Bei jedem siebten Unfall sind die Ermittler erst nach über einer Stunde vor Ort. Foto: dpa

Landesweit dauert es bei jedem siebten Unfall mehr als eine Stunde, bis die Spezialisten vor Ort sind. Lange Wartezeiten auf die polizeiliche Unfallaufnahme sind bei schweren Verkehrsunfällen offenbar landesweit ein Problem.

Rems-Murr-Kreis - Lange Wartezeiten auf die polizeiliche Unfallaufnahme sind bei schweren Verkehrsunfällen offenbar landesweit ein Problem. Laut einer Statistik des Stuttgarter Innenministeriums dauert es im Südwesten bei jedem siebten Crash mit tödlichem Ausgang mehr als eine Stunde, bis spezialisierte Ermittler vor Ort sind. Das ist das Ergebnis einer Kleinen Anfrage des Waiblinger Landtagsabgeordneten Siegfried Lorek (CDU) an die grün-schwarze Landesregierung. „Die Antwort zeigt klar, dass seit der Polizeireform keine optimale flächendeckende Unfallaufnahme mehr vorhanden ist“, kommentiert er die unserer Zeitung vorliegenden Zahlen.

Selbst im Mittelwert dauert es knapp eine halbe Stunde, bis die Unfallexperten vor Ort sind

Die vom Stuttgarter Innenministerium erarbeitete Statistik belegt, dass es sich keineswegs um seltene Einzelfälle handelt, wenn sich die Unfallaufnahme erheblich verzögert. Schon ein Blick auf die Durchschnittswerte bei der Interventionszeit zwischen dem Notruf und dem Eintreffen der Ermittler am Unfallort nämlich zeigt, dass Rettungskräfte und Feuerwehr oft sehr lange auf die Polizei warten müssen.

Selbst im Mittelwert dauert es knapp eine halbe Stunde, bis die Unfallexperten vor Ort sind. Im Südwesten am schnellsten ist das Polizeipräsidium Freiburg mit einer Interventionszeit von durchschnittlich 23:09 Minuten. Am längsten für den Weg zum Einsatzort brauchen die Spezialisten in Tuttlingen. 33:37 Minuten dauert es durchschnittlich im Schwarzwald – über zehn Minuten länger als im Breisgau. Ebenfalls über der Halbstunden-Marke liegt die Unfallaufnahme 30:33 Minuten bei schweren Unfällen überraschender-weise in Stuttgart. Besser schneidet das ländlich strukturierte Polizeipräsidium Aalen ab, laut der vom Innenministerium vorgelegten Erhebung dauerte es 29:26 Minuten, bis die Ermittler am Einsatzort waren. Zum Vergleich: Das auch für den Kreis Böblingen zuständige Polizeipräsidium Ludwigsburg liegt bei 28:59 Minuten.

Noch gravierender als die Durchschnittswerte ist allerdings die Erkenntnis, dass es auch keine Ausnahme ist, wenn sich die Unfallaufnahme erheblich verzögert. Laut der Statistik brauchten die Polizei-spezialisten bei immerhin 1365 von landesweit 10 026 Unfällen mit Personenschaden mehr als eine Stunde, bis sie am Einsatzort waren. Das ist eine Quote von 14 Prozent. Noch schlechter schneidet die Unfallaufnahme bei Crashs mit tödlichem Ausgang ab. Bei landesweit 353 Unfällen in dieser Kategorie waren die Ermittler in 57 Fällen mehr als eine Stunde unterwegs.

Auslöser für die Frage nach dem Zeitverlust auf dem Weg zum Einsatzort war die Todesfahrt von Rommelshausen

Allerdings: Die Zahlen stammen bereits aus den Jahren 2015 und 2016, neuere Daten gibt es nicht. Nach den Bilanzen für die ersten drei Halbjahre nach der Polizeireform hatte das Innenministerium die Auflistung eingestellt – offiziell, weil die Erhebung der Daten einen erheblichen Aufwand bedeute. Auch eine Aufschlüsselung der Zahlen nach Polizeipräsidien unterblieb. Auslöser für die Frage nach dem Zeitverlust auf dem Weg zum Einsatzort war die Todesfahrt von Rommelshausen. Kurz vor Weihnachten war ein 28-jähriger Autofahrer mit hohem Tempo auf einen in einer Parkbucht am Ortseingang stehenden Kipplaster geprallt. Ein Streifenwagen aus dem nahen Fellbacher Revier war umgehend vor Ort, die Feuerwehr rückte mit acht Fahrzeugen und 32 Löschhelfern aus. Sie mussten mit der Reinigung der Straße und dem Spülen des Kanals allerdings warten, bis der für die Ermittlungen bei schweren Unfälle zuständige Verkehrsunfalldienst aus dem 82 Kilometer entfernten Kirchberg an der Jagst fertig war. Auch wegen einer polizeiinternen Panne in der Alarmkette waren die Spezialisten erst nach fast zwei Stunden vor Ort – für die ehrenamtlichen Kräfte der Feuerwehr bedeutete das einen nahezu fünf Stunden dauernden und erst nach vier Uhr in der Frühe beendeten Nachteinsatz.

CDU-Mann Siegfried Lorek, vor der politischen Karriere selbst im Polizeidienst tätig, sieht in dem Ablauf eine „unzumutbare Belastung für die Helfer“. Auch die Würde des Opfers habe gelitten. Von den fürs kommende Jahr bereits angekündigten Änderungen hält der Abgeordnete wenig. „Auch nach den jetzt anstehenden Änderungen kann es sein, dass die Unfallaufnahme aus Aalen anfahren muss. Diese langen Anfahrtszeiten sind nicht akzeptabel. Ich werde mich für weitere Verbesserungen für den Kreis einsetzen“, verspricht er.

Hintergrund: Unabhängig von dem aktuellen Fall hat eine Arbeitsgruppe unter dem Titel „Polizeistruktur 2020“ vorgeschlagen, dass die etwa bei den Kriminaldauerdiensten bewährte Praxis auch auf die Unfallaufnahme bei komplexen Fällen ausgedehnt werden soll. Landesweit stehen dann rund um die Uhr Spezialisten parat. Für den Rems-Murr-Kreis wären die beiden Standorte in Backnan g und Aalen im wöchentlichen Wechsel zuständig. „Parallel wird der verkehrspolizeiliche Sachverstand bei den Polizeirevieren gestärkt, damit auch dort einfach gelagerte Verkehrsunfälle mit Getöteten oder Schwerverletzten eigenständig aufgenommen werden können“, heißt es in einem Papier des Innenministeriums. Eine Rückkehr zur bis zur Polizeirevier 2014 fast komplett bei den Revieren verorteten Unfallaufnahme soll es allerdings nicht geben – auch wegen des Fortbildungsaufwands für die Streifenbeamten in den einzelnen Polizeirevieren.

Als Reaktion auf die Berichterstattung hat Kernens Bürgermeister Stefan Altenberger betont, die Inhalte des Telefonats mit dem Aalener Polizeipräsidenten Roland Eisele nicht an Medienvertreter weitergegeben zu haben. In dem Gespräch sei es außerdem auch noch um andere Themen gegangen. Der im Juli aus dem Amt scheidende 60-Jährige, in seiner Heimatstadt Waiblingen mehrere Jahre Ortschaftsrat in Bittenfeld und später für die Demokratischen Freien Bürgern im Waiblinger Gemeinderat vertreten, soll beklagt haben, dass mit dem Thema auch parteipolitische Ziele verfolgt würden.