Maybrit Illner befragte ihre Gäste zum Thema „Feindbild Polizei“? Foto: dpa/Carmen Sauerbrei

Woher kommt die Wut auf die deutsche Polizei? Bei der Talkshow von Maybrit Illner fordert sogar ein Kriminalbeamter vertrauensbildende Maßnahmen – und Cem Özdemir dankt den Ordnungshütern.

Stuttgart - Entzündet an der Randale von Stuttgart haben sich die Gäste in Maybrit Illners Talkshow am Donnerstagabend eine emotionale Debatte geliefert, mit tiefen Gräben beim Thema „Feindbild Polizei – Hass, Gewalt und Machtmissbrauch“. Der als Realo bekannte Stuttgarter Grünen-Abgeordnete Cem Özdemir outete sich als bekennender Freund der Ordnungshüter und griff erst spät in die Schublade der Kritik. Und ein Vertreter des Bundes der Kriminalbeamten, Sebastian Fiedler, verteidigte seine Polizeikollegen vehement – und räumte am Ende dennoch Reformbedarf ein.

Hitziger Schlagabtausch des Polizisten mit der Kabarettistin

Mit Fiedler lieferte sich die Kabarettistin Idil Baydar gleich zu Beginn einen hitzigen Schlagabtausch. Baydar vertrat die Ansicht eines strukturellen Rassismus auch in der deutschen Polizei – belegte das mit vielfachen Hinweisen – und sie ging direkt auf die Krawalle von Stuttgart ein: „Ich habe es noch nie erlebt, dass Jugendliche angreifen, ohne dass sie zuvor provoziert worden sind“, so Baydar. Im übrigen habe sich auch mit der Polizeifunkaufzeichnung „Des isch Krieg – das sind nur Kanaken“ in der Stuttgarter Krawallnacht die rassistische Tendenz wieder einmal bewiesen, so Baydar.

„Sie machen Täter zu Opfern, soweit kommt es noch“, empörte sich der Polizist Fiedler. Es habe sich in Stuttgart um eine „rechtmäßige Drogenkontrolle“ gehandelt. Die Nacht von Stuttgart sieht Fiedler nicht als Einzelphänomen, er wies auch auf jüngste Krawalle in Brixton, London, Den Haag und Dijon hin. „Da gibt es destabilisierende Elemente, die den Staat in Gänze ablehnen.“ Dass Kollegen auch in Deutschland zu fingierten Notfällen zum Einsatz gerufen werden und dann mit Steinen beworfen werden, zeige ein tief sitzendes Problem, dass durch die Polarisierung in der Gesellschaft zugenommen habe. „Von den Parteien kommen aber nur Worthülsen. Wir fragen uns: Wie viel Rückhalt haben wir als Polizei?“

Wolfgang Bosbach sieht die deutsche Polizei in die Ecke gedrängt

Immer wieder war es Idil Baydar, die die Debatte aufheizte: Ja, es gebe hier eine „absolut überforderte Polizei“, stellte sie fest, es gebe aber auch „eine Cop-Kultur in Deutschland, in der die Polizei uns Migranten ständig ins Visier nimmt“. „Und schauen Sie auf die Morde von Hanau. Die Polizei schützt uns nicht“, sagte Baydar. Für den wie immer tief gebräunten Wolfgang Bosbach, Innenexperte der CDU, war das zuviel: Einen Zusammenhang herzustellen zur Ermordung von George Floyd in den USA mit den Verhältnissen bei der deutschen Polizei sei ja „so was von abwegig“. Die Polizei fühle sich zunehmend in die Ecke gedrängt, es sei ja schon so weit gekommen, dass „wenn ein weißer Polizist einen Schwarzen kontrolliert, sofort von Rassismus die Rede ist“. Bosbach sieht keinen Bedarf, am bestehenden System etwas zu ändern: Mit Fach- und Dienstaufsichtsbeschwerden, mit Petitionen und Strafanzeigen gebe es ein ausreichendes Instrumentarium, sich gegen mögliche Übergriffe der Polizei zu wehren.

Und doch besteht offenbar Handlungsbedarf. Cem Özdemir stimmte zunächst ein Loblied auf die Polizei an, sprach ihr seinen Dank aus und erinnerte daran, dass er selbst vom BKA geschützt werde, da er von zwei Fronten – der rechtsradikalen Szene und der türkischen Seite – Drohungen erhalte. Im übrigen habe die TAZ, die kürzlich einen laut Özdemir „widerwärtigen“ Artikel über die Polizei („auf den Müll“) gedruckt habe, selbst einmal die Polizei zu ihrem Schutz vor Autonomen gerufen, das war 1990. Wenn er Innenminister wäre, so Özdemir, dann würde er sich „vor die Polizei stellen“. Aber dass in den Reihen der Polizei „Reichsbürger“ und Anhänger der Identitären Bewegung seien, das gehe gar nicht. Es habe den Tod von Oury Jalloh in einer Polizeizelle in Dessau gegeben und in jüngster Zeit das rechte Netzwerk NSU 2.0 in der hessischen Polizei.

Am Ende nicken dann doch alle

Ähnlich wie Idil Baydar wies Özdemir auch auf die schlampigen Ermittlungen der Polizei bei der Aufklärung der NSU-Morde an Migranten hin, die zunächst als Döner-Morde registriert worden waren und bei denen die Familien der Opfer unter Verdacht gerieten: Nach dem Nagelbombenanschlag von Köln gegen Migranten hätten Zeugen von einem blonden Täter berichtet, der sich auf einem Rad entfernt habe. Die Polizei aber habe in Richtung kurdischer PKK ermittelt, in der Blonde selten sind: „Da hätte meine Großmutter besser ermittelt“, meinte Özdemir. „Ich weiß nicht, ob das Unfähigkeit oder Vorsatz war, aber es ist nicht vollständig aufgearbeitet.“

Ausgerechnet der Polizeivertreter leitete am Ende einen versöhnlichen Schlussakkord ein: „Wenn bei Teilen der Gesellschaft das Vertrauen in die Polizei erschüttert ist, dann müssen wir darum werben.“ Da nickte selbst Kabarettistin Baydar. Es existiere kein „systemimmanenter Rassismus“ in der Polizei, so Fiedler, aber es gebe „schwarze Schafe“ wie der Fall Nordkreuz in der Polizei zeigte, wo sich verachtenswerte „Subjekte“ bewaffneten, um am Tag X einen Anschlag auf die Freiheitliche Grundordnung zu verüben. Die müssten entfernt werden.

Auf die Frage von Maybrit Illner, ob ein Polizeibeauftragter die richtige Instanz für Bürgerbeschwerden sein könnte, etwa bei Diskriminierungen, entgegnete Fiedler, dass solche Polizeibeauftragten ähnlich wie Wehrbeauftragte „nach innen wirken“. Da könnten sie aber sinnvoll sein, ähnlich wie Ombudsmänner in der Wirtschaft, ein Schutz für Whistleblower, die aus ihrem Umfeld über Missstände berichten wollten und sich dies in der Gruppe nicht trauen. „Die Polizeibeauftragten sind in vielen Ländern nicht optimal aufgestellt, zum Teil den Innenministerien angegliedert“, sagte Fiedler. Da könne man etwas verbessern. Am Ende sprach Maybrit Illner das Schlusswort: „Wir brauchen in der Polizei mehr Migranten und mehr Frauen – da nicken ja jetzt alle.“