Er will keine Filme über die Welt von heute drehen: Quentin Tarantino Foto: picture alliance/dpa

In „Once upon a Time ... in Hollywood“ bewegen sich Leonardo DiCaprio und Brad Pitt als Fernsehstar und Stuntman auf dem absteigenden Ast durch ein wildes Los Angeles. Das sei, sagt Quentin Tarantino, weniger ein Film über die Filmszene als einer über die Welt seiner eigenen Kindheit.

Hollywood - Am 15. August 2019 kommt „Once upon a Time ... in Hollywood“ ins deutsche Kino, Quentin Tarantinos Bild einer wilden Epoche. Es geht nicht nur um erfundene, sondern auch um reale Figuren, um Sharon Stone und Roman Polanski etwa. Es ist die Zeit kurz vor der Ermordung Tates durch die durchgeknallten Horror-Hippies der Manson Family.

Mr. Tarantino, Ihr neuer Film „Once upon a Time... in Hollywood“ ist unter anderem eine Hommage an ein irgendwie unschuldigeres Hollywood, das es so heute nicht mehr gibt. Sind Sie nostalgisch?

Die Frage höre ich nicht zum ersten Mal, aber ich bin mir da nicht so sicher. Muss man eine Sache nicht erlebt haben, um nostalgisch zu sein? Aber wir kommen der Sache näher, wenn Sie Hollywood durch Los Angeles ersetzen. 1969 war ich sechs Jahre alt, und ich erinnere mich durchaus daran, wie meine Heimatstadt damals war. In gewisser Weise ist „Once upon a Time in Hollywood“ für mich also durchaus das, was „Roma“ für Alfonso Cuarón war: ein Erinnerungsstück, ein fiktiver Umgang mit Bestandteilen der eigenen Kindheit. Ich musste mich wirklich zurückversetzen und mir vor Augen führen, wie damals die Bushaltestellen aussahen, welche Plakate in der Stadt hingen und was im Fernsehen lief.

Welche Elemente des Films sind denn zum Beispiel Ihrer eigenen Biografie entlehnt?

Ich hatte keine Schwestern, deswegen war ich nicht permanent von jungen Hippies umgeben, wie man sie im Film sieht. Aber ich hatte Babysitterinnen! Das waren Töchter von Freundinnen meiner Mutter, und sie waren alle ziemlich radikal und sahen genau so aus wie die Mädchen im Film. Wenn meine Mutter wegging, saßen sie bei uns auf dem Sofa und kifften. Und ich habe sie dann meistens verpetzt (lacht). Ein Mädchen hat besonderen Eindruck bei mir hinterlassen. Karen war ein echter bad-ass und ihre Aufgabe war es, mich von der Schule abzuholen. Immer wenn ein Polizeiauto vorbeifuhr, rief sie: „Fuck you, you fucking pig!“ Ich wusste gar nicht, wie mir geschah. Als Sechsjähriger ging ich davon aus, dass man vor Polizisten einen Heidenrespekt haben muss.

Noch präsenter als die Hippies ist in Ihrer Geschichte allerdings die Filmbranche. Welche großen Unterschiede zum heutigen Betrieb sind die gravierendsten?

Kinokarten kosteten damals 75 Cents. Das alleine sagt alles. Jeder konnte sich das leisten, man konnte ständig ins Kino gehen. Heutzutage werden Filme auf der großen Leinwand immer mehr zu einem Pendant von Broadway-Stücken oder Opern. Man muss für einen Kinoabend mitunter 35 Dollar hinlatzen, das überlegt man sich sehr genau. Die Zeiten, in den Kino Kunst war, die für alle zugänglich ist, sind vorbei.

Wie würde ein Film aussehen, den Sie übers heutige Hollywood drehen?

Das würde mich gar nicht interessieren. Aber nicht nur wegen Hollywood. Ich habe überhaupt keine Lust, irgendeinen Film zu drehen, der heutzutage spielt.

Haben Sie noch Hoffnung für das Kino?

Ja, ich glaube daran, dass das Kino überleben wird. Und nicht nur in der Form, die es aktuell angenommen hat, wo auf der Leinwand eigentlich nur noch Platz zu sein scheint für Science-Fiction- und Superhelden-Filme. Für viele Leute scheint Kino heutzutage synonym zu sein mit großen Blockbustern, mit Captain America.

