Ist die Seele im Gleichgewicht, ist sie weniger anfällig für äußere (exogene) und innere (endogene) Foto: Olga Lyubkina/Fotolia

Immer mehr Deutsche fühlen sich ausgebrannt und erschöpft. Die Grenze zwischen Befindlichkeitsstörung und echter Erkrankung ist fließend. Depressionen und Zwangsstörungen gelten als Volkskrankheit. Doch was sind die Ursachen? Eine Übersicht.

Stuttgart - Psychische Krankheiten werden heute sehr viel häufiger diagnostiziert als noch vor wenigen Jahrzehnten. Die Grenzen zwischen Befindlichkeitsstörung und echter Krankheit sind fließend, der Spielraum für Diagnose und Therapie groß. Hier eine Übersicht über schwere und häufig auftretende psychische Erkrankungen:

INFO: ICD-10

Die internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD, „International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems“) ist das wichtigste, weltweit anerkannte Diagnoseklassifikationssystem der Medizin. Die aktuelle Ausgabe des von der Weltgesundheitsorganisation WHO herausgegebenen Manuals ist ICD-10 in der Version von 2012. In Deutschland sind Ärzte und von ihnen geführte Einrichtungen verpflichtet, Diagnosen nach ICD-10 zu verschlüsseln. Man findet den ICD-10 im Internet unter: www.icd-code.de/icd/code/ICD-10-GM-2015.html

Schizophrenie ( ICD-10, Kapitel V, F20-29)

Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen gehören zu einer Gruppe schwerer psychischer Erkrankungen mit ähnlicher Symptomatik. Im Akut-Stadium treten Probleme der Wahrnehmung, des Denkens, Gefühls- und Gemütslebens (Affektivität) sowie des seelischen Antriebs (Psychomotorik) auf.

Bisher konnte keine eindeutige Ursache ermittelt werden. Wahrscheinlich ist ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren (multifaktoriell) verantwortlich.

Charakteristisch ist das Hören von Stimmen sowie der Wahn, verfolgt oder kontrolliert zu werden. Das Denken ist nur in akuten Krankheitsphasen gestört. Die Symptome deuten weder auf eine mangelnde Intelligenz noch hirnorganische Krankheit hin.

In Europa sind bis zu ein Prozent der Menschen betroffen. Das Risiko zu erkranken ist für Männer und Frauen ähnlich hoch. Die Beschwerden können sich zurückbilden, Rückfälle sind allerdings immer wieder möglich.

Die Behandlung mit speziellen Medikamenten (Psychopharmaka wie Antipsychotika, Neuroleptika) ist Grundlage der Therapie, die vor allem die Auswirkungen der Erkrankung wie Halluzinationen lindern soll. Ganz wichtig: Neuroleptika machen nicht abhängig!

Affektive Störungen

Affektive Störungen (ICD-10, Kapitel V, F30-39)

Bipolare Störung

Die bipolare affektive Störung (früher manisch-depressive Erkrankung genannt) ist eine schwere Störung und gehört als Erkrankung des Gefühls- und Gemütslebens zu den Affektstörungen.

Betroffene leiden unter episodischen, nicht kontrollierbaren und bipolaren (extrem entgegengesetzten) Schüben beim seelischen Antrieb sowie bei Aktivität und Stimmung, die mal in Richtung Depression, Manie oder gemischten Phasen reichen können.

Manie

Eine Manie ist durch gesteigerten Antrieb, Rastlosigkeit und unverhältnismäßig starke Euphorie gekennzeichnet. Diese Störung des Gefühlslebens verläuft meist in Phasen. Antrieb und Stimmung sind weit über das normale Maß gesteigert.

Wie die meisten Psycho-Erkrankungen können auch Manien zahlreiche Ursachen haben (psychosoziale Belastungen, Störungen im Hirnstoffwechsel). Die abgeschwächte Form nennt man Hypomanie.

Häufige Symptome sind: verkürzter Schlaf; das Gehirn steht unter Dauerstress, was zu schweren Störungen mit zeitweiligem Verlust des Bezugs zur Wirklichkeit (Psychose) führen kann. Bei gemischten depressiv-manischen Episoden kollidiert ein gesteigerter Antrieb mit einer gedrückten Stimmung. Manien können unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Die Suizidgefahr ist aufgrund fehlender Selbsterkenntnis stark erhöht.

Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung ist eine korrekte Diagnose. Hilfe bieten eine kombinierte Gesprächstherapie und medikamentöse Behandlung, weshalb eine enge Vernetzung von Arzt und Therapeut unbedingt erforderlich ist. Der Therapieerfolg hängt von der Regelmäßigkeit der Gespräche und Medikamenteneinnahme ab. Je früher die Hilfe erfolgt, desto größer sind die Chancen auf Gesundung.

Depression

Depressive Störungen äußern sich in Zuständen seelischer Niedergeschlagenheit, die episodisch oder rezidivierend (wiederkehrend) auftreten. Die Diagnose erfolgt nach Symptomen und Verlauf.

Nachdem Ursachen und Verlauf der Erkrankung geklärt sind, werden vom Facharzt Antidepressiva verschrieben und/oder eine verhaltenstherapeutische oder tiefenpsychologische Gesprächstherapie verordnet. Depressionen lassen sich nicht durch pure Willenskraft überwinden, sind aber gut behandelbar. Auch hier ist eine Kombination aus medikamentöser und psychotherapeutischer Behandlung am effektivsten.

Soziale Phobien (ICD-10, Kapitel V, F40.1)

Kennzeichnend für soziale Phobien (auch soziale Angststörungen genannt) sind Ängste – etwa die Angst bei Gesprächen oder Vorträgen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen und sich dabei zu blamieren

Mittel der Wahl ist eine kognitive Verhaltenstherapie, bei welcher der Betroffene mittels Training lernt, seine negativen Schemata zu erkennen und durch ein angemessenes Verhalten zu ersetzen. Hierbei werden Risiken bewusst eingegangen, um zu lernen, wie man mögliche Fehler und Ablehnung aushält. Auch Entspannungsübungen wie autogenes Training können Ängste mindern. Verhaltenstherapien werden durch neuere Antidepressiva (etwa Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, SSRI) ergänzt.

Zwangsstörungen

Zwangsstörungen (ICD-10, Kapitel V, F40-48)

Neurotische Belastungs- und somatoforme Störungen (englisch: obsessive-compulsive disorder, OCD) zählen zu den besonders schweren seelischen Leiden. Betroffene verspüren innere Zwänge, bestimmte Dinge zu denken und/oder zu tun. Auch wenn diese (wie ein Wasch- oder Aufräumzwang) als übertrieben und sinnlos erlebt werden, kann man sich ihnen nicht entziehen, wodurch das komplette Leben beeinträchtigt wird.

Bewährt hat sich – vor allem bei schweren Verlaufsformen – eine Kombination aus Verhaltenstherapie und Medikamenten. Ist die Therapie erfolgreich, kommt es zu einer deutlichen Verbesserung der Symptomatik.

Bulimie

Diese Ess-Brechsucht gehört zusammen mit der Magersucht und Esssucht zu den häufigsten Zwangsstörungen. Mit Hilfe einer Psychotherapie kann das Essverhalten normalisiert und das Erbrechen eingeschränkt oder ganz beendet werden.

Je isolierter der Betroffene ist, desto geringer sind die Erfolgsaussichten. Umgekehrt gilt: Je mehr Unterstützung er von außen durch Verwandte, Freunde und Therapeuten erfährt, desto größer sind die Chancen auf eine Genesung.

Wie bei vielen Psycho-Leiden treten auch bei der Bulimie diverse Erkrankungen gleichzeitig auf (Komorbidität).

Neurosen

Zum großen Gebiet der Zwangsstörungen gehören die Neurosen, die sehr häufig auftreten. Neurosen sind nervlich bedingte rein funktionelle Erkrankungen, die keine unmittelbare organische Ursache haben.

Sigmund Freud (1856-1939), der Begründer der Psychoanalyse, klassifiziert sie als eher leichtgradige Störungen, die durch bestimmte Konflikte verursacht werden. Er stellt sie den Psychosen gegenüber, worunter er schwere seelische Störungen versteht.

Der Begriff Neurose ist sehr allgemein, so dass heute neurotische Krankheitsbilder in Gruppen eingeteilt werden, denen spezifische Störungen zugrunde liegen.

In der Freudschen Psychoanalyse sind neurotische Symptome Ausdruck unbewusster, ungelöster Konflikte (etwa in der Kindheit im Verhältnis zur Mutter). Daneben gibt es Aktualneurosen, die durch aktuelle Konflikte ausgelöst werden können. Die sich über einen längeren Zeitraum hinziehende Psychoanalyse soll diese Konflikte bewusst machen und so Gesundung ermöglichen.

Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen

Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen (ICD-10, Kapitel V, F60-69)

Diese Störungen sind wie der Name schon sagt schwere Störungen der Persönlichkeit und des Verhaltens. Bestimmte Merkmale der Persönlichkeit sind besonders ausgeprägt, unflexibel oder wenig angepasst.

