Auch die Videoüberwachung in öffentlichen Verkehrsmitteln kann an Grenzen stoßen. Foto: dpa/Marijan Murat

Hat ein Linienbusfahrer in Stuttgart sich während der Fahrt an einer jungen Frau vergriffen – oder gab es nur freundschaftliche Umarmungen? Ein ungewöhnlicher Fall wirft nicht nur viele Fragen auf, sondern zeigt auch die Grenzen der Videoüberwachung.

Stuttgart - Es ist ein später Samstagabend im September. Eine junge Frau steigt in Stuttgart in einen Linienbus. Es ist die letzte Fahrt in dieser Nacht. Die Strecke wird von einem privaten Unternehmen im Auftrag der Stuttgarter Straßenbahnen (SSB) bedient. Als die Studentin die Haltestelle erreicht, an der sie aussteigen will, ist sie der einzige Fahrgast. Was dann passiert, ist höchst umstritten.

Am nächsten Tag jedenfalls erscheint die junge Frau bei der Polizei und erstattet Anzeige gegen den Fahrer, weil er sie sexuell belästigt haben soll. Er soll sie gegen ihren Willen umarmt, das Öffnen der Tür verweigert und ihr an die Brust gefasst haben. Erst nach Gegenwehr habe er sie schließlich ins Freie gelassen.

Die Beamten fangen sofort an zu ermitteln – und haben vermeintlich leichtes Spiel. Denn es gibt ein Überwachungsvideo aus dem Bus, auf dem die Fahrt aufgezeichnet ist und das gesichtet werden kann. Doch ganz so klar erscheint die Situation darauf mutmaßlich nicht. Unzweifelhaft halte sich die junge Frau vorn in der Nähe des Fahrers auf, offenbar kenne man sich zumindest vom Sehen und unterhalte sich. Es folgten eine Umarmung und eine unübersichtliche Situation im Ausstiegsbereich, bis die Tür sich schließlich öffne und die Studentin den Bus verlasse. Ein Begrapschen der Brust sei nicht eindeutig zu erkennen. So ist es aus Ermittlerkreisen zu hören.

Busfahrer wehrt sich

Die Staatsanwaltschaft prüft die Bilder wiederholt – und kommt zum Schluss, dass der Busfahrer zu weit gegangen ist. Sie leitet ein Ermittlungsverfahren ein und beantragt einen Strafbefehl beim Amtsgericht. Der wird auch erlassen. „Der Busfahrer hat einen Strafbefehl wegen sexueller Belästigung und Nötigung bekommen“, sagt eine Gerichtssprecherin. Ein schwerer Vorwurf, der das Vertrauen gerade von Frauen in die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel erschüttern kann. In dem betroffenen Stadtgebiet spricht sich der Vorfall herum, Empörung macht sich breit.

Doch der Busfahrer wehrt sich vehement gegen die Vorwürfe. Er bestreitet, die junge Frau belästigt zu haben. Gegen den Strafbefehl hat er Einspruch eingelegt. Und tatsächlich kann das Video aus dem Bus offenbar keine abschließende Sicherheit liefern, was sich zwischen den beiden Beteiligten wirklich abgespielt hat. Was ist da freiwillig passiert, was nicht? Und was ging von wem aus? Diverse Verfahrensbeteiligte interpretieren die Bilder unterschiedlich – und einen Ton, der vielleicht mehr Klarheit bringen könnte, gibt es nicht.

Auch arbeitsrechtliche Folgen

Neben der strafrechtlichen Verfolgung hat der Vorfall für den Fahrer weitere Folgen. Das Busunternehmen gibt an, der Mann arbeite seit vielen Jahren ohne jegliche Zwischenfälle bei der Firma. Auch dort hat man das Video gesehen und hält die Darstellung des Mitarbeiters für nachvollziehbar. Nach dem Erlass des Strafbefehls habe der Vorfall nun aber „arbeitsrechtliche Konsequenzen“, heißt es dort.

Bei den SSB, die für insgesamt acht ihrer Buslinien Privatunternehmen beauftragt haben, will man den konkreten Fall nicht kommentieren. Nur so viel: Wie bei solchen Vorgängen vorzugehen sei, könne man in den Verträgen mit den Partnern nicht pauschal abdecken. Dafür sei die Situation viel zu speziell. Über Konsequenzen entschieden werden müsse deshalb jeweils individuell vom entsprechenden Unternehmen und von den Ermittlungsbehörden.

Wie das im Fall der fraglichen Septembernacht endet, ist derzeit offen.