Und jetzt geht’s wieder auf Tour: Martin Theuer als Heartbreakin‘ Kurt und Lara Haucke als Biene. Foto: Patrick Pfeiffer

Christine Gnann inszeniert Robert Seethalers „Heartbreakin’ – Die Biene und der Kurt“ an der Esslinger Landesbühne als hartes, präzises Drama der Sprachnot.

Esslingen - Das ist Corona-korrekte Regie: Bevor der Polizeibeamte Hermann seinem schießwütigen Kollegen Leo eine scheuert, desinfiziert er sich die Hände. Wäre dem altgedienten Vertreter der Staatsgewalt nur mal die Hand ausgerutscht, als dem Jüngeren noch nicht der Finger am Abzug zuckte. Vielleicht wär’s ja was geworden mit der Biene – durchgebrannter, zur Fahndung ausgeschriebener Heimzögling –, dem Kurt und Tennessee. Oder – eher doch nicht.

25 Jahre tingelte der Heartbreakin’-Kurt mit nachgespieltem Rock ’n’ Roll über die Dörfer, unverzagt nach der Devise „Gestern Königshofen, heute Pferchheim, morgen Las Vegas“. Der große Traum des Alleinunterhalters vom zweisamen Glück ist finaler Rettungsstuss schon vor dem finalen Rettungsschuss, der Kurt den Weg in die Zielgerade weist. Biene ist nun frei. Frei vom katholischen Mädchenheim, frei von der drohenden Klinikeinweisung, frei auch vom alternden, versoffenen Hinterzimmer-Elvis.

Das Leben geht weiter

In Christine Gnanns Inszenierung von Robert Seethalers „Heartbreakin’ – Die Biene und der Kurt“ an der Esslinger Landesbühne sieht diese Freiheit so aus: Die Darstellerin Lara Haucke verlässt wortlos die Szene, in der Kurt soeben sein letztes „Rock it, Baby“ röchelte, geht ab durch die Bühnenrückwand, lässt immerhin die Tür offen. Licht fällt herein. Ende. Keine Utopie, aber: Ihr Leben geht weiter.

Lara Haucke spielt diese Rolle als einsilbiges Sterntaler-Mädchen: in sich gekehrt, autoaggressiv, trotzdem etwas zu brav, bis ihr zwar keine Silbertaler, aber einige Selbst- und Lebenserfahrungen ins Leinenhemdchen fallen, das sie zum Zeichen gereiften erotischen Selbstbewusstseins fallen lässt, wenn ihre und Kurts Umlaufbahnen den Punkt intimster Anziehungskraft erreicht haben. Er tut’s ihr nach, körperlich nahe kommen sie sich nicht.

Eine Schreckschraube, die Schnulzen mag

Es ist eine Kunst von Gnanns Regie, Zuneigung zu zeigen, ohne die unüberwindbare Distanz – jene, die nichts mit Corona zu tun hat – zu leugnen. Liebe gibt’s nicht. Nur verdruckste Sentimentalität. Etwa jene der Heimleiterin Frau Kämmerle: Im aufklappbaren Madonnen-Medaillon birgt die schwarzpädagogische Schreckschraube eine Statuette des Schnulzenstars Teddy Taylor (der leibhaftig bei Daniel Großkämper klingt wie Heino und aussieht wie der junge Bob Dylan).

Elif Veyisoglu gibt die superbe Verwandlungskünstlerin, ist neben Frau Kämmerle auch die angegangene Dorf-Conférencière und der grobschwäbisch krakeelende Bauer Erwin. Mit Vokuhila-Frisur und Gummistiefeln ist er die Ikone des Schauplatzes: flaches Land nicht als Raum, sondern als Zustand, wo die Hirne gefüllt sind mit Schund wie die Mülltonnen mit Tierkadavern, wo man Modegags von vorgestern für den letzten Schrei und Kurts Show für „subb’r“ hält – während der seine große Chance als Teddy-Taylor-Support auf fortgeschrittenem Promillelevel versiebt.

Präzises Drama der Sprachnot

Gnann kokettiert keine Spur mit dem „Charme“ von Hühnerkacke-Rock und Freiheit on the road. Deshalb hat der musikalische Leiter Frank Kuruc dramaturgisch schlüssiges Sound- und Songmaterial organisiert, ohne einen Liederabend daraus zu machen. Deshalb ist Martin Theuers grandios grummeliger, unverbesserlich hoffnungsfroher Kurt nur ein klampfender Couch-Potato, sein Heartbreakin’-Glitzermobil nur ein rollendes Sofa, die weite Roadmovie-Welt nur ein Bild: kerzengerade bis zum Horizont durch menschenleere Felder und Fluren (Bühne: Max Johns).

Der Regisseurin gelingt eine wundersame Verwandlung von Seethalers später zum Roman umgearbeiteten, jetzt als Theaterstück uraufgeführten Drehbuch in ein hartes, präzises Drama der Sprachnot. Was die kargen Sätze des Filmskripts dem Schnitt und der Kamera überlassen, wird bei Gnann zum Befund: die Unfähigkeit zum Dialog. Und an die Stelle der Kamera tritt eine Stilisierung der Figurenbewegung, die gerade nicht in tüttelige Sozialeurythmie kippt, sondern die Kenntlichkeit lupengenau schärft. Große Kunst, schräg wie die Realität.