Die italienischen Behördern agierten bei der Operation „Stige“ in fünf Regionen. Foto: Carabinieri

Millionen von Euro wurden beschlagnahmt, 169 Verdächtige wurden festgenommen: Die Razzia gegen die `Ndrangheta in Italien und Deutschland zeigt, wie weit und gut verzweigt das Wirtschaftsnetz der Mafia ist.

Rom - Die Italiener verstehen es, ihren Ermittlungen von Anfang an die richtigen Namen zu geben. Laut griechischer Sage stellt der Unterwelt-Fluss Styx die Grenze zwischen der Welt der Lebenden und der der Toten dar. Wie ein Fluss sich in der Landschaft verzweigt, ist auch die italienische Mafia in die Wirtschaft Italiens eingedrungen. Wenn es dazu noch Beweise bedurft haben sollte, lieferte diese nun die Operation „Stige“, wie Styx auf italienisch heißt.

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Insgesamt wurden bei der Aktion laut den italienischen Behörden am Dienstag 169 Personen festgenommen. Unter den Verhafteten sollen sich auch mindestens zwei Bürgermeister befinden, wie italienische Medien berichteten. Im Zentrum der Ermittlungen steht der Mafia-Clan Farao-Marincola, der vor allem in der Hafenstadt Cirò Marina in der Provinz Crotone. Mehr als 50 Millionen Euro wurden beschlagnahmt. Dem Clan, der zur kalabrischen `Ndrangheta zählt, ist es den italienischen Carabinieri zufolge gelungen, mit Mafia-Methoden Einfluss auf bedeutende italienische Wirtschafts- und Handelszweige zu nehmen und diese unter seine Kontrolle zu bringen. Die Ermittlungen hätten ein weit verzweigtes Netz von Gewerbetreibenden aufgedeckt, die in die Mafia-Aktivitäten verwickelt seien oder die Kriminellen zumindest gewähren ließen, hieß es am Dienstag.

Weit verzweigtes Netz

Laut den Ermittlern hat sich der Clan ein weites unternehmerisches Netz aufgebaut, mit dem er in der Lage ist, Restaurants und Pizzerien zu zwingen, diverse Produkte aus Crotone zu kaufen. Mit der Erpressung und er Einflussnahme auf die Gastronomie in Italien und im Ausland hat sich der Clan quasi selbst einen Absatzmarkt für das florierende Geschäft in der so genannten „Agromafia“, der organisierten Kriminalität in der Landwirtschaft, geschaffen.

„Vom Wein über Pasta bis hin zur Gastronomie betreibt die Agromafia ein Business von 21,8 Milliarden Euro Umsatz im Jahr 2017. Das sind 30 Prozent mehr als im Vorjahr“, heißt es dazu am Dienstag vom Bauernverband Codiretti. Entlang der gesamten Lebensmittelkette, von der Produktion über den Transport, und den Vertreib, hätte die Mafia ihre Strukturen aufgebaut.

Die Kleinstadt Cirò Marina in Kalabrien hat knapp 15.000 Einwohner. Bürgermeister Nicodemo Parrilla ist seit einem Jahr auch Präsident der Provinz Crotone. Und seit Dienstag einer der 169 festgenommenen Verdächtigen. „Er ist einer der Repräsentanten des Clans im Herzen der kommunalen Verwaltung von Cirò Marina“, so die Ermittler. Die `Ndrangheta, der mächtige Mafia-Clan aus Kalabrien, sei bis in die hohen gesellschaftlichen Schichten verwoben, sagt auch Nicola Gratteri, der für die Ermittlungen zuständige Staatsanwalt von Catanzaro.

Mafia wird im Ausland wenig behindert

Abgesehen von der großen Zahl der festgenommenen Personen, weist Gratteri aber auch auf die Dimension der Operation „Stige“ hin, bei der nicht nur fünf italienische Regionen, sondern auch diverse Behörden in Deutschland zugsammengearbeitet haben. „Die `Ndrangheta agiert in Europa schlimmer als man es sich vorstellen mag.“ In Deutschland, in der Schweiz, in Holland, Spanien oder Portugal habe sich diese Mafia verwurzelt und strukturiert – auch weil sie dort wenig behindert würde. „Wir haben oft Schwierigkeiten, mit den Behörden zu interagieren, weil in vielen Staaten ein ganz anderes Justizsysteme herrscht als bei uns in Italien“, sagt Gratteri mit Verweis auf die zahlreichen Anti-Mafia-Gesetze, die in den vergangenen Jahren in Italien erlassen worden sind und schon zu einigen Ermittlungserfolgen führten.

„Bei diesen Ermittlungen wurde zum ersten mal ein neues Rechtsinstrument verwendet, die Europäische Ermittlungsanordnung“, sagte Philip Spiezia, Vizepräsident von Eurojust, der zur Pressekonferenz der Ermittlungsgruppe zugeschaltet wurde. Diese Anordnung ist seit Mai 2017 in Kraft und erleichtert den Justizbehörden die Suche nach Beweisen in anderen EU-Mitgliedstaaten. Auch Rosy Bindi, Präsidentin der parlamentarischen Anti-Mafia-Kommission, nannte die Operation einen großen Erfolg gegen die „mächtigste und grausamste italienische Mafia“. Die Ermittlungen hätten die komplexen unternehmerischen Verästelungen und die vielfältigen Interessen des Clans Farao-Marincola ans Licht gebracht, die sich von Cotrone aus in andere italienische Regionen und auch nach Deutschland erstrecken. „Die Ermittlungen bestätigen den Drang der `Ndrangheta, weit über Kalabrien hinaus zu expandieren“, so Bindi. Ausgehend vom Machtzentrum, der kleinen Stadt Cirò Marina.