Im Missbrauchsprozess gegen einen Heilbronner Kindergartenleiter fällt am Freitag das Urteil. Foto: dpa

Im Prozess gegen einen ehemaligen Heilbronner Kindergartenleiter wird am Freitag das Urteil erwartet. Wer nicht vor Gericht stand, aber in der Kritik: die Kirche als Arbeitgeber. Wieso hat sie den Fall verschleppt?

Heilbronn - Das Wochenende auf Schloss Emmaus ist bei den Kindern im Heilbronner Süden immer sehr beliebt gewesen. Noch im Juni 2017 zählte die Emmausgemeinde 50 Teilnehmer im Grundschulalter, die in den Gemeinderäumen übernachteten, am Samstag nach Tripsdrill aufbrachen und am Sonntag einen Familiengottesdienst feierten. In diesem Jahr fiel die Kurzfreizeit aus. Der Hauptorganisator saß in Untersuchungshaft.

Der 31-jährige Erzieher hat zugegeben, kinderpornografische Fotos und Filme gesammelt, einige selbst hergestellt und über Jahre einen heute 13-jährigen Buben sexuell missbraucht zu haben. Am Freitag spricht das Landgericht Heilbronn das Urteil. Die Staatsanwaltschaft forderte am Donnerstag in ihrem nichtöffentlichen Plädoyer fünfeinhalb Jahre Haft, die Verteidigung plädierte auf vier Jahre.

Die Polizei braucht mehr als ein Jahr

Es ist ein polizeiinterner Skandal, dass der 31-Jährige lange nicht gestoppt wurde. Schon im Frühjahr 2016 hatten die Ermittler aufgrund eines Hinweises aus Niedersachsen seinen Computer mit mehr als 10 000 kinderpornografischen Fotos und Filmen beschlagnahmt. Sorgfältig gesichtet wurden sie offenbar nicht.

Der Skandal trifft aber auch evangelische Kirche in Heilbronn. Denn als die Polizei im September 2017 endlich ermittelt hatte, dass der Beschuldigte als Kindergartenleiter arbeitete und daraufhin die Heilbronner Kirchenpflege als Arbeitgeber informierte, geschah immer noch nichts. Erst als im Januar 2018 die Anklage vorlag, wurde der Mann suspendiert. Der Pfarrer der Emmausgemeinde, in der sich der Mann seit Jahren ehrenamtlich engagierte, erfuhr sogar erst davon, als der Fall im Februar durch die Medien ging. „Ich habe ihm sofort Hausverbot erteilt und die Gemeinde auf der Homepage und im Gottesdienst informiert“, sagt der Pfarrer Arnold Wein. Aber das sei natürlich viel zu spät gewesen.

So viel man bisher weiß, hat der Angeklagte in seinem Kindergarten keine Straftaten begangen. Den Buben, den er seit dessen siebtem Lebensjahr missbrauchte, hatte er schon während seiner Ausbildung in einem städtischen Kindergarten kennengelernt und sich mit dessen Eltern angefreundet. Dennoch steht die Heilbronner evangelische Kirche in der Kritik. „Es wurde viel Vertrauen zerstört“, räumt Pfarrer Wein ein. Die Austrittszahlen schnellten nach oben. „Im März lagen sie doppelt so hoch wie sonst“, sagt der Sprecher des Heilbronner Kirchenbezirks, Matthias Treiber.

Fürchtet der Kirchenpfleger das Arbeitsrecht?

Mit einem Krisenteam unter der Leitung des Schuldekans Jürgen Heuschele versuchte die Kirche, über den Fall zu informieren, Hilfe für die Betroffenen zu organisieren und Vertrauen zurückzugewinnen. Die Württembergische Landeskirche beauftragte den ehemaligen Bundesrichter Ulrich Hebenstreit damit, das Verhalten der Kirche und des zuständigen Kirchenpflegers zu untersuchen. Das durch die Selbstanzeige des Kirchenbeamten eingeleitete Disziplinarverfahren werde noch in diesem Jahr abgeschlossen, versichert der Sprecher der Landeskirche, Oliver Hoesch.

Außerdem wurde der Handlungsleitfaden für Missbrauchsfälle überarbeitet. Allerdings räumten schon frühere Versionen dem Kindeswohl absolute Priorität ein. „Der Kirchenpfleger sah wohl eher die arbeitsrechtlichen Probleme“, sagt der Kirchenbezirkssprecher Treiber. So wurde mit dem 31-Jährigen im Januar noch ein Auflösungsvertrag mit einer Lohnfortzahlung bis August vereinbart. Erst als im März zum Vorwurf der Kinderpornografie auch noch der Missbrauchsfall hinzukam, kündigte die Kirche fristlos. Dagegen klagt der Mann vor dem Arbeitsgericht.

Gemeinde noch im Schockzustand

Während dem Kirchenpfleger die Verantwortung für die Kindertagesstätten entzogen wurde, geht in der Emmausgemeinde allmählich vieles wieder seinen gewohnten Gang. Das beliebte Büchercafé, das der 31-Jährige lange Zeit organisiert hatte, habe einen Neustart geschafft, sagt Pfarrer Wein. Auf anderen Feldern sei der Schockzustand noch zu spüren. Vor allem in der Jugendarbeit laufe nur noch wenig. Und auch nach dem Besuch mehrerer Prozesstage weiß Pfarrer Wein nicht, ob der Angeklagte auch in den Gemeinderäumen Nacktbilder von Kindern hergestellt hat.