Sie klingen nicht begeistert...

Ich will diese Marvel-Filme gar nicht schlechtmachen. Wären die ins Kino gekommen, als ich 27 Jahre alt war, wären sie für mich das Größte gewesen. Nur heute, mit 55, üben sie auf mich nicht mehr unbedingt solchen Reiz aus. Aber ihre Übermacht ist enorm, weswegen es ein echtes Risiko ist, einen Film wie „Once upon a Time ... in Hollywood“ heutzutage und vor allem im Sommer ins Kino zu bringen. Ich habe keine Ahnung, ob die Leute so einen Film noch sehen wollen. Er hat ja noch nicht einmal eine echte Handlung. Ich fand nur, dass meine Protagonisten Rick und Cliff tolle Figuren sind, mit denen ich für meinen Teil gerne Zeit verbringen wollte.

Sie mischen in der Geschichte Realität und Fiktion, neben dem fiktiven Rick Dalton sehen wir etwa Margot Robbie als Sharon Tate, die es bekanntlich echt gegeben hat. Andere Filmschaffende jener Zeit treten nur in einzelnen Szenen auf, Bruce Lee etwa...

Ich wollte einfach zeigen, was für ein Fixpunkt Sharon Tate, ihr Ex Jay Sebring und Roman Polanski damals in Hollywood waren. Jay beispielsweise ist es letztlich zu verdanken, dass Bruce Lee die Rolle des Kato in der Serie „The Green Hornet“ bekam. Eines Tages schnitt Jay, der Friseur war, dem „Batman“-Produzenten William Dozier die Haare, der für sein neues Projekt „The Green Hornet“ einen asiatisch-stämmigen Darsteller mit Martial-Arts-Fähigkeiten. Jay schlug seinen Martial-Arts-Trainer vor, also Bruce Lee, der in Hong Kong früher Kinderdarsteller war. Ist doch also kein Wunder, dass ich eine Szene mit Bruce Lee in meinen Film einbauen musste, oder?

Darüber hinaus ist „Once upon a Time... in Hollywood“ auch eine Hommage an die Westernserien, die in den sechziger Jahren im Fernsehen liefen, richtig?

Ich habe mir viele Western-Serien aus den Sechzigern reingezogen und war wirklich umgehauen, wie gut die Geschichten waren, die da erzählt wurden. Was da in 47 Minuten alles passierte, war der Wahnsinn. Ganz zu schweigen von halbstündigen Westernserien wie „Westlich von Santa Fe“ oder „Wanted: Dead or Alive“. Als Drehbuchautor bin ich wirklich überwältigt, wie meisterhaft die Kollegen damals Geschichten in 24 Minuten erzählen konnten.

Gibt es heutzutage keine Serien, die Sie ähnlich überzeugen?

Alle sprechen ja seit einiger Zeit darüber, wie toll das Fernsehen heutzutage ist – und da mag auch etwas dran sein. Ich persönlich bin nur etwas ermattet von diesen groß angelegten, komplexen Erzählungen, in denen alles zusammenhängt wie in einer Seifenoper. Ich finde eher nicht, dass es eine Serie auszeichnet, wenn man ihr nicht wirklich folgen kann, falls man die erste Episode verpasst hat. Für mich macht eine erfolgreiche Serie aus, wenn ich erst in Folge 4 einschalten kann und vielleicht einige Nuancen nicht mitkriege, aber trotzdem auf Anhieb gepackt bin.

Anders als Sharon Tate lebt Roman Polanski noch. Haben Sie ihn vorab konsultiert?

Nein, ich habe nicht um Erlaubnis gefragt, ob ich ihn und seine damalige Frau als Figuren vorkommen lassen darf. Ich kenne Roman ein wenig, allerdings habe ich ihn seit einigen Jahren nicht mehr gesehen. Aber ich wollte keine schlafenden Hunde wecken. Denn was hätte ich gemacht, wenn er negativ reagiert hätte?

Wie würden Sie es denn finden, wenn man Sie zur Filmfigur macht?

Oh, ich bin mir sicher, dass das schon viele Leute getan haben. Und so lange man mich nicht als viel zu fett darstellt, habe ich damit auch kein Problem.