Mit Absperrungen in der Nähe des Élysée-Palasts wappnete sich die Polizei jüngst gegen die Rentenproteste, die nun weitergehen dürften. Foto: dpa/Julien Mattia

Die Regierung will das defizitäre System reformieren, doch der Widerstand ist groß. Frankreich erwartet nun eine neue Streikwelle.

Paris - Für die Gewerkschaften ist es eine Mogelpackung. Die französische Regierung werde das gesetzliche Renteneintrittsalter von 62 Jahren nicht antasten, verkündete Premierminister Édouard Philippe am Mittwoch. Doch dann schob er nach: Wer künftig vor dem Alter von 64 Jahren in Pension gehen wolle, müsse ab dem Jahr 2027 mit Abstrichen rechnen. Das sei „eine vernünftige Perspektive für die große Mehrheit der Franzosen“, betonte Philippe, der mit dem Protest der Kritiker gerechnet hatte.

Dennoch sei er gewillt, an der geplanten Rentenreform festzuhalten, sagte der Premierminister am Mittwoch in seiner mit Spannung erwarteten Rede. Ziel des Umbaus ist es, die aktuell mehr als 42 verschiedenen Pensionskassen durch ein einheitliches Punktesystem zu ersetzen. Kostspielige Sonderrenten sollen ebenfalls wegfallen. Philippe: „Es ist an der Zeit, ein allgemeingültiges Rentensystem aufzubauen.“

Empörung bei den Gewerkschaften

Die Gewerkschaften reagierten empört auf die Rentenpläne und riefen dazu auf, den seit einer Woche andauernden Streik zu verschärfen. Mehrere Organisationen hatten bereits zuvor eine Fortsetzung der Proteste angekündigt, wenn die Regierung ihre Pläne nicht vollständig zurücknimmt. Am kommenden Dienstag soll es erneut landesweite Proteste geben. Vor allem die Vertreter der Bahngewerkschaft CGT-Cheminots zeigen sich kampfeslustig – zumal die Mitarbeiter der Bahngesellschaft SNCF und der Pariser Nahverkehrsbetriebe besonders von den „Spezialregimen“ profitieren, die nach dem Willen der Regierung abgeschafft werden sollen. Sie gehen teils schon mit Mitte 50 in Rente, und das bei hohen Bezügen. Aber auch andere Gewerkschaften kündigten eine stärkere Mobilisierung ihrer Mitglieder an, darunter auch solche für Polizisten und Lehrer.

Regierung schwächt Reformpläne ab

Die Regierung hat angesichts der Streiks der vergangenen Tage offensichtlich einige Korrekturen vorgenommen. So soll für Franzosen, die vor 1975 geboren wurden, die Reform nicht greifen, wie Philippe sagte. Damit sind weniger Menschen von den Plänen betroffen als von den Gewerkschaften zunächst angenommen. Auch für Frauen soll es Verbesserungen geben, etwa Bonuspunkte ab dem ersten Kind. „Wir wollen die Kaufkraft der Arbeitnehmer und Rentner von heute und morgen schützen“, betonte Philippe. „Wir werden die Bevölkerung durch ein Rabatt- und Prämiensystem ermutigen, länger zu arbeiten.“ So soll eine Grundrente von monatlich 1000 Euro eingeführt werden für diejenigen, die ihr Leben lang gearbeitet haben.

Arbeitgeber loben die Rentenreform

„Alle werden länger arbeiten, das ist inakzeptabel“, konterte der Chef der Gewerkschaft CGT, Philippe Martinez. Der Vorsitzende der bisher kompromissbereiten Gewerkschaft CFDT, Laurent Berger, sprach von vielen „Mängeln“ bei der Reform. Mit dem neuen De-facto-Eintrittsalter von 64 Jahren sei eine „rote Linie überschritten“. Der französische Arbeitgeberverband Medef lobte dagegen die „Ausgewogenheit“ der Reform.

Sie ist ein zentrales Wahlkampfversprechen von Präsident Emmanuel Macron. Ziel ist, das Milliarden-Defizit bei den Rentenkassen zu senken, das bis 2025 auf 17 Milliarden Euro steigen könnte. Alleine die Sonderrenten kosten den Staat nach Angaben des Haushaltsministeriums jährlich acht Milliarden Euro.