Klare Botschaft: der Dortmunder Jadon Sancho Foto: Ralf Ibing

Zahlreiche prominente Sportler protestieren nach dem Tod von George Floyd gegen Polizeigewalt in den USA – auch einige Bundesliga-Fußballer. Jetzt steckt der Deutsche Fußball-Bund in einem Dilemma.

Stuttgart - Wer nicht wüsste, um welch hochbrisantes Thema es sich handelt, der könnte glatt meinen, es ginge um einen nicht korrekt abgeklebten Ohrring eines Profis oder ein fehlerhaft aufgehängtes Tornetz. Die Mitteilung des Deutschen Fußball-Bunds (DFB) zur Thematik liest sich so staubtrocken und unspektakulär, wie es der Name des zuständigen Gremiums schon vermuten lässt. „Der Kontrollausschuss des DFB wird sich im Laufe der nächsten Tage dieser Angelegenheit annehmen und den Sachverhalt prüfen“, sagte der Vorsitzende des besagten Kontrollausschusses, Anton Nachreiner.

Der Sachverhalt und die Angelegenheit – tatsächlich geht es dabei um nicht weniger als eine hochbrisante, wegweisende politische Botschaft, die der DFB und die Deutsche Fußball-Liga (DFL) nach der Prüfung der Geschehnisse vom Bundesliga-Wochenende aussenden werden.

T-Shirts mit Botschaft

Mehrere Profis haben den 29. Spieltag genutzt, um gegen den gewaltsamen Tod des US-Bürgers George Floyd bei einem Polizeieinsatz in Minneapolis zu protestieren. Weston McKennie (FC Schalke 04) trug eine Armbinde mit der Aufschrift „Justice for George“ (Gerechtigkeit für George), Mönchengladbachs Marcus Thuram fiel nach seinem Tor im Spiel gegen Union Berlin auf ein Knie – und die beiden Dortmunder Torschützen Achraf Hakimi und Jadon Sancho brachten beim 6:1 in Paderborn ihren Unmut und ihren Kampf gegen Rassismus auf einem T-Shirt mit derselben Botschaft wie McKennie zum Ausdruck.

Lesen Sie hier: Bayern-Star Leon Goretzka fordert Haltung

Nun steckt der DFB in einem Dilemma. Denn grundsätzlich erlaubt der Verband laut Statuten keine politischen Botschaften auf der Spielkleidung oder während der Partien. In der Vergangenheit wurde allerdings auch schon ein Auge zugedrückt – zumal die Verbände zahlreiche Kampagnen gegen Rassismus unterstützen.

Müssen die Profis bestraft werden?

Eine mögliche Bestrafung der Profis würde nun in der öffentlichen Wahrnehmung wohl alle Antirassismusaktionen von Liga und Verband konterkarieren. Eine Sanktion für eine auch von Liga und Verband in der Vergangenheit mehrfach geäußerte Haltung – sie wäre so etwas wie ein moralischer Widerspruch an sich. Der DFB also würde, etwas überspitzt formuliert, seine eigene Grundhaltung gegen Rassismus sanktionieren.

DFB-Präsident Fritz Keller zeigte am Montagabend Verständnis für die Aktionen der Profis: „Ich habe großen Respekt vor Spielern, die Haltung haben und ihre Solidarität zeigen.“ Moralisch könne er die Aktionen „absolut verstehen. Was in den USA passiert ist, kann niemanden kalt lassen“, so Keller weiter.

Vorbild Colin Kaepernick

Klar ist: Das Narrativ vom unpolitischen Sport gilt schon lange nicht mehr – in den USA sowieso nicht, wo der Footballprofi Colin Kaepernick 2016 eine Protestwelle gegen Unterdrückung von Schwarzen und gegen Polizeigewalt in den USA gestartet hatte, als der heute 32-Jährige während der Nationalhymne auf ein Knie gegangen war.

Das tat nun im Mönchengladbacher Borussia-Park Stürmer Marcus Thuram – und erntete wie seine Mitstreiter Sancho, Hakimi und McKennie Lob und Zuspruch von Profis und Clubverantwortlichen. Die Bundesliga ist, wenn man so will, über Pfingsten politischer geworden denn je. Die Botschaften waren eindeutig.

Unterstützung aus den eigenen Clubs

„Wenn man sich öffentlich gegen Rassismus stellt, dann ist das schon sehr in Ordnung“, meinte Gladbachs Trainer Marco Rose. Bayern Münchens Vorstandsmitglied Oliver Kahn sagte: „Ich würde mir wünschen, dass die Spieler häufiger solche Verantwortung übernehmen. Denn wir alle wissen, was für eine Wirkung sie haben.“ Sogar der Weltverband Fifa, der den nationalen Verbänden die Verbotsregeln für politische Botschaften vorgab, verbreitete einen Post von Frankreichs Weltmeister Kylian Mbappé mit #JusticeForGeorge weiter.

Auch Oliver Ruhnert, Geschäftsführer von Union Berlin, zeigte klare Kante. „Wenn der DFB-Kontrollausschuss jetzt dagegen ermittelt, muss man sich fragen, ob wir die gleichen Werte haben“, sagte er und ergänzte: „Es geht um ein globales Thema: das Nein zu Rassismus.“

Lesen Sie in unserem Plus-Angebot: Das sagt Cacau dazu

Die TSG Hoffenheim machte dies mit einem Twitter-Beitrag noch am Sonntagabend deutlich, die Vereine der betroffenen Spieler unterstützten die Aktionen sowieso. So sagte Schalkes Sportchef Jochen Schneider zur Armbinde von McKennie: „Wir als Schalke 04 unterstützen die Haltung unseres Spielers zu einhundert Prozent. Der gewaltsame Tod des US-Bürgers George Floyd hat die Menschen weltweit schockiert. Unser Spieler Weston McKennie hat gestern ein klares Zeichen gegen diese unfassbare Tat und gegen Rassismus gesetzt.“ McKennie selbst schrieb nach seiner Aktion auf Twitter: „Wir müssen für das einstehen, woran wir glauben, und ich glaube, dass es an der Zeit ist, dass wir gehört werden.“

Internationale Aufmerksamkeit

Im Ausland wurden McKennie und Kollegen gehört. So titelten etliche Medien in England, Spanien oder Frankreich mit großen Lettern von den Aktionen aus der Bundesliga. Auch in Japan, Nigeria, Indien, Australien und, klar, den USA, wurde über die Haltung der Liga-Profis groß und prominent berichtet.

Wie es jetzt in Deutschland weitergeht? Die Entscheidung des DFB-Kontrollausschusses steht aus – zur Orientierung dient womöglich ein Fall aus der Vergangenheit. Anthony Ujah (heute Union Berlin) zeigte 2014 als Spieler des 1. FC Köln ein Shirt mit der Aufschrift „I can’t breathe“ („Ich kann nicht atmen“) und protestierte gegen Polizeigewalt in den USA. Seinerzeit wurde Eric Garner auf ähnliche Weise getötet wie nun Floyd. Der DFB entschied milde: Er beließ es bei einer Ermahnung und einer Erinnerung an das Verbot von politischen Statements. Kontrollausschusschef Nachreiner sagte: „Wir werden ein Rundschreiben rausschicken, damit diese Dinge aufhören.“

Anthony Ujah macht sechs Jahre später weiter. Er postete nun sein Foto aus dem Jahr 2014 im Netz – und fügte den Namen George Floyd hinzu.