Dem Mädchen schärfte der Mann ein, es dürfe nichts weitersagen. Foto: Archiv/

Das Landgericht Stuttgart sieht es als erwiesen an, dass ein Mann aus dem Kreis Ludwigsburg sich über Jahre hinweg an der Enkelin seiner Lebensgefährtin vergangen hat.

Kreis Ludwigsburg - Für mindestens sechs sexuelle Übergriffe an dem Mädchen, die sich zwischen den Jahren 2011 und 2013 zutrugen, hat die vierte Strafkammer des Stuttgarter Landgerichts einen Mann aus dem Kreis Ludwigsburg zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt. Die Staatsanwaltschaft und Vertreterin der Nebenklage hatten zweieinhalb Jahre gefordert, der Anwalt des Angeklagten einen Freispruch. „In Wahrheit waren es wahrscheinlich sehr viel mehr Fälle“, sagte die Richterin am Donnerstag – angeklagt gewesen waren zunächst mehr als 50 Übergriffe, die aber zeitlich nicht mehr zuzuordnen und belegbar waren. Der Mann stritt die Taten ab, das Gericht schenkte aber den Aussagen der heute 15-Jährigen Glauben.

Angetrunken und enthemmt

Das Mädchen war bereits als Kleinkind regelmäßig bei der Großmutter und ihrem Lebensgefährten zu Besuch gewesen und hatte auch öfter dort übernachtet. Das, so die Überzeugung des Gerichts, machte sich der Mann ab einem nicht mehr rekonstruierbaren Zeitpunkt zunutze: Beim Computerspielen mit dem Kind rief er plötzlich pornografische Bilder auf, fasste dem Kind dabei unter die Kleidung, berührte es an der Brust und im Schambereich und befriedigte sich selbst dabei. Er erläuterte dem damals noch nicht aufgeklärten Kind auch, warum er nicht so weit ging wie auf bei den Porno-Darstellungen, sondern sie derlei Praktiken auf später verschieben müssten: wegen ihres Jungfernhäutchens.

Auch beim gemeinsamen Fernsehen auf der Couch kam es zu solchen sexuellen Übergriffen. Meist war der Mann dabei offenbar angetrunken und enthemmt – doch nicht so sehr, dass das Gericht von einer verminderten Schuldfähigkeit ausging. Dass das Mädchen die Taten erfunden habe und die Anschuldigungen einer blühenden Fantasie entsprungen seien, wie es der Mann behauptete, hielten Richterin und Schöffen für abstrus. Vom vielen Speichel bei den Zungenküssen über die Beschreibung, wie der Mann sie am Handgelenk festgehalten habe oder sie ihn am Geschlechtsteil habe berühren müssen, fanden sie die Aussagen schlüssig und „nicht von Belastungseifer getragen, obwohl es ihr ein Leichtes gewesen wäre, die Taten und ihre Folgen zu dramatisieren und von Angst, Panik oder schlechteren Schulleistungen zu sprechen“, so die Richterin.

Das familiäre Vertrauensverhältnis missbraucht

Stattdessen habe sie das, woran sie sich erinnern könne, sachlich geschildert und erklärt, dass sie keine Hilfe brauche – „wobei“, wie die Richterin betonte, „die Folgen von sexuellem Missbrauch oft erst sehr viel später zutage treten können.“ Das Mädchen hatte am ersten Verhandlungstag unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgesagt. Einen „erheblichen Entlastungseifer“ attestierte die Vorsitzende hingegen der Großmutter: Sie habe nach dem Motto „Was nicht sein darf, kann nicht sein“ ausgesagt. Die Frau hatte die Version ihres Partners gestützt.

Neben den Taten an sich beurteilte das Gericht es als besonders verwerflich, dass der Mann ein familiäres Vertrauensverhältnis missbrauchte. „Die Eltern glaubten ihr Kind in Sicherheit“, sagte die Vorsitzende. „Und dem Mädchen haben Sie ein Schweigegebot erteilt.“ Damit habe er das Kind in eine ausweglose Lage gebracht – es habe sich seinen Allernächsten nicht anvertrauen können. Jahre später öffnete sie sich einer Freundin gegenüber, die das brisante Geheimnis nicht für sich behielt. Erst so kam das Verfahren ins Rollen.

Es dauerte Jahre, bis das Verfahren begann

Dass der Mann pädophil ist, davon ging die Kammer nicht aus. Aber mehr als die Hälfte der Fälle von sexuellem Missbrauch begingen auch nicht Pädophile, „sondern Männer, die die einfache und günstige Gelegenheit nutzen, dass das Kind da ist und sich nicht wehrt“, sagte die Richterin. Weil der Mann nicht vorbestraft ist und sich die Übergriffe trotz allem am „unteren Ende“ der Missbrauchs-Skala bewegt hätten, entschied sich die Kammer, die Strafe zur Bewährung auszusetzen. Bricht sie der Mann und muss doch ins Gefängnis, würden vier Monate wegen einer „rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung“ als bereits verbüßt gelten – weil es Jahre gedauert hatte, bis es zur Verhandlung gekommen war.