Schwertschluckerin Lucky Hill (Zweite von rechts) mit Gästen der Premierenparty im 27. Stuttgarter Weltweihnachtscircus. Foto: Lichtgut/Rettig

Im Weltweihnachtscircus war die Party nach der Premiere aus doppeltem Grund noch schöner als sonst: Das Publikum liebt die neue Show auf dem Wasen – und alle sind froh über das Glück der abgestürzten Artisten aus Kolumbien.

Stuttgart - Der Beruf Schwertgosch fehlt im Verzeichnis der Agentur der Arbeit völlig. Selbst in schwäbischen Gefilden, wo die Schwertgosch mit scharfem Mundwerk herkommt, weiß man nix davon. Die Australierin Lucky Hell übt diesen Beruf seit Jahren so erfolgreich aus, dass sie nach Auftritten im Pariser Lido endlich auch beim Stuttgarter Weltweihnachtscircus, bei der Nummer zwei in der Artisten-Welt nach Monte Carlo, ordentlich was wegschlucken darf.

Muss mal meinen Gastroenterologen fragen, ob das biologisch überhaupt machbar ist, dass man beim Magenspiegeln nicht nur mit dem Schlauch ganz runter kommt, sondern auch mit scharfer Klinge. Die schrille Blonde mit den vielen Tattoos verrät bei der Party nach der mit Standing Ovations stürmisch gefeierten Wasen-Premiere, wie’s geht. „Absolut keinen Würgereiz“ habe sie, sagt Lucky Hell, eine „absolut gerade Speiseröhre“, ernähre sich säurearm, um diese zu schonen. Damit das Schwert besser flutscht, schmiert sie es mit Olivenöl ein.

„Der Absturz ging uns allen sehr nah“

Die MeToo-Debatte ist viel zu ernst, als dass sie hierher gehört. Wollen wir besser verschweigen, was lustigen Herren bei der Party im feuerroten Foyerzelt bei einer gut aussehenden Frau so einfällt, die sich 40 Zentimeter lange Schwerter in den Rachen steckt. Comedian Don Svezia von Eure Mütter sagt – ist völlig unbedenklich –, dass er bei Nummer von Lucky Hell nicht weggeschaut hat, wie er dies sonst tut, wenn was Würgendes geschieht.

Nach der Premiere feiern die sexy Schwertgosch, ihre 100 Artistenkollegen und Stadtpromis nicht nur, dass die neue Show großartig beim zirkusverwöhnten Stuttgarter Publikum angekommen ist, sondern vor allem auch das Glück der abgestürzten Hochseilartisten aus Kolumbien. Ihr Unfall am Vorabend sah schlimmer aus als er war. „Der Absturz ging uns allen sehr nah“, sagt Leif Gordon, der mit dem Zwillingsbruder von OB Fritz Kuhn am Kleidertauschtag jongliert– sie werfen sich gegenseitig Hosen, Hemden und Jacken zum An- und Ausziehen zu, übrigens seit 22 Jahren schon. Der Weltweihnachtscircus ist eine große Familie, was sich gerade in Schockmomenten beweist. Familie, na klar, ist an Weihnachten besonders wichtig. Leif wird diesmal nicht bei seinem brasilianischem Mann sein können, den er vor einem Jahr in Oslo geheiratet hat. In Stuttgart muss der eine jonglieren, in Norwegen arbeitet der andere als Altenpfleger.

„Man hat gesehen, dass die Artisten auf dem Seil nervös waren“

Kunstturnstar Elisabeth Seitz (sie ist mit ihrem Freund Nils Heyden gekommen) ist hin und weg vom dreieinhalbstündigen Programm. Bei der Fahrrad-Nummer der Kolumbianer bemerkt die 26-Jährige, „dass die Artisten auf dem Seil alle leicht nervös sind“. Kein Wunder, was am Abend davor geschehen ist. Die Pyramide aus sieben Radlern, der höchste Schwierigkeitsgrad, ist bei der Premiere gestrichen. Psychologisch wichtig aber ist, dass alle kurz nach dem Schock wieder nach oben steigen.

Spät in der Nacht dementiert Zirkuschef Henk van der Meijden seine eigene Pressemitteilung, die er wenige Stunden davor herausgeben ließ. Da stand drin, die abgestürzten Artisten dürften am Donnerstag das Krankenhaus verlassen und zur Show zurück. Doch dann haben es sich die Ärzte anders überlegt – da war die Nachricht schon verbreitet. Eine zweite Nacht mussten die beiden in der Klinik verbringen, die sie erst am Freitag verlassen. „Vielleicht in einer Woche“, glaubt der Zirkusdirektor, könnten alle die Pyramide zu siebt bauen.

Die Gäste sollen Spaß haben, sich nicht sorgen

Bei der Premiere springen zwei andere Artisten für die Verletzten ein. Der Moderator sagt kein Wort dazu, obwohl der Vorfall im Zelt bekannt ist und die meisten bei gefährlichen Nummern nun noch mehr mitzittern als sonst. Über Unfälle spricht man im Zirkus nicht gern. Die Gäste sollen Spaß haben, sich nicht sorgen. Die Debatte, ob die Jagd nach immer neuen Rekorden und Superlativen zu weit geht, soll gar nicht erst aufkommen.

Fast ruft CDU-Kreischef Stefan Kaufmann Feinstaubalarm aus. Er sitzt in der Loge vorn, wo Pferde Sägemehl aufwirbeln. Andi Kraus von Eure Mütter geht wegen seiner Pferdeallergie gleich raus. Außerdem gesehen: Top-Turner Marcel Nguyen und seine Freundin Michelle Timm, Handballstar Jogi Bitter, die amtierende Deutsche Meisterin Anna Loerper, Comedian Michael Gaedt, Wilhelma-Chef Thomas Kölpin, Olympiasieger Dieter Baumann, Alt-OB Wolfgang Schuster mit Frau Stefanie Schuster, Präsidentin der Olgäle-Stiftung, an die der Erlös der Premiere geht, die Radio-Legenden Michael Branik, Günter Verdin und Gisela Böhnke, Künstlerin Iris Caren von Württemberg, Galeristin Saby Lazi, Maria Prinzessin von Sachsen-Altenburg, die Botschafterin des Bundesverbandes Kinderhospiz, und viele andere.

Mit einer Schwertgosch, liebe Lucky Hell, bringt man es bei den Schwaben sehr weit – sogar bis gegen Kretschmann als Spitzenkandidatin der Landtagswahl.