen. Der Erbauer war die inzwischen insolvente Stiftung Nestwerk. Die Eva kümmert sich um die Bewohner. Den Kirchengemeinden, die ihren Grund und Boden für die Häuser spendeten, entstehen keine Kosten.

Swantje Rülicke braucht keine fünf Minuten für eine Hausführung. Küche und Bad sind zusammen so groß wie das Wohn- und Schlafzimmer. Durchs Fenster weht Wind, es riecht nach kaltem Rauch. Die Dusche ist nur eine Campingdusche, dafür hat Rülicke eine Waschmaschine, einen Trockner – und sogar eine Geschirrspülmaschine. „Das ist echter Luxus“, sagt sie.

Die Miete liegt bei 200 Euro, plus 150 Euro Nebenkosten. Die Rechnung zahlt das Sozialamt. Abzüglich aller festen Ausgaben, hat Swantje Rülicke im Monat 200 Euro im Geldbeutel. Sie hat nie wirklich gearbeitet, die Probleme fingen früh an.

Dann kam der psychische Absturz

Die 32-Jährige sagt, sie stamme aus guten Verhältnissen. Trotzdem ist sie sicher, dass in ihrer frühesten Kindheit etwas passiert sein muss, das sie später aus der Bahn geworfen hat. „Mir fehlt das Urvertrauen“, sagt sie. Sie sei von Schule zu Schule getingelt, bis ein Lehrer sie missbraucht habe. Danach kam der psychische Absturz. An eine Ausbildung war nicht mehr zu denken, sie wurde immer kränker.

Swantje Rülicke schluckt immer noch etliche Tabletten. Sie sind gegen Angst, gegen Depressionen, gegen Schlafprobleme, „ach, gegen viele verschiedene Dinge“, sagt sie. Dabei wollte sie schon als Kind unbedingt Ärztin werden. Es war nur noch die Frage, ob für Tiere oder für Menschen.

Seit die Tage wärmer sind, sitzt Swantje Rülicke öfters vor ihrem Häuschen. Doch wenn die Vögel zu laut zwitschern, „ist das Stress für mich“, sagt sie. „Dann muss ich rein, alle Fenster schließen, zwei Stunden schlafen, und dann kann ich wieder raus.“ Arthur weicht ihr dabei nicht von der Seite.

Die Bewohnerin soll ihren Alltag wieder allein stemmen

Der Mietvertrag fürs Refugium ist zunächst auf ein Jahr befristet. Da es sich um betreutes Wohnen handelt, trifft sich Swantje Rülicke ein- bis zweimal die Woche mit Karin Thomann von der Evangelischen Gesellschaft. Sie reden dann über Papierkram, meistens aber über die Probleme der 32-Jährigen. „Es geht darum, dass sie ihren Alltag wieder selbst hinbekommt“, sagt Thomann.

„Irgendwas zu arbeiten, das ist mein größtes Ziel“, sagt Swantje Rülicke. Und wenn es nur wäre, für eine ältere Frau einkaufen zu gehen. Mit der Aussicht, für immer Rentnerin zu sein, „kann ich mich nicht abfinden“. Doch nun braucht sie Zeit für sich. Und da hilft das blaue Häuschen. Die 20 Quadratmeter sind, wie gesagt, ihr ganz persönlicher Glücksfall.