Donald Trump verurteilt die Gewalt auf beiden Seiten und ruft zur Einheit des Landes auf. Foto: AFP


Donald Trump hat die Saat der Gewalt und Spaltung in den USA gesät. Jetzt geht sie auf. Der US-Präsident will dies aber nicht wahrhaben, kommentiert unser USA-Korrespondent Karl Doemens.

Washington - Eine Frau war tot, und Dutzende weitere Menschen lagen im Krankenhaus, als Donald Trump am Samstag endlich vors Mikrofon trat. In den 18 Stunden zuvor waren Hunderte Rechtsextreme mit Fackeln und Hakenkreuzfahnen marodierend durch ein friedliches College-Städtchen in Virginia gezogen, hatten „Sieg Trump!“ gegrölt und die Bevölkerung mit einer bewaffneten Miliz in paramilitärischen Uniformen schikaniert. Doch als der US-Präsident nun endlich auftauchte und um einen direkten Kommentar zum Terror der weißen Rassisten in Charlottesville gebeten wurde, wandte er sich wortlos ab.

Sonst schreckt Trump vor keiner Zuspitzung zurück. Gerade erst hat er dem nordkoreanischen Machthaber mit der Apokalypse gedroht. Dieses Mal aber zeigte er keine Empörung, wie sie bei einem mutmaßlich arabischen Attentäter unausweichlich gewesen wäre. Und er konnte sich nicht zu einer Verurteilung von weißem Überlegenheitswahn, Islamhass und Neonaziparolen durchringen, die von den Trump-Fans der Alt-Right-Bewegung oder vom Ku-Klux-Klan verbreitet werden. Für Stunden fand Trump nicht einmal ein Wort des Mitgefühls für die Opfer. Stattdessen eine abstrakte Absage an die Gewalt „auf vielen Seiten“ und ein diffuses Bedauern. „Sad“ sei das irgendwie alles – traurig.

Trumps Erfolgsrezept zerstört die Gesellschaft

Trumps Schweigen ist kein Zufall. Er selbst hat mit nationalistischen Parolen, der Verleumdungskampagne gegen seinen angeblich unamerikanischen Vorgänger Barack Obama und der Beförderung des „Breitbart“-Ideologen Stephen Bannon ins Weiße Haus die spalterische Saat gesät, die nun aufgeht. Und er hat die krebsartige Wucherung des Hasses in der amerikanischen Gesellschaft mit maßlosen Ausfällen gegen seine Gegenkandidatin Hillary Clinton („Werft sie in den Knast!“), die Medien („Feinde des Volkes“) und ausländische Straftäter („Tiere“) befördert. Trumps morgendliche Tweets sind das toxische Aufputschmittel aller Wutbürger und Politikverächter im Land.

Der Baulöwe und Ex-Fernsehstar hat die Spielregeln des politischen Diskurses außer Kraft gesetzt. Er beleidigt, er lügt, er pöbelt und er hetzt. Er ruft zur Polizeigewalt auf und nennt das nachher einen Scherz. Er diskriminiert Minderheiten und feiert das als Sieg über die politische Korrektheit. Er inszeniert sich als Raufbold, der es jedem Gegner mit doppelter Härte heimzahlt. „Feuer und Wut“ lautet sein Motto nicht nur in der Auseinandersetzung mit Nordkorea. So hat es der Milliardär ins Weiße Haus geschafft. Kein Wunder, dass seine rechten Anhänger sich jeden Tag mehr beflügelt fühlen.

Er will seine Basis auf keinen Fall verprellen

Der amerikanische Präsident will seine Basis, zu der auch Rassisten und Neonazis gehören, auf keinen Fall verprellen. Je weniger er objektiv umgesetzt bekommt, desto dringender muss er sie mit politischem Spektakel und der emotionalen Aufladung der Konflikte bei Laune halten. Geordnete Verfahren im Inneren und im Äußeren interessieren ihn nicht. Statt mühsamer Absprachen mit dem Kongress und diplomatischer Verhandlungen mit anderen Nationen setzt er auf Konfrontation. Dann steht Gut gegen Böse. Das ist spannend wie in einer Reality-TV-Show, aber auch brandgefährlich. Den FBI-Chef hat der erzwungene Showdown den Job gekostet. Im Falle Nordkoreas könnte er zu einem wahnsinnigen Krieg führen.

Nach sechs Monaten Trump-Regierung ist die Gefahr eines Bürgerkriegs im Inneren und eines atomaren Konflikts im Äußeren so real wie nie. Dazu droht der Präsident dem souveränen Venezuela mit einer militärischen Intervention. Die linksliberale Öffentlichkeit in den USA aber wirkt paralysiert, und Trumps Parteifreunde kuschen. Bis jetzt ist niemand in Sicht, der die verhängnisvolle Entwicklung stoppen könnte. Und es ist nicht absehbar, wann das Maß der Tabubrüche erreicht sein könnte.