Yascha Mounk sieht die Demokratie in Gefahr. Foto: dpa

Die Menschen wünschen sich einen Wandel. Auf diesen Wunsch müssen die etablierten Parteien eingehen, sonst gewinnen die Populisten weiter an Boden, sagt der Politikwissenschaftler Yascha Mounk im Interview.

Berlin - Der deutsch-amerikanische Politikwissenschaftler Yascha Mounk warnt davor, dass sich die Populisten weiter ausbreiten könnten.

Herr Mounk, der Ablauf der Koalitionsverhandlungen in Berlin wirft kein gutes Licht auf die Parteien und deren Führungspersonal. Dieser Machtpoker hat sich zu einer Art Werbeveranstaltung für die AfD entwickelt, die genau diesen Postenschacher immer wieder anprangert?
Ich bin über die Koalitionsverhandlungen ziemlich erschrocken. Am Wahlabend des 24. September 2017 haben die Politiker angesichts des guten Abschneidens der AfD verkündet: Wir haben die Signale verstanden. Wir verstehen, dass sich etwas ändern muss, um den Aufstieg der AfD aufzuhalten. Und dann veranstalten dieselben Politiker in den nächsten Monaten so ein unglaubliches Theater. Das macht mir große Sorge.
Wieso machen die Politiker einfach weiter wie bisher – trotz der Veränderungen durch das Auftauchen einer populistischen Partei?
Ich sehe zwei Gründe dafür. Das erste ist, dass die politischen Realitäten noch immer nicht ganz anerkannt werden. Die Stimmung in Deutschland erinnert mich gerade sehr an die Stimmung vor dem Brexit oder auch an die USA vor der Wahl Donald Trumps. Damals hieß es: Bei uns kann so etwas nicht passieren. Vor der Bundestagswahl erklärten mir viele Deutsche mit den Brustton der Überzeugung, dass die AfD am Ende knapp unter der Fünf-Prozent-Hürde bleiben oder nur knapp drüber liegen werde.
Doch es kam ganz anders.
Heute, nach der Wahl, heißt es: In vier Jahren wird sich die AfD zerlegt haben. Dann gehen wir wieder zum Normalzustand über. Aber das glaube ich nicht. Wir durchleben einen strukturellen Wandel der Bedingungen der Demokratie in unserem Land.
Inwiefern?
Die Populisten im Parlament sind inzwischen zu stark. Ich denke nicht, dass es in den nächsten zehn oder 15 Jahren jemals wieder eine Koalition aus Schwarz-Gelb oder Rot-Grün eine Regierung bilden wird. Das heißt, dass zwei Grundbehauptungen der Populisten langsam wahr werden. Erstens: Zwischen den etablierten Parteien wird es keinen Unterschied mehr geben. Wenn man andauernd miteinander koaliert, dann wird man sich zwangsläufig immer ähnlicher. Zweitens: Die einzige Möglichkeit, einen Politikwechsel durchzusetzen besteht darin, für extreme Parteien zu stimmen.
Die Extremen auf dem Vormarsch?
Davon gehe ich aus. Auf der einen Seite wollen viele Wähler offensichtlich eine Veränderung. Auf der anderen Seite scheint es inzwischen keinen Unterschied mehr zu machen, für die FDP, die SPD, die Grünen oder die CDU zu stimmen. In irgendeiner Konstellation werden sie am Ende miteinander koalieren. Deshalb befürchte ich, dass die AfD in den nächsten Jahren noch stärker wird.
Sie erwarten also eine Art Radikalisierung der Gesellschaft?
Das trifft es nicht ganz. Nehmen wir den Wahlkampf 2016 in den USA. Dort gab es einen Wettbewerb zwischen einer Politik des radikalen Wandels und einer moderaten Politik des Status Quo. Das Radikale hat gewonnen, das bedeutet aber nicht, dass die meisten Amerikaner radikal wären. Die meisten Menschen wünschen sich einen Wandel und auf diesen Wunsch müssen die etablierten Parteien nun auf einem moderaten politischen Boden eingehen.
Die Parteien sehen die Bedrohung durch den Populismus natürlich auch. Warum reagieren sie nicht darauf?
Der Grund ist ziemlich einfach: die Politiker sehen keine Alternative. Ihnen fehlt die Fantasie zu erkennen, was man anders machen könnte. Wenn sie aber weiter machen wie bisher, werden die Wähler eben nach etwas Neuem suchen.
Sie sagen, dass diese neuen, populistischen Parteien eine Gefahr für die Demokratie sind. Wie kommen Sie zu dieser Annahme?
Aus der deutschen Erfahrung heraus könnte man denken, dass die Demokratie dann zugrunde geht, wenn Faschisten mit brennenden Fackeln durch unsere Straßen laufen und die Demokratie niederbrüllen. So ist das in Polen und Ungarn und selbst in Russland und der Türkei nicht gelaufen. So läuft das auch in den USA nicht. Es sind demokratisch gewählte Politiker, die zum Teil recht populäre Positionen beziehen, die aber die Grundregeln des demokratischen Systems mit Füßen treten. Dass sie zum Teil ganz andere politische Meinungen haben als etablierte Politiker, ist ja in Ordnung. Aber dass sie sagen: Wir alleine repräsentieren und verkörpern das Volk und alle, die mit uns nicht übereinstimmen, sind Volksverräter. Das ist gefährlich.
Sie beschreiben also eher eine Art schleichende, verschleierte Gefahr für die Demokratie?
Das ist genau die Innovation am Populismus. Er kommt nicht daher als anti-demokratisch, sondern als besonders demokratisch. Die AfD reklamiert für sich, dass sie ein viel demokratischeres System einführen will, als es im Moment existiert. Sie ist etwa für mehr direkte Demokratie und Volksabstimmungen, was sich gut anhört. Aber gleichzeitig untergraben die AfD-Politiker in ihren Reden ständig die Legitimität unabhängiger staatlicher Institutionen, der politische Opposition, der Gerichte.
Die Populisten scheinen mit ihren Aussagen aber einen Nerv bei den Menschen zu treffen. Sonst würden sie nicht gewählt werden.
Populisten reagieren oft auf echte Missstände in einem Land. Sie liegen in ihrer Analyse der Gesellschaft auch nicht immer falsch, machen aber vollkommen falsche Versprechungen darüber, wie diese Probleme zu lösen seien. Und wenn sie dann einmal an der Macht sind und es nicht schaffen, ihre Versprechungen einzulösen, dann fangen sie natürlich an, nach den Schuldigen zu suchen. Und die heißen dann immer Ausländer, Minderheiten, freie Medien, unabhängige Institutionen. Gerade das macht sie für die Demokratie so gefährlich.