Kuscheln in harten Zeiten: Premierministerin Theresa May und Kanzlerin Angela Merkel in Berlin Foto: AP

Kanzlerin Angela Merkel berät mit Premierministerin Theresa May in Berlin über den EU-Austritt – und spricht sich im Anschluss für mehr Flexibilität der Europäer aus. Derweil bereiten die Brexiteers auf der britischen Insel die Revolte vor.

Berlin - Theresa Mays Bemühungen um einen Brexit-Aufschub und einen Deal mit der Labour-Partei haben in ihrer eigenen Partei weithin Empörung ausgelöst – und zu erneuten Forderungen nach einem Sturz der Premierministerin geführt.   Viele Brexit-Befürworter fühlen sich „vollkommen verraten“. Sie dringen, weil sie um „ihren“ Brexit fürchten, auf eine sofortige Ablösung Mays durch einen „echten Brexiteer“.   Hardliner der Tory-Rechten haben alle May-Gegner in der Unterhausfraktion aufgefordert, mit einer Flut schriftlicher Misstrauens-Bekundungen zu demonstrieren, dass May keine Fraktionsmehrheit mehr hinter sich hat.

Offiziell können die rebellierenden Abgeordneten die Parteichefin vor Dezember nicht abwählen. Aber der Koordinator der Hinterbänkler, Sir Graham Brady, hat May die Stimmung bereits „kundgetan“. Bei der jüngsten Zusammenkunft der Hinterbänkler wurde offenbar eine Stunde lang über Mays Abwahl diskutiert – ohne eine Lösung.   Auch einzelne Minister aus dem Anti-EU-Lager beginnen mittlerweile die Geduld mit May zu verlieren. Nach der jüngsten Kabinettssitzung hieß es, die für parlamentarische Angelegenheiten zuständige Ministerin Andrea Leadsom habe May „glühend vor Zorn“ zur Rede gestellt.   Am Dienstag sagte Leadsom, sie erwarte, dass May bei ihrem Berlin-Trip die Kanzlerin Angela Merkel zu einer Neuverhandlung des Austrittsvertrags auffordere.

Zitterpartie vor der Europawahl

Dazu kam es offenbar nicht. Die deutsche Regierungschefin hält allerdings eine Verschiebung des britischen EU-Austritts bis Ende 2019 oder Anfang 2020 für möglich, wie sie nach dem eineinhalbstündigen Treffen mit May im Kanzleramt sagte. Beim EU-Sondergipfel zum Brexit an diesem Mittwoch werde es um eine „Flextension“-Erweiterung des Austrittstermins gehen, sagte Merkel am Dienstag Teilnehmern zufolge in einer Sitzung der Unionsfraktion. Derzeit ist der EU-Austritt für diesen Freitag vorgesehen. Dies wollen beide verhindern. Merkel sagte demnach, welches Ergebnis der Sondergipfel in Brüssel bringe, sei noch nicht absehbar. Sie sehe aber die Chance, dass der Brexit-Termin verlängert werde. Eine solche Lösung werde dann flexibel gestaltet.

Bei einer Einigung auf eine Verschiebung werde ein vorheriger Austritt Großbritanniens jederzeit möglich sein, wenn London dies so entscheide. Komme es zu einem Austritt vor dem 22. Mai, werde das Land tags darauf nicht an der Europawahl teilnehmen – treten die Briten später aus, müssen sie mitwählen. Dem Vernehmen nach sagte die Kanzlerin, womöglich werde man erst kurz vor der Europawahl wissen, ob Großbritannien daran teilnehme.

Boris Johnson wütet gegen „Kapitulation“ vor Labour

In London ließ Liam Fox, der Minister für Außenhandel, wenig Zweifel daran, dass er zurücktreten würde, falls das Kabinett einer Zollunion mit der EU zustimmen sollte. Abstand zu jeglicher Zollunion zu halten, sei „absolute Voraussetzung“ für eine eigenständige britische Handelspolitik, sagte Fox.   May selbst hatte stets darauf beharrt, dass Großbritannien nach dem Brexit keiner Zollunion angehören dürfe, weil es das Recht auf freien Abschluss internationaler Handelsverträge haben müsse. Ihre Einwilligung in Verhandlungen mit Labour vorige Woche hat diese Position in Frage gestellt.   Denn für die Labour-Führung um Jeremy Corbyn ist feste Zugehörigkeit zu einer Zollunion mit der EU, plus Übernahme diverser Binnenmarkts-Regeln, zentrales Verhandlungsziel bei den aktuellen Gesprächen. Ex-Außenminister Boris Johnson, der Favorit für die May-Nachfolge, hat diese Woche erklärt, eine „Kapitulation“ vor Labour in Sachen Zollunion sei etwas, „was nicht geschehen kann, darf oder wird“.