Kriminaltechniker suchen auf dem Weg im Pragfriedhof nach Spuren. Foto: Lichtgut/Volker Hoschek

Der drittgrößte Friedhof Stuttgarts ist am Donnerstag zum Schauplatz eines Verbrechens geworden: Eine junge Frau wurde dort umgebracht, Gärtner fanden ihre Leiche. Die Soko Nord ermittelt.

Stuttgart - Der Tod ist hier allgegenwärtig, der Pragfriedhof ein stilles Idyll. Eine Trauergemeinde läuft an diesem Donnerstagvormittag nach einer Urnentrauerfeier auf einem Fußweg Richtung Gärtnerei im Westteil des Geländes, beachtet kaum die rot-weißen Absperrbänder der Polizei. Eine Friedhofsbesucherin will zu einer Ruhestätte im Gräberfeld 62, die Flatterbänder beachtet sie nicht. Sie muss von Polizisten extra darauf hingewiesen werden, dass dieses Areal gesperrt ist.

Denn wenige Meter weiter liegt eine Tote, die so nicht hierher gehört. Sie liegt auf dem Rasen, eine 21-Jährige, die am Donnerstagmorgen an dieser Stelle umgebracht wurde. Kriminaltechniker in weißen Schutzanzügen sichern Spuren an der Leiche und der unmittelbaren Umgebung. „Die Auffindesituation weist eindeutig auf ein Tötungsdelikt hin“, sagt Polizeisprecher Thomas Geiger. Die genaue Todesart und den Zeitpunkt müsse ein Gerichtsmediziner klären.

Wurde die junge Frau in der Nacht umgebracht – oder am frühen Morgen? Für die Friedhofsmitarbeiter ist das alles ein großes Rätsel. Die Tat im Gräberfeld 62 geschah unmittelbar an einem Verbindungsweg. Zwar etwas durch eine Hecke verdeckt, aber die Füße des Opfers ragten deutlich hervor. „Wer da vorbeiläuft, muss das sehen“, sagt der Friedhofsaufseher Reiner Dölfel.

An benachbarten Gräbern sind Gärtner bei der Arbeit

Doch bis gegen 8.30 Uhr ist das nicht der Fall. Die Dienstaufseher, die stets ihren Rundgang machen, wechseln um 7 Uhr die Schicht. Zu dieser Zeit fällt nichts Verdächtiges auf. In unmittelbarer Nähe des Tatorts, gegenüber auf den Grabfeldern mit den Nummern 64 und 65, sind die Gärtner zugange. Sie gießen an diesem strahlenden Spätsommermorgen die Pflanzen. Auch ihnen fällt nichts auf. Auf dem angrenzenden Grabfeld 61 ist ein Mitarbeiter mit dem Rasenmähen beschäftigt. Er trägt Kopfhörer als Schutz gegen den Lärm. Für die Kenner des Pragfriedhofs ist klar: Wäre die Tote schon frühmorgens dort zwischen den Urnengräbern an der Hecke gelegen, hätte sie „hundertprozentig“ bemerkt werden müssen. Denn der Pragfriedhof wird nicht nur von Angehörigen Verstorbener aufgesucht – er ist für Fußgänger ein viel benutzter Weg Richtung Nordbahnhofviertel oder Pragsattel.

Womöglich hätte die Tat ein paar Tage später so auch gar nicht stattfinden können. „Da herrscht auf diesem Weg vollends ein reges Kommen und Gehen, da ist alles stark von Schülern frequentiert“, sagt Friedhofsaufseher Dölfel. Die beruflichen Bildungseinrichtungen Hedwig-Dohm-Schule sowie Alexander-Fleming-Schule als Berufsschule für Gesundheit und Pflege sind gleich in der Nähe – und viele Schüler nehmen die Abkürzung über den 21 Hektar großen Friedhof an der Heilbronner Straße. In dieser Woche sind aber noch offiziell Schulferien.

Obduktion soll Todesursache klären

Bei der Stuttgarter Kripo ist inzwischen die Sonderkommission Nord gebildet worden. 40 Beamte machen sich an das große Ermittlungs-Puzzle: Gibt es im Umfeld der 21-Jährigen mögliche Hinweise auf den Täter? Hatte sie Streit? Oder Feinde? Die junge Frau ist bisher allenfalls wegen kleinerer Delikte polizeiauffällig gewesen. Oder ist sie das Opfer einer Zufallsbekanntschaft geworden? Mit Angaben zum Opfer halten sich die Ermittler unter Kripochef Rüdiger Winter und dem Leiter des Arbeitsbereichs Tötungsdelikte, Steffen Gottmann, jedoch auffallend zurück. Nichts sagen, was den Täter womöglich warnen oder veranlassen könnte, wichtige Beweismittel zu beseitigen. Dazu gehört auch, dass laut Pressemitteilung nicht ein Gärtner, sondern nur „ein Passant“ die Tote gefunden haben soll.

Die 21-Jährige hatte blutende Verletzungen – offenbar wurde sie erstochen. Ob sie aber tatsächlich an den Folgen von Messerstichen gestorben war, soll an diesem Freitag eine Obduktion klären. Eine Tatwaffe, sagt Polizeisprecher Geiger, sei nicht gefunden worden. Beamte der Einsatzhundertschaft hatten die Umgebung nach verdächtigen Gegenständen abgesucht. Welches Motiv der Täter hatte, bleibt vorerst unklar. Die Tote war vollständig bekleidet, was zunächst nicht für ein Sexualverbrechen spricht. Dass die rothaarige Frau Opfer eines Beziehungskonflikts wurde, ist nicht ausgeschlossen.

Spektakuläre Kriminalfälle in Stuttgart

Der Koffermord: Im Stuttgarter Schlossgarten werden im Juni 2014 zwei Rollkoffer gefunden – in jedem steckt eine Leiche. Die zur Obdachlosenszene gehörenden Opfer, ein 50-Jähriger und eine 47-jährige Frau, waren von einem 48-Jährigen umgebracht und entsorgt worden. Er wird zu lebenslanger Haft verurteilt.

Die Tote im Park: In den Tapachanlagen in Stuttgart-Rot wird im Mai 2014 eine 56-Jährige verbrannt gefunden. Sie hat sich das Leben genommen, nachdem sie ihre 88-jährige Mutter in der nahegelegenen Wohnung getötet hatte.

Mord im Gerichtsviertel: In einer Wohnung gegenüber dem Stuttgarter Landgericht wird im April 2014 die Leiche eines 61-Jährigen gefunden – erstochen. Die Polizei fahndetnach einem 47-jährigen Iraker, der spurlos verschwunden ist.

Der Tote im Auto: Auf dem Cannstatter Wasen geht im September 2013 ein Auto in Flammen auf. Ein 21-Jähriger liegt tot im Wagen. Ein Suizid eines Neonazi-Aussteigers, Ermittlungspannen der Polizei werden zu einem Politikum.

Mord statt Meditation: Eine 59-Jährige verschwindet im Februar 2013 aus ihrer Wohnung im Westen. Zurück bleiben Blut und Kampfspuren. Die Meditationstrainerin wurde von ihrem 47-jährigen Lebensgefährten umgebracht, ihre Leiche weggeschafft. Der Täter tötet sich nach seiner Flucht in die Schweiz. (wdo)