Der türkische Staat hat Probleme mit der Rolle einer unabhängigen Presse. Foto: dpa

Nachdem deutsche Journalisten gezwungen wurden, das Land zu verlassen, verschärft das Auswärtige Amt die Reisehinweise für die Türkei. Die schlechte Beziehung des türkischen Staates zur freien Presse hat eine lange Tradition.

Istanbul - Vom „Schatten der Diktatur“ schrieb die türkische Journalistik-Studentin Berivan Bila in einem Aufruf an ihre Kommilitonen, in dem sie einen aufrechten Journalismus forderte. Ihre Überschrift: „Erste Lektion des Journalismus: Journalismus ist kein Verbrechen.“ Das sahen die Behörden anders: Am frühen Morgen klopfte die Polizei im Dezember an Bilas Tür, beschlagnahmte ihren Computer und ihr Handy und führte die junge Frau ab. Als Beleidigung von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan wertete die Staatsanwaltschaft den Beitrag, den Bila in den sozialen Medien veröffentlicht hatte.

Inzwischen ist die Studentin wieder auf freiem Fuß, doch das Verfahren läuft weiter – und nicht nur dieses: Allein im Jahr 2017 eröffnete die Justiz nach einer Zählung des Jura-Professors Yaman Akdeniz mehr als 20 000 Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Beleidigung des Staatspräsidenten, in mehr als 6000 Fällen wurde ein Strafverfahren eingeleitet.

Die deprimierende Bilanz ist nicht nur der Regierung Erdogan zuzuschreiben

Erdogan selbst teilt unterdessen kräftig gegen Journalisten aus – und animiert die Justiz damit, gegen Regierungskritiker vorzugehen. Absurde Anschuldigungen gegen Journalisten sind an der Tagesordnung. Nach einer Zählung des Journalistenverbandes TGC sitzen derzeit 135 Journalisten und Medienmitarbeiter hinter Gittern. Auf dem Pressefreiheitsindex von Reporter Ohne Grenzen steht die Türkei aktuell auf 157. Stelle – von 180 Staaten.

Diese deprimierende Bilanz nur der Regierung Erdogan zuzuschreiben greift zu kurz. Der türkische Staat hat schon von jeher seine Probleme mit der Rolle einer unabhängigen Presse innerhalb westlicher Normen der Meinungsfreiheit. Erdogan selbst landete als Istanbuler Bürgermeister in den 90er Jahren für einige Monate im Gefängnis, weil er in einer Rede ein Gedicht zitierte, in dem es unter anderem hieß, die Moscheen seien die „Kasernen“ der Gläubigen. Die Justiz erkannte darin Volksverhetzung. Journalisten und Vertretern der Zivilgesellschaft erging es auch damals schon nicht anders. Schon lange vor der Ära Erdogan verstanden sich viele Richter und Staatsanwälte in der Türkei vor allem als Beschützer des Staates vor angeblichen Angriffen seiner Bürger – und nicht als Garanten der Rechte dieser Bürger. Eine Rolle der Medien als vierte Gewalt und Kontrollinstanz fehlt im traditionellen Staatsverständnis der Türkei. Erdogan trat Anfang des vergangenen Jahrzehnts zwar als Reformer an, übernahm im Laufe der Jahre aber immer mehr die obrigkeitsstaatlichen Grundzüge des Staates.

Erdogan ist in diesem Verständnis der Landesvater, der immer das Beste für sein Volk will

Diese autoritären Strukturen sind auch deshalb so tief verankert, weil sie von vielen Türken mitgetragen werden. Erdogans Ein-Mann-Präsidialsystem verspricht ein klares Durchregieren von oben nach unten. Seit der Zeit von Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk vor fast hundert Jahren ist der starke Mann an der Spitze ein fester Bestandteil der politischen Kultur der modernen Türkei. Erdogan ist in diesem Verständnis der Landesvater, der immer das Beste für sein Volk will, zum Wohle des Staates aber hin und wieder auch streng werden muss und der gegen alle Feinde des Staates ganz entschieden vorgeht.

Auch eine weitere Tradition hat Erdogan von seinen Vorgängern übernommen: eine für die Meinungsvielfalt unheilvolle Zusammenarbeit zwischen der Regierung und Unternehmen mit angeschlossenen Medienhäusern. Mehrere türkische Konglomerate, die sich in der Bauindustrie oder im Energiesektor engagieren, halten sich Zeitungen oder Fernsehsender – oft aus politischen Gründen. Erdogan hat auch diese Entwicklung auf die Spitze getrieben. Mehrere regierungsnahe Mischkonzerne haben in den vergangenen Jahren millionenschwere Staatsaufträge für sich an Land gezogen, während die Medien dieser Konzerne die Regierung bejubelten.

Erdogans Regierung sieht in diesen Entwicklungen kein Problem. Die Inhaftierung von Journalisten wird mit dem Hinweis versehen, die Reporter säßen wegen Vergehen wie der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Gefängnis. In dieser Argumentation werden die Grenzen der Meinungsfreiheit so eng gezogen, dass Kritik an der Regierung in die Nähe von Hochverrat gerückt wird.

Schon seit Jahren richtet sich der Zorn der Regierung gegen ausländische Medien

Erdogan und seine Berater agieren aus der Überzeugung, angebliche Verschwörungen abwehren, den Platz einer „neuen Türkei“ auf der Weltbühne erkämpfen und dem Westen eine Lehre erteilen zu müssen. Das ist der ideologische Hintergrund für den aktuellen Versuch Ankaras, deutsche Medien zur Entsendung von Türkei-Korrespondenten zu zwingen, die Ankara besser ins Konzept passen.

Schon seit Jahren richtet sich der Zorn der Regierung gegen ausländische Medien und deren Vertreter. Der deutsch-türkische „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel verbrachte ein Jahr in Untersuchungshaft, bevor er auf Druck der Bundesregierung freigelassen wurde. Mehrere Reporter mussten das Land verlassen oder wurden abgeschoben. Der Entzug der Arbeitsgenehmigungen für den „Tagesspiegel“-Journalisten Thomas Seibert, den ZDF-Korrespondenten Jörg Brase und den NDR-Fernsehjournalisten Halil Gülbeyaz ist das jüngste Beispiel. Deswegen verschärfte das Auswärtige Amt in Berlin nun Reisehinweise für die Türkei. Es könne nicht ausgeschlossen werden, „dass die türkische Regierung weitere Maßnahmen gegen Vertreter deutscher Medien sowie zivilgesellschaftlicher Einrichtungen ergreift“, warnt das Ministerium. „Äußerungen, die nach deutschem Rechtsverständnis von der Meinungsfreiheit gedeckt sind, können in der Türkei zu berufsbeschränkenden Maßnahmen und Strafverfahren führen.“