Sie können durch Erlebens- und Verhaltensmuster in der Kindheit und späteren Lebensaltern, genetische Veranlagung oder Hirnschäden bedingt sein. Das gestörte Verhalten führt oft zu schweren Beeinträchtigungen des sozialen Zusammenlebens, der Leistungsfähigkeit und Lebensqualität.

Persönlichkeitsstörungen werden nach ihren typischen Merkmalen unterteilt, wobei Überschneidungen häufig sind. So gibt es paranoide, schizoide, dissoziale, emotional-instabile, zwanghafte, ängstliche, abhängige oder kombinierte Persönlichkeitsstörungen.

In Deutschland leiden schätzungsweise neun bis zehn Prozent der Bevölkerung sowie 40 bis 60 Prozent der psychiatrischen Patienten an solchen Beschwerden. Besonders häufig ist die ängstliche Persönlichkeitsstörung, während paranoide und schizoide Störungen sehr viel seltener auftreten.

Ursächliche Faktoren sind die Umwelt (Eltern, Sozialisation) und/oder genetische Anlagen. Auch Drogenmissbrauch kann zu Veränderungen der Persönlichkeit führen.

Psychotherapeutische Verfahren wie Psychoanalyse oder Tiefenpsychologie werden am häufigsten eingesetzt. Psychopharmaka können die Symptome abmildern. Je nach Schweregrad kann sich eine Therapie über Jahre hinziehen. Die Gefahr eines Suizides und/oder selbstverletzenden Verhaltens wie „Ritzen“ ist hoch, genauso wie Drogenmissbrauch sowie Gewalt gegen sich selbst und/oder andere (Autoaggression oder Fremdaggression).

Hier nun einige Beispiele verschiedener Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen

Paranoia

Diese ist gekennzeichnet durch eine stark ausgeprägte Empfindlichkeit gegenüber Zurückweisung und Kränkungen sowie ein übertriebenes Misstrauen. Selbst freundliches Verhalten anderer wird als aggressiv, herabwürdigend und verächtlich machend erlebt. Paranoide Menschen neigen nicht selten zu überhöhtem Selbstwertgefühl und übertriebener Selbstbezogenheit. Zwischen 0,5 und 2,5 Prozent der Bevölkerung sind n ach Schätzungen betroffen.

Auch bei der paranoiden Schizophrenie und Paranoia handelt es sich um schwere Psycho-Störungen, die unbedingt von einem Facharzt diagnostiziert werden müssen.

Emotional-instabile Persönlichkeitsstörung

Hierbei handelt es sich um eine Störung, bei der man wenig bis gar keine Rücksicht auf die Folgen des eigenen Verhaltens nimmt. Emotionale Ausbrüche, Cholerik und die Unfähigkeit, impulshaftes Verhalten zu kontrollieren, sind hierfür typisch.

ICD-10 unterscheidet zwei Unterformen: zum einen den impulsiven Typ (F60.30), der aggressiv, reizbar und äußerst explosiv ist; zum anderen den Borderline-Typ (F60.31 ). Der impulsive Typ fällt durch „emotionale Instabilität und mangelnde Impulskontrolle“ auf. Der „Borderline-Typ hat zusätzlich noch ein gestörtes Selbstbild, das chronische Gefühl innerer Leere, intensive und unbeständige Beziehungen sowie die Neigung zu selbstverletzenden und suizidalen Verhalten.

Posttraumatische Belastungsstörung

Als komplexe posttraumatische Belastungsstörung (komplexe PTBS) bezeichnet man ein psychisches Krankheitsbild, das sich infolge schwerer, anhaltender Traumatisierungen (sexueller Missbrauch, Kriegserfahrung, physisch-emotionale Vernachlässigung in der Kindheit oder Lebenskrisen wie den Tod eines Angehörigen) entwickeln kann.

Die Symptome können direkt nach dem Trauma oder erst Monate oder Jahrzehnte danach auftreten. Im Unterschied zur Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) ist die komplexe PTBS breiter angelegt und besteht über einen längeren Zeitraum.

Kombinierte Persönlichkeitsstörungen

Diese Form seelischen Leidens führt häufig zu psychischen Beeinträchtigungen, weist aber nicht die spezifischen Symptombilder der in ICD-10, F60 beschriebenen Störungen auf. Das hat zur Folge, dass es häufig schwierig ist, kombinierte Persönlichkeitsstörungen als solche zu diagnostizieren.