Am Berliner Bahnhof Südkreuz setzt die Bundespolizei seit Dienstag erstmal eine automatische Gesichtserkennung ein. Foto: dpa

Seit Dienstag gibt es nun das Pilotprojekt zur automatischen Gesichtserkennung in Berlin. Rechtswissenschaftler Jürgen Taeger erklärt im Interview, dass der flächendeckende Einsatz von Erkennungstechnik jedoch der Verfassung widerspreche.

Stuttgart - Ein flächendeckender Einsatz von Erkennungstechnik widerspricht der Verfassung, betont Jürgen Taeger, Professor für Rechtswissenschaft.

Herr Taeger, sind die Versuche, Reisende durch Kameras mit eingebauter Gesichtserkennung zu identifizieren, überhaupt erlaubt?
Momentan ist es ja ein Pilotversuch, und die Probanden nehmen alle freiwillig teil. Aber sollte sich die Gesichtserkennung als technisch gut erweisen und sollten solche Kameras in größerem Maße öffentlich installiert werden, ist das rechtlich noch zu prüfen.
Welche Bedenken haben Sie?
Ich halte diese Technologie vor allem in Verbindung mit dem neuen Personalausweis- und Passgesetz für rechtlich problematisch: Die letzte Gesetzesänderung ermöglicht den Ermittlungsbehörden nur im Verdachtsfall Zugriff auf die Fotos der Meldebehörden. Dort ist von jedem Bundesbürger ein Foto hinterlegt, das aus seinem Ausweis oder Pass. Kombiniert man diese Möglichkeit mit jenen Kameras, die mit einer automatischen Gesichtserkennung ausgestattet sind, wäre es theoretisch möglich, ein Bewegungsprofil der gesamten deutschen Bevölkerung zu erstellen. Das wäre klar verfassungswidrig, nach dem Grundgesetz und der EU-Grundrechtecharta.
Was hat die neue Datenschutzgrundverordnung der Europäischen Union dem entgegenzusetzen?
Bei dieser Frage geht es um alle datenerhebenden Geräte und Anwendungen wie bei Apps im Smartphone, aber in der Tat auch um Kameras, die Bürger nutzen, an Drohnen beispielsweise. Sie hilft bedingt, da es Ausnahmen und verschiedene Möglichkeiten der Auslegung gibt. Aber immerhin: Seit vielen Jahren forderten Datenschützer ein gesetzlich verpflichtendes „Privacy by Design“: Die entsprechenden Stellen sollten ausschließlich Hard- und Software einsetzen, die nur die unbedingt erforderlichen personenbezogenen Daten speichert. Endlich müssen die verantwortlichen Stellen nun ab 25. Mai 2018 Datenschutz durch Technik gewährleisten. Wer die Anforderungen nicht erfüllt, muss mit erheblichen Bußgeldzahlungen rechnen.
Wird das auch verfolgt?
Das ist das nächste Problem. Die Aufsichtsbehörden bemängeln, dass sie zu wenig Mittel und zu wenig Personal haben, um das auch in der Praxis zu überprüfen. Es wäre außerdem wünschenswert, dass nicht nur die Anwender, sondern auch die Hersteller zu einer datenschutzfreundlichen Grundeinstellung der Geräte verpflichtet werden.
Auch private Sicherheitsdienste wie der der Deutschen Bahn wollen solche Kameras tragen dürfen. Sie haben entsprechende Feldversuche in Köln und Berlin begleitet. Was halten Sie davon?
Die Deutsche Bahn löst das vorbildlich, weil ihr Sicherheitsdienst nur nach einem Stufenplan aufnimmt. Zunächst muss die Aufnahme angedroht werden. Hilft das noch nicht, eine Deeskalation im Bahnhof herbeizuführen, wird der Monitor angeschaltet, aber noch nicht gefilmt. Das führt in aller Regel schon zur Beruhigung der Situation. Erst wenn auch das nicht hilft, wird tatsächlich aufgenommen, allerdings ohne Ton. Aber auch diese Aufnahmen könnte dann nur die Bundespolizei im Rahmen einer Strafverfolgung ansehen und auswerten.