Achtung Werbung: Winfried Hermann übergibt einen Radhelm an den Kabarettisten Don Svezia. Foto: Spitzbarth

Landesweite Wettbewerbe sollen die Bürger aufs Rad bringen. Die Mühen der Radfahrer werden im Überschwang gelobt. Die Zahlen deuten aber keineswegs auf eine Massenbewegung hin.

Böblingen - Werbung ist keineswegs der Wahrheit verpflichtet, auch nicht die des Landesverkehrsministers. Für ein Foto übergibt Winfried Hermann einen Fahrradhelm an den Musikkabarettisten Don Svezia – symbolisch. Dazu verlautbart seine Presseabteilung: „Herausforderung angenommen! – Baden-Württemberg antwortet auf die RadCHALLENGE“. Weniger markig formuliert warben Hermann und der Sänger des Comedy-Trios Eure Mütter für den bundesweiten Wettbewerb „Stadtradeln“.

Gleichzeitig hatte das Land seine eigene Aktion ausgerufen, eben die „Rad-Challenge“. An ihr hatten sich 36 Kommunen beteiligt, wie die Pressearbeiter stolz vermerkten. Sie vermerkten nicht, dass Baden-Württemberg 1100 Kommunen zählt. Statistisch hatten damit – gerundet – 97 von 100 möglichen Kandidaten abgewunken. In dieses Bild fügt sich das Werbebild mit Helm. Hermann und Don Svezia hatten offenbar keinen gemeinsamen Termin für den Fotografen gefunden. Die Helmübergabe war eine Fotomontage.

Umgerechnet fuhr jeder Böblinger täglich 41 Meter mit dem Rad

Für das besser bekannte Stadtradeln erwärmten sich nach offizieller Lesart gut 200 Gemeinden in Baden-Württemberg – mithin fast jede Fünfte. Die Bilanz des Stadtradelns im Landkreis Böblingen liest sich im Vergleich dazu geradezu glänzend. Acht von 26 Kommunen standen auf der Anmeldeliste, also ein knappes Drittel, darunter die Städte Sindelfingen, Böblingen und Herrenberg, Leonberg verzichtete. Wohlgemerkt beteiligen sich aber nicht die Gemeinden in Gänze, sondern lediglich deren radbegeisterte Einwohner.

An sie verteilen die Stadtoberen in diesen Tagen Ehrenurkunden samt Dankesreden. Böblingens Oberbürgermeister Stefan Belz lobte „eine beachtliche Leistung“. Etwas mehr als 200 Böblinger waren innerhalb von drei Wochen 43 000 Kilometer geradelt. Statistisch auf die Einwohnerzahl verteilt, wäre damit jeder Böblinger täglich 41 Meter mit dem Rad gefahren. Auf die 50 000 Einwohner der Stadt entfallen 32 200 Autos – ohne Nutzfahrzeuge. Die Zahl der mit ihnen gefahrenen Kilometer erfasst keine Statistik.

Auf jeden Sindelfinger kommen statistisch 1,4 Autos

Jeder Sindelfinger, vom Säugling bis zum Greis, fährt gar statistisch 1,4 Autos. 550 der rund 65 000 Einwohnern stadtradelten 115 000 Kilometer zusammen. Die Stadtverwaltung lobte „das grandiose Ergebnis“ – von 120 Metern pro Tag und Sindelfinger. Bezogen auf die 31 500 Einwohner waren die Herrenberger die fleißigsten Klimaschützer. Exakt 555 von ihnen fuhren 83 200 Kilometer weit. Allerdings entfiel ein Viertel davon allein auf die Schüler der Theodor-Schütz-Realschule. Immerhin scheinen in Herrenberg nahezu beliebige Wachstumsraten möglich. Gemäß städtischer Erhebung steht im Keller jedes Bürgers ziemlich genau ein Fahrrad.

In anderen Landkreisen der Region scheint das Interesse am Stadtradeln ebenfalls keine Massenbewegung, jedenfalls gemessen an der Beteiligung bei der zentralen Kundgebung für das Fahrrad in Stuttgart. Dem Treffen auf dem Schlossplatz war eine Sternfahrt auf gesperrten Straßen vorausgegangen. Rund 3000 von der Polizei eskortierte Radler sorgten an jenem Samstag im Mai zwar für Stau satt im Talkessel, angesichts dessen, dass täglich 250 000 Pendler mit dem Auto nach Stuttgart fahren und 2,8 Millionen Einwohner der Region zur Teilnahme aufgerufen waren, vertraten die Radler aber nur eine verschwindende Minderheit.

3,5 Promille der 83 Millionen Deutschen habe sich beteiligt

Das bundesweite Ergebnis gibt keinen Hinweis darauf, dass das Stadtradeln in anderen Regionen wesentlich beliebter ist. Im vergangenen Jahr hatten sich von den 83 Millionen Deutschen knapp 300 000 an dem Wettbewerb beteiligt. Dies entspricht einem Anteil von 3,5 Promille. Das Gesamtergebnis für dieses Jahr liegt bis jetzt noch nicht vor.

Anders, als es den Anschein hat, ist keine staatliche Institution Veranstalter der Aktion, sondern der europaweit vertretene Verein Klima-Bündnis, dem sich Städte anschließen können. Im Landkreis zählen Herrenberg und Sindelfingen zu den Mitgliedern. Das ursprüngliche Ziel des Bündnisses bei der Gründung war die Rettung des Regenwalds und seiner indigenen Völker.