Seit Montag haben Radfahrer auf der Theodor-Heuss-Straße eine eigene Verkehrsspur. Foto: Leif Piechowski/Leif-Hendrik Piechowski

In einer Sache sind sich die Stuttgarter Stadträte einig: Die neuen temporären Radfahrstreifen sind grundsätzlich eine gute Sache. Einzig die Auswahl der Straßen sorgt vereinzelt für Unverständnis.

Stuttgart - Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) definiert eine Pop-up-Bike-Lane auf seiner Webseite als Fahrradspur, die plötzlich auftaucht und für ein paar Stunden ein Bild davon vermittelt, „wie Rad fahrende Menschen auch unterwegs sein könnten, wenn Politik und Verwaltung ihnen den Platz einräumen würden“. Ein Kurzzeit-Experiment also.

Anfang der Woche sind auch in Stuttgart plötzlich zwei der temporären Fahrradspuren, die den Radfahrern künftig mehr Platz einräumen sollen, aufgetaucht. Mit einem feinen Unterschied: Die mit gelber Farbe markierten Spuren in der Theodor-Heuss-Straße und Holzgartenstraße verschwinden nicht nach kurzer Zeit wieder, sondern bleiben mindestens bis Oktober bestehen – teilweise sogar länger.

Denn auf der Theo, einer der Hauptverkehrsachsen in der Landeshauptstadt, sollen die Spuren im Rahmen der Weiterentwicklung Stuttgarts zu einer fahrradfreundlichen Stadt früher oder später zu einer „Protected Bikelane“, also einer baulich vom Autoverkehr getrennten Fahrradspur, ausgebaut werden. Rad- und Autofahrer sollen sich dort also langfristig die Straße teilen.

Frust in den Sozialen Netzwerken

Vor allem Pkw-Enthusiasten stößt dieses Vorhaben sauer auf. In den sozialen Netzwerken lassen sie ihrem Frust über die Extraspuren für Radfahrer und das damit verbundene erhöhte Verkehrsaufkommen freien Lauf. Doch nicht nur die betroffenen Autofahrer zeigen wenig Verständnis: CDU-Stadtrat Maximilian Mörseburg etwa tat seinen Unmut am Montag auf Facebook kund und sprach in diesem Zusammenhang von einem „neuen Stauhotspot in der Innenstadt“.

Zwei Tage später erneuerte er seine Kritik gegenüber unserer Zeitung: „Ich habe nicht das Gefühl, dass man mit den Spuren versucht, den Fahrradverkehr zu stärken, sondern vielmehr den Autoverkehr zu blocken.“ Er könne nicht nachvollziehen, weshalb man die Spuren ausgerechnet auf einer der Hauptverkehrsstraßen eingerichtet habe. „Die Idee, dass Radfahrer eine eigene Verkehrsspur bekommen, finde ich grundsätzlich gut. Nur könnte man diese ja auch in Nebenstraßen verlegen“, sagt Mörseburg, der glaubt, dass so nur unnötig viel Stau entstehe, was in der Gesamtschau auch für die Radfahrer schlecht sei.

Pantisano findet Pop-up-Bike-Lanes super

Stadtrat-Kollege Luigi Pantisano (SÖS) teilt diese Ansicht nicht. „Für den Radverkehr ist es ganz wichtig, dass er näher an die Innenstadt heranrückt. Einwohnerinnen oder Einwohner, die in die Stadt fahren möchten, müssen die Möglichkeit haben, statt dem Auto das Rad zu nehmen. Da bringt es nichts, wenn die Radwege durch Nebenstraßen führen und man mit dem Fahrrad letztlich länger als mit dem Pkw braucht“, sagt Pantisano, der die Pop-up-Bike-Lanes deshalb „super“ findet. Gleichzeitig gibt er jedoch zu bedenken, dass man sich dringend noch Gedanken machen müsse, wie die Spuren in Zukunft sicherer gemacht werden könnten.

Auf Twitter waren zu Wochenbeginn mehrere Bilder aufgetaucht, die zeigen, wie Autofahrer unerlaubterweise auf der Fahrradspur überholen. Auch bei der Polizei Stuttgart sind laut einer Sprecherin schon mehrere Beschwerden von Radfahrern eingegangen. „Das darf natürlich nicht passieren und sollte in Zukunft auch verhindert werden“, sagt Pantisano und ergänzt: „Die Leute, die mit dem Fahrrad unterwegs sind, müssen sich sicher sein können, dass sie die Spuren ungestört nutzen können und sich dort nicht in Gefahr bringen.“

Schanbacher: „Schritt in die richtige Richtung“

SPD-Stadträtin Lucia Schanbacher sieht das ganz ähnlich und spricht von einem ersten „Schritt in die richtige Richtung“. Denn der Platz, den man für die Fahrradspuren schaffe, sei die eine Sache, man müsse aber auch für die entsprechende Sicherheit sorgen. „Es sollte nicht so sein, dass die Spuren am Ende nur von besonders mutigen Menschen benutzt werden können. Auch Familien mit Kindern müssen dort sicher fahren können“, sagt Schanbacher, die die Idee der eigenen Verkehrsspuren für Fahrradfahrer aber schon lange unterstütze und dieser deshalb positiv gegenüberstehe. „Die Pop-up-Spuren sollen jetzt erst mal zeigen, was möglich ist und dabei helfen, Erfahrungen zu sammeln.“

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Erfahrungen, um in Zukunft noch mehr Verkehrsspuren für Biker freizugeben? „Auf jeden Fall“, findet Marcel Roth, der für die Grünen im Stadtrat sitzt. „Das Projekt ist dringend notwendig und kann gerne noch weiter ausgebaut werden“, sagt Roth, für den die Pop-up-Bike-Lanes eine Vorausschau sind, „wie sich die Stadt in den kommenden zehn Jahren im Hinblick auf die Bekämpfung der Klimakrise“ verändern muss.

Bessere Anbindung an das bestehende Radnetz

Thijs Lucas von der Initiative „Radentscheid Stuttgart“, der sehr glücklich ist über die neuen Fahrspuren ist, spricht ebenfalls von einem guten Anfang, fordert aber: „Das muss noch viel mehr werden!“ Zudem müssten die Spuren noch besser an das bereits bestehende Radnetz angebunden werden, weil sie bisher im Nichts anfingen und aufhörten.

Zu den Aussagen der Stadträte, dass die Radfahrer noch mehr geschützt werden müssten, sagt Lucas: „Im Endeffekt funktioniert das Projekt nur, wenn die Straßenverkehrsordnung eingehalten wird.“ Und dafür brauche es irgendwann auch eine bauliche Trennung oder eben mehr Kontrollen. „Ich bin gespannt, wie Polizei und Stadtverwaltung das Problem der fehlenden Sicherheit lösen“, sagt Lucas. Generell hätte er aber nichts dagegen, wenn die Stadt das Tempo beibehalte, um das Ziel, aus Stuttgart eine Fahrradstadt zu machen, so schnell wie möglich zu erreichen. „Die Fahrspuren für Radfahrer müssen an allen großen Straßen in Stuttgart kommen.“