Gerne hemdsärmelig, gerne hitzig: Der suspendierte OB Joachim Wolbergs vor Gericht Foto: dpa

Ein Oberbürgermeister vor Gericht, Ermittlungen gegen den Vorgänger von der anderen Partei – ja: gegen ein ganzes, womöglich korruptes System. Die Stadt erbebt.

München - Dass Angeklagte rebellieren gegen alles, was ihnen die Staatsanwaltschaft vorwirft, gehört zur Natur von Strafprozessen. Die nackte Feindschaft aber, die grell aus beinahe jeder Äußerung des Joachim Wolbergs blitzt – im Gerichtssaal und parallel auf seinem privaten Facebook-Forum –, sie ist zumindest ungewöhnlich. „Bodenlos und unterirdisch“, sei das Vorgehen der Anklage; einen „Jagd- und Vernichtungsfeldzug“ führten die Staatsanwälte gegen ihn, den verdienten Oberbürgermeister von Regensburg: „In meinen Augen sind die völlig verrückt geworden.“ Da gibt es auch keinen Verteidiger, der seinem prominenten Mandanten aus prozesstaktischen Gründen zur Mäßigung raten würde. Im Gegenteil: Wolbergs‘ Anwälte feuern genauso heftig. „Mit diesem Sauhaufen muss aufgeräumt werden“, schleudert einer in Richtung der Anklagevertreter.

Seit gut neun Monaten lässt dieser Prozess die Stadt erbeben; am Mittwoch nun soll das Urteil gegen die insgesamt vier Angeklagten ergehen, und als ein Beschuldigter diesen Montag in seinem letzten Wort nur sagte, er sei „froh, wenn dieses Verfahren endlich vorbei ist“, erwiderte die Richterin: „Da sind sie nicht allein.“

Wobei: Vorbei wird in der stolzen, einst Freien Reichsstadt Regensburg so schnell nichts mehr sein. Denn es steht ja nicht nur ein einsamer, im Zuge des Verfahrens vorläufig suspendierter Oberbürgermeister von der SPD wegen eines möglichen persönlichen Fehlverhaltens vor Gericht, sondern neben ihm ein großer Bauunternehmer, der auf der Suche nach lukrativen Grundstücken und Aufträgen eine großzügige, systematische finanzielle „Landschaftspflege“ gegenüber allen möglichen Parteien betrieben hat, und es laufen tatsächlich auch Ermittlungen gegen das Regensburger CSU-Establishment: gegen Wolbergs’ Amtsvorgänger Hans Schaidinger beispielsweise, der nach seinem altersbedingten Ausscheiden aus der Stadtpolitik 2014 eine gut dotierte Aufnahme als „Berater“ bei just dem erwähnten Bauunternehmen gefunden hat.

Wo Ball und Rubel rollen

Von einem „komplexen korruptiven System“ spricht die Staatsanwaltschaft. Und da es um Euro-Millionen ebenso ging wie um riesige Bauprojekte und um eine möglichst hohe Liga-Zugehörigkeit für den SSV Jahn Regensburg als fußballerisches Aushängeschild und als soziale Sammelbewegung kommunaler Identität, lässt sich ohne viel Übertreibung sagen, dass da eine ganze Stadt erbebt. Weiterhin wird sie erbeben, wenn Joachim Wolbergs tatsächlich – so wie er es ankündigt – 2020 bei der Gemeindewahl erneut antritt, um sich seinen OB-Posten zurückzuholen. Vom Volk. Gegen die Staatsanwälte.

Diese werfen dem 48-jährigen illegale Parteifinanzierung, Vorteilsnahme und Bestechlichkeit vor. Der Bauunternehmer auf der Anklagebank wiederum – Volker Tretzel (76), soll Wolbergs‘ Wahlkampf 2014 finanziert und sich auch darüber hinaus für politisches Entgegenkommen erkenntlich gezeigt haben. So soll er beispielsweise Handwerksleistungen in Privaträumen der Bürgermeisters nicht verrechnet und sowohl dessen Mutter als auch die Schwiegermutter beim Erwerb von Eigentumswohnungen finanziell gefördert haben. Der Jahn Regensburg erhielt – was wiederum dem OB sozialpolitisch sehr wichtig war – zehn Millionen Euro, etwa für den Ankauf von Spielern. Und was bekam Tretzel im Gegenzug? Die Frage vor Gericht ist, ob er tatsächlich „etwas dafür bekam“, oder ob er den Zuschlag für das riesige, bei Bauunternehmen sehr begehrte Gelände der ehemaligen