Blick in die Bibel: Die Skulpur von Johannes Brenz vor der Hospitalkirche. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Der Stuttgarter Reformator Johannes Brenz ist nicht nur der Architekt der evangelischen Landeskirche in Württemberg. Zu seiner Zeit war er auch eine wichtige Stimme der Toleranz.

Stuttgart - Die Schwäbisch Haller Hauptkirche St. Michael ist ein Schmuckstück spätmittelalterlicher Bildniskunst. Der namensgebende Erzengel, der die Besucher am Eingang als anmutige Steinskulptur empfängt, taucht noch 13-mal in dem Gotteshaus auf. So auch als geschnitzte Holzfigur im Michaelsaltar in goldener Rüstung mit erhobenem Schwert über dem Drachen. Das große Kruzifix im Chor hoch über dem Beinhaus stellt dem Betrachter das Leiden Jesu in ungewöhnlich drastischer Weise vor Augen.

Dass diese spätgotische Kirchenkunst in dieser Fülle erhalten blieb, ist nicht zuletzt Johannes Brenz zu danken. Und dieser Umstand sagt viel aus über den Charakter des Reformators von Württemberg.

Einer der frühen Anhänger Luthers

Brenz kam 1499 in Weil der Stadt zur Welt. Sehr begabt muss er gewesen sein. Bereits 1514 studierte er in Heidelberg Theologie. In der kurpfälzischen Universitätsstadt kam es 1518 zu der Begegnung, die sein Leben veränderte: Bei der Heidelberger Disputation, dem ersten Auftreten Luthers außerhalb Wittenbergs nach seinen 95 Thesen, erlebt der 18 Jahre alte Theologiestudent Martin Luther – und war sofort von dessen Lehre eingenommen. Der Reformator wiederum ist ebenfalls angetan von Brenz. Es ist der Beginn einer lebenslangen Verbindung. Schon bald gilt Brenz als „Luthers Mann in Süddeutschland“.

In Heidelberg macht er keinen Hehl aus seiner Haltung, was ihm seit dem Wormser Edikt von 1521, als Kaiser Karl V. über Luther die Reichsacht verhängt, gefährlich werden kann. In dieser Lage nimmt er gerne eine Predigerstelle an St. Michael in Schwäbisch Hall an. „Die Haller wussten, dass Brenz eine Affinität zu Luther hatte“, sagt der Stuttgarter Hochschulpfarrer und Reformationsexperte Tilman Schröder. „Es gab bereits Lutheranhänger im Stadtrat. Aber das Tempo der Reformation wurde bewusst langsam gehalten.“

Absage an die Gewalt

Da war Johannes Brenz, den Martin Luther einen „sanftmütigen Menschen“ genannt hat, genau der richtige Mann. „Mit Gwallt will sich nymer kein glaub zwingen lassen“, schrieb er einmal. Mit Umsicht und Augenmaß macht sich Brenz an die Reform des Haller Kirchenwesens. Einen Bildersturm wie andernorts gibt es hier nicht. Neben dem Gottesdienst und dem Eherecht liegen ihm auch die Armenfürsorge und das Schulwesen am Herzen. Geradezu revolutionär für diese Zeit: Brenz führt den Unterricht für Mädchen ein. Er legt einen Katechismus zur Erziehung der Jugend vor, der bis heute in Württemberg gelesen und der zum Exportschlager weit darüber hinaus wird. Mehr als 500 Ausgaben sind davon seither erschienen.

In diesen Jahren wächst des Reformators „Ruf als ausgleichender Berater und kompetenter Gutachter“ (Schröder). Viele Fürsten und Reichsstädte suchen seinen Rat, bei praktisch allen bedeutenden politisch-religiösen Ereignissen der Zeit, ob öffentlichen Streitgesprächen oder Reichstagen, ist Brenz beteiligt. 1530 unterstützt er Philipp Melanchthon beim Abfassen des Augsburger Bekenntnisses, der zentralen Bekenntnisschrift des Protestantismus. Und alledem bleibt er stets bescheiden.

Eine Stimme für Toleranz

In wichtigen Konflikten dieser Jahre wird Johannes Brenz zu einer Stimme der Toleranz. Im Bauerkrieg stellt er sich trotz Sympathien für den gemeinen Mann auf die Seite der Obrigkeit, ruft die Fürsten aber zur Mäßigung auf. Er schreibt gegen die Hinrichtung von radikalreformatorischen Täufern. Ähnlich bei der Hexenverfolgung: Brenz lehnt Folter ab, plädiert für milde Strafen.

Bald nachdem Herzog Ulrich 1534 Württemberg zurückerobert und die Reformation eingeführt hatte, holte er sich Rat bei Johannes Brenz. Revanchieren konnte sich der Herzog einige Jahre später, als der Reformator nach der Niederlage der Protestanten im Schmalkaldischen Krieg per Haftbefehl vom katholischen Kaiser gesucht wurde und aus Schwäbisch Hall fliehen musste. Herzog Ulrich versteckte den Verfolgten an verschiedenen Orten, was für ihn selbst riskant war. In der zu Württemberg gehörenden burgundischen Grafschaft Mömgelgard lernte Brenz Ulrichs Nachfolger, den späteren Herzog Christoph, persönlich kennen.

Freundschaft mit Herzog Christoph

Dem hatte der misstrauische Vater das Versprechen abverlangt, dass er am evangelischen Glauben festhalten werde. Christoph, der nach der Vertreibung des Vaters aus Württemberg lange Jahre am Habsburger Hof in Innsbruck gelebt hatte, besaß deutlich größeres diplomatisches Geschick als Ulrich. Als sein Vater 1550 starb, konnte Christoph das Herzogtum bald aus der Umklammerung der Habsburger lösen. Sogleich machte er Johannes Brenz zu seinem Berater und nahm eine Neuordnung der Staats- und Kirchenverwaltung in Angriff. 1553 machte er den theologischen Kopf dieses Wandels zum Stiftsprobst, zum höchsten Geistlichen im Land.

Herzog Christoph und Johannes Brenz bildeten in der Folge ein kongeniales, in enger Freundschaft verbundenes Gespann. Als 1559 die „Große Kirchenordnung“ Württembergs fertig war, lag mit dem großformatigen, 568 Seiten starken Prachtband eine im 16. Jahrhundert einzigartige Gesetzessammlung vor, die neben den kirchlichen Angelegenheiten auch das Eherecht, die Armenpflege und das Schulwesen regelte. Diese neue Kirchenordnung, die Vorbild wurde für viele andere wie etwa der Schwedischen, hat freilich Vor- und Nachteile. Der Kirchenaufbau war hierarchisch und stärkt die Obrigkeit. Den Gemeinden ließ sie wenig Spielraum. Aber die in Schulen umgewandelten Klöster, sagt Tilman Schröder, gehörten bald „zu den effizientesten Bildungseinrichtungen Europas“.

Begraben unter der Kanzel

Mit Johannes Brenz fand Württemberg, wo die Reformation relativ spät einsetzte, gewissermaßen den Anschluss an das reformatorische Weltgeschehen und konnte dort eigene Akzente setzen. Als der Architekt der Württembergischen Landeskirche 1570 starb, wurde er auf eigenen Wunsch unter der Kanzel der Stiftskirche beigesetzt. Von dort aus wollte er jedem, der eine ihm widersprechende Lehre verkündete, ein „Du lügst!“ entgegenschleudern.