Der Stuttgarter Rapper Courtier alias Simon Marian Hoffmann sagt: „Corona ist ein Aufatmen für die Erde!“ Foto: Ansgar Wörner

Die Herzen junger Klimaschützer hat er berührt und die Hymne von Fridays for Future geschrieben. Mit Sänger Courtier, der in Stuttgart neue Stücke aufnimmt, sprachen wir über die Coronakrise, Weltschmerz und die Wut der Jugend.

Stuttgart - Der Club Kowalski auf dem Areal der alten Bahndirektion steht noch. Seit Jahren wird über den Abriss geredet und darüber, was im Windschatten von Stuttgart 21 am angestammten Platz dieser Nachtlegende gegenüber vom Bonatz-Bau neu entstehen soll. Kowalskis Ende hat Aufschub bekommen – und hat doch nix in der Pandemie davon, da das gesamte Partyleben ruhen muss.

Courtier alias Simon Marian Hoffmann steuert das Kowalski an. Nein, auftreten kann der 25-jährige Stuttgarter, der als Aktivist auf großen Klimaschutz-Demos quer durch die Republik die Fridays-for-Future-Hymne „System Change“ gesungen hat, dort nicht. Direkt über dem Club befindet sich ein Studio, in dem der Rebell mit der emporragenden Haarwildnis seinen Produzenten trifft. Zu zweit nehmen sie mit E-Musik neue Tracks auf. Es wird über sechs Stunden lang dauern. Eigentlich wollte Hoffmann abends ein Interview geben, doch er sagt ab und entschuldigt sich per Whatsapp: „Künstlerische Prozesse sind manchmal nicht kontrollierbar.“ Bis spät in die Nacht, erzählt er anderntags, habe er eine „musikalische Superphase“ gehabt.

„Die Fridays-for-Future-Demos haben nur wenig gebracht“

Courtier heißt auf Deutsch Höfling. Die Höflinge des Königs liebten dekadente Feiern. Der Künstlername steht im ironischen Gegensatz zu einem jungen Mann, der alles andere will, als Herrschenden unterwürfig zu dienen. Der Rapper will Musik machen, „die Relevanz hat und Wirkung erzielt“.

Der Veganer kämpft für Tierschutz und für rasche Maßnahmen, die dem Klima ohne Blabla und ohne Verzögerungen helfen. Hoffmann kämpft gegen Plastikwahnsinn und eine Politkaste, „die junge Themen nicht ernst nimmt“. Die Wut der Jugend dürfe nicht unterschätzt werden, auch nicht ihr Wille zum Aufstand, wenn sich nichts ändert. In der Pandemie pausieren die Fridays-for-Future-Demos. „Sie haben sowieso nicht viel gebracht“, sagt er resigniert.

„Vor der Bundestagswahl müssen wir richtig loslegen“

Gleich im nächsten Moment bäumt sich seine Stimme angriffslustig auf. „Vor der Bundestagswahl müssen wir so richtig loslegen“, fordert Courtier, „und den Parteien klarmachen, dass wir, die Jungen, in 50 Jahren noch leben und nicht warten können, bis alles zu spät ist.“ Die Krise könnte dabei helfen, findet er: „Corona ist für die Erde ein Aufatmen!“ Jetzt komme es darauf an, neue Formen des Lebens und der Kultur zu entwickeln. „Nach der Pandemie wird erst einmal Schluss sein mit Riesenmassenveranstaltungen“, prophezeit er, „das gibt uns die Chance, neue und kleinere Kulturoasen auch auf dem Land zu schaffen.“

Anfang April ist sein Song „Weltschmerz“ erschienen, den er mit der Berliner Musikerin Abenaa, seiner Freundin, aufgenommen hat und in einem eindringlichen Schwarz-Weiß-Videofeature performt. „Weltschmerz hält mich nächtelang wach“, singen die beiden, „Weltschmerz hat mich zum Aktivisten gemacht.“ Was hilft, singen sie auch: „Liebe ist Weltschmerz-Medizin, lass sie zu, wir fluten unser Herz mit ihr.“

Das Schimpfwort „Schwuchtel“ hat er nicht vergessen

Zieht Weltschmerz mit depressiven Anklängen einen nicht tief runter und blockiert mit dieser Traurigkeit den Spaß am Verändern? „Ganz im Gegenteil“, antwortet der 25-Jährige, der abwechselnd in Berlin mit seiner in Deutschland geborenen Freundin mit ghanaischen Wurzeln lebt oder im Zimmer bei seinem Vater in Stuttgart, und erklärt: „Wenn man Weltschmerz an sich heranlässt, auch mal weint, kann dies die Schwere nehmen. Gute Laune kommt dann von ganz allein – und auch Energie!“

Auch bei ihm habe es gedauert, bis er weinen konnte, bis er sich „aus toxischer Männlichkeit“ befreite. Das Schimpfwort „Schwuchtel“ hat er nicht vergessen, das in den Schulen diejenigen Jungs traf, die ihre weichen Seiten nicht versteckten. Courtier ist redegewandt, kaum zu stoppen, wenn er im Sprachfluss vorwärtstreibt. „Als weißer, junger Mann hab ich ein krasses Privileg“, sagt er, „damit will ich Gutes bewirken.“ Seine Musik verschenkt er, lebt „minimalistisch“ als Student und doch in „Superfülle“, verdient Geld mit Vorträgen und Filmen.

Der Neustart nach Corona sollte genutzt werden

Auch wenn sein erstes Album „Phönix“ mit zehn Titeln in Kürze erscheint, geht er jetzt ins Musikstudio, um über dem Kowalski Neues aufzunehmen. Mit dem Verein Demokratische Stimme der Jugend schlägt er die „Jugendrente“ vor. Über Stiftungen sollen junge Menschen mit einem monatlichen Betrag unterstützt werden, auf dass sie etwas Sinnvolles für die Gemeinschaft tun.

Corona hat die Welt gestoppt. Der Neustart muss genutzt werden, so lautet eine seiner Botschaften. Aus Weltschmerz, lehrt der Rapper, der sich schon einmal vor dem Bundestag angekettet hat, kann Power werden. Courtier liefert den Soundtrack zur Generation, die sich nicht vertrösten lässt.