Blick in die Ausstellung „Living with a lot of art“ in der Galerie Reinhard Hauff mit Arbeiten von Tomàs Saraceno Foto: Bernhard Kahrmann

Die Qualität der Privatgalerien bestimmt den Rang einer Kunstszene. Gleichwohl geht man in Stuttgart mit dem Glück, hochrangige Gegenwartskunst sehen zu können, wenig pfleglich um. Doch einige Galerien halten dagegen.

„Immateriell“ sollte das Freiheits- und Einheitsdenkmal sein, das Santiago Sierra 2012 für Leipzig plante. Es sollte den Wilhelm-Lauschner-Platz baulich ganz einfach unverändert lassen, ihn vielmehr als autoritätsfreie Zone allein dem Willen der Leipziger Bevölkerung überlassen. Freiheit pur bedeutet das.

Als Konzept markiert Sierras Vorhaben die extremste Position unter den Arbeiten, die der Ausstellungstrilogie „Living With Art“ in der Stuttgarter Galerie Reinhard Hauff (Paulinenstraße 47) jetzt zum krönenden Abschluss verhelfen. Nahmen die vorausgegangenen Ausstellungen 2012 und 2013 Möbel und den privaten Haushalt als Condition Humaine des Lebens in Betracht, so gilt das Interesse von „Living With A Lot Of Art“ nun der Architektur als räumlicher Begrenzung unseres persönlichen und privaten Daseins.

Ideen für Stammheim-Erweiterung

Die Erfahrung massiv einengender Schranken und Auflagen machte Josephine Meckseper bei ihrer Wettbewerbsbeteiligung für einen Erweiterungsbau der Justizvollzugsanstalt in Stammheim. Obwohl es dabei nur um Hofbereiche ging, wo Häftlinge an die frische Luft kommen sollen, blieb zur Gestaltung kaum Spielraum. Im Interesse von Sicherheit und Kontrolle darf nichts die Sicht auf die Gefangenen behindern.

Die Abhängigkeit von Alkohol, die einer Gefangenschaft recht nahe kommen kann, macht Maximillian Müller, Sohn von Hans-Jürgen Müller, zum Thema. Die „Trinkerzelle“ hinter einem schmiedeeisernen Tor wirkt mit einer Art Betschemel wie ein Andachtsraum, ist aus echtem Carrara-Marmor, lässt den Platz für das Altarbild aber leer.

Nur weit weg von hier

Anne-Lise Coste verarbeitete die traumatischen Krankheitserlebnisse ihrer Kindheit in frühen Kreidezeichnungen. Der „Fluchtplan“ („escape map“) von 2006 ähnelt vielfüßigem Ungeziefer, kennt mehrere Seitenwege und lässt spüren, wie verzweifelt das unter Asthma leidende Kind dem Krankenhaus gern entronnen wäre: Nur weit weg von hier, „partir, partir loin“, heißt eine größere Zeichnung von 2003.

Die Wandinstallation von Erdag Aksel (2014) veranschaulicht die bedrohte individuelle Freiheit mit einer Rasterfläche von fünfzig Zentimeter Seitenlänge. Die Akteure darin sind Holzlineale, also typische Vertreter verplanten Raums, deren unbedingter Freiheitsdrang sich im äußersten Fall im Verbiegen ein Ventil sucht. Wer sich wie in einem Schraubstock fühlt, spielt am Ende verrückt.

In der fesselnden Videoarbeit „La Casa“ (2005) von Pedro G. Romero „füllt“ der virtuose Flamenco-Tänzer Israel Galvàn die engen Räume einer Sozialwohnung außerhalb von Barcelona mit der prallen Vitalität feuriger Rhythmen und leidenschaftlicher Tanzfiguren. Der Raum scheint sich zu weiten.

Mona Lisa hinter blauem Tuch

Darüber allerdings dämpft das Triptychon von Stephen Willats jede Hoffnung. So optimistisch in den 1960er Jahren sozialer Wohnungsbau in England in Angriff genommen wurde, so kläglich ist er gescheitert. Auch das hinter blauem Tuch versteckte Lächeln der Mona Lisa – Uwe Max Jensen nennt seine unscheinbare Arbeit „K.O.N.V.E.R.T.I.T“ – stimmt in Anbetracht der Pariser Anschläge nicht froh.

Umso mehr besticht die „Architektur“, die Tomás Saraceno in einem Acrylglasgehäuse von zwei verschiedenen Spinnenarten „bauen“ ließ. Das großmaschige und aus Polyedern „geknüpfte“ Netz der einen Art umfängt das dicht gewobene „Zeltdach“ der andern. Beides kommt auf Augenhöhe angestrahlt prima zur Geltung und schmälert den Respekt vor ähnlich konzipiertem Menschenwerk.

Mit eingravierten Texten auf der Sitzfläche leerer Stühle aus Aluminium und Chrom lenkt Thomas Locher von der vielfältigen Symbolik menschlicher Sitzkultur auf das Symptom sozialer Entfremdung: „I AM NOT HERE WHERE YOU ARE NOT THERE WHERE I AM“ ist zu lesen.

Videoprojektion mit Super-8-Film

Als 1975 geschaffenes Museumsstück von Bill Lundberg fordert der gealterte Super-8-Film mitsamt dem betagten Projektor Schonung. Der Film beginnt sich aufzulösen. Doch stellt man sich vor der Installation mit vier Stühlen um einen quadratischen Tisch problemlos vor, was eigentlich zu sehen wäre. Über einen Spiegel auf die Tischplatte projiziert, sind die Bewegungen der Hände von Kartenspielern zu verfolgen. Dabei ist es dem Zuschauer mit seiner prominenten Position genau von oben ein Leichtes, den „Card Players“ in die Karten zu schauen.

Genau das verwehrt die an einen Nistkasten erinnernde hölzerne Box von Andreas Fischer dem Betrachter kategorisch. Die mit einer Klappe versehene Öffnung des Kastens weckt unwillkürlich, weil offen, die Neugier des Kunstfreundes. Sobald er aber vor die als „Homo“ bezeichnete „Maschine“ tritt, wird sie augenblicklich enttäuscht, die Neugier. Die Klappe schließt sich. Kommunikativ ist dieser „Homo“ augenscheinlich nicht.

So mutet auch die öde Landschaft von 2008 nicht an, mit der Lasse Schmidt Hansen den Ausstellungsbesucher verabschiedet. Denn anders als bei Sierras Vorschlag für ein Leipziger Freiheitsdenkmal wirkt der Verzicht auf Gebautes da alles andere als befreiend.

Stuttgart, Paulinenstraße 47. Bis zum 30. Januar. Di bis Fr 13 bis 18 Uhr. Mehr Informationen gibt es hier.