Der Radschnellweg Ruhr soll bis 2020 fertig gestellt werden. Foto: Regionalverband Ruhr, Lg/Piechowski

Schnelle Radverbindungen können einen Beitrag zur staufreien und klimaschonenden Mobilität leisten. Doch was macht eigentlich einen Radschnellweg aus? Eins ist sicher: Es reicht nicht, asphaltierte Feldwege mit einem neuen Etikett zu versehen.

Stuttgart - Wenn das Karl Drais noch erlebte! 200 Jahre nach seiner Erfindung entwickelt sich das Fahrrad vom Freizeit- zum alltagstauglichen Massenfortbewegungsmittel. 39 Prozent der Deutschen fahren mit dem Fahrrad mittlerweile zur Arbeit oder Ausbildungsstätte, wie eine repräsentative Umfrage („Fahrrad-Monitor“) des Sinus-Instituts im Jahr 2015 ergab – deutlich mehr als zwei Jahre zuvor. Die wachsende Verbreitung der E-Bikes, die einen viel größeren Aktionsradius ermöglichen, dürfte die Nutzungsgewohnheiten noch einmal drastisch verändern.

Aus den Umfragen lässt sich aber auch ablesen, dass sich die Radler dringend den Bau neuer Wege und Abstellanlagen wünschen. Die Politik wiederum steht unter Druck, vor allem in Ballungszentren den von Staus und Feinstaub geplagten Pendlern Alternativen zum Auto zu bieten. Da liegt es nahe, die Infrastruktur für Fahrräder vom Freizeit- auf den Berufsverkehr umzurüsten – mit sogenannten Radschnellverbindungen. Die Landesregierung sieht darin ein „geeignetes Instrument, um entlang wichtiger Achsen des Alltags- und Pendlerverkehrs die Nutzung des Fahrrads über größere Entfernungen zu fördern“, erklärte kürzlich Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne). Radschnellwege, wie man die Highways landläufig nennt, sollen zu einem „wichtigen Baustein“ des künftigen Wegenetzes werden. Zehn solcher Verbindungen, so das Ziel, sollen bis zum Jahr 2025 entstehen.

Fahrradstraßen kosten bis zu eine Million Euro pro Kilometer

Draußen im Land herrscht darüber geradezu Euphorie. Kaum eine Region, die nicht schon mögliche Strecken erkundet oder Studien in Auftrag gegeben hätte. So planen die großen Städte im Rhein-Neckar-Dreieck eine schnelle Radverbindung von Heidelberg bis ins pfälzische Schifferstadt. Auch Friedrichshafen hat sich eine Trasse ausgedacht. Im Kreis Esslingen träumt man ebenso von schnellen Radverbindungen wie in Göppingen, Ludwigsburg und Böblingen. Und Freiburg hat bereits Nägel mit Köpfen gemacht und zwei „Rad-Vorrang-Routen“ quer durch die Stadt eröffnet.

Erst kürzlich wandten sich die beiden Regionalverbände Mittlerer und Südlicher Oberrhein mit der Bitte an Landtag und Landesregierung, die gesetzliche Grundlage zur Finanzierung solcher Schnellstraßen zu ändern. Soll heißen: Das Land möge zahlen. Beflügelt wurden die südbadischen Planer von einem Gast aus Nordrhein-Westfalen, der ihnen die Vorzüge des Radschnellwegs Ruhr (RS1) geschildert hatte. Die 101 Kilometer lange Verbindung zwischen Duisburg und Hamm ist zwar noch nicht fertig, aber auf dem besten Weg, Deutschlands erste echte Fahrradschnellstraße zu werden.Ein paar Fragen stehen allerdings schon noch im Raum. Schließlich kosten diese Fahrradstraßen Geld – zwischen 500 000 und einer Million Euro pro Kilometer, schätzt das Stuttgarter Verkehrsministerium. Das ist zwar weit weniger als für Autobahnen, für die man leicht das Zehnfache kalkulieren muss. Doch mit den üblichen Töpfen von Bund und Ländern, wo für den Radverkehr bislang kaum mehr als Brosamen bleiben, kommt man nicht weit. Radschnellverbindungen könnten im Rahmen dieser Finanzierungsinstrumente „nur in sehr beschränktem Umfang realisiert werden“, räumt das Ministerium ein.

Die Niederlande gelten als Vorbild

Und was ist überhaupt ein Radschnellweg? Eine juristische Definition dafür gibt es nicht. Allerdings hat sich in den vergangenen Jahren bundesweit ein Standard herausgebildet. Den roten Faden legt dabei ein Arbeitspapier der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) aus dem Jahr 2014. Danach sollen sie mindestens fünf Kilometer lang sein, eine durchschnittliches Tempo von mindestens 20 Kilometern pro Stunde erlauben und so breit sein, „dass zwei Fahrräder nebeneinander verkehren und ohne Störung durch ein drittes Fahrrad überholt werden können“.

Großes Vorbild sind die Niederlande, wo es bereits Dutzende „Fietssnelwegen“ gibt. „Radschnellwege sind dort ein geeignetes Infrastrukturelement, wo große Pendlerströme über kleine und mittlere Distanzen unterwegs sind, zum Beispiel radial in große Städte“, sagt Gudrun Zühlke, die Landesvorsitzende des ADFC.

Doch hat auch das hügelige Autoland Baden-Württemberg dafür Bedarf? Um das zu klären, hat die Landesregierung vor Kurzem eine Potenzialanalyse in Auftrag gegeben. In einer ersten Stufe sollen dabei 30 bis 50 mögliche Verbindungen betrachtet werden. Für die zehn, die dabei am besten abschneiden, will man die Kosten detaillierter schätzen, heißt es auf Anfrage im Verkehrsministerium.

Zahllose praktische Fragen

Daneben gibt es zahllose praktische Fragen: Welcher Service sollte für die Radler unterwegs bereit stehen? Sollte man Wetter-Infos liefern? Welche Fördertöpfe kann man anzapfen? Was müssen Kommunen beachten? „Darauf wollen wir sukzessive Antworten finden und diese auf das Internetportal ‚Radschnellwege in BW‘ stellen“, sagt Raphael Domin vom Verkehrsclub Deutschland (VCD). Er ist Leiter des vom Land finanzierten Projekts „Radschnellwege Baden-Württemberg“, das der VCD zusammen mit dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) erarbeitet. Es wird also noch einige Zeit dauern, bis das Land entscheiden kann, welche Strecken es zu fördern lohnt. Wer letztlich bezahlt, sei noch nicht abschließend geklärt, heißt es im Verkehrsministerium. Mit Genugtuung verweist man darauf, dass es auch im neuen Bundesverkehrswegeplan einen Passus gibt, in dem sich der Bund bereit erklärt, sich am Bau von Radschnellwegen zu beteiligen. In welcher Höhe, ist allerdings noch nicht bekannt.

Und noch eines treibt die Fahrradlobby um: „Es darf nicht weiterhin so sein, dass entlang von Hauptstraßen die Autos grün über große Kreuzungen haben und die Radfahrer zwei Phasen brauchen, um die gleiche Kreuzung in gleicher Richtung zu queren“, sagt die ADFC-Chefin Zühlke. Überall dort, wo man keine richtigen Radschnellwege bauen könne, seien zumindest Radvorrangrouten nötig, um den Radverkehr zu beschleunigen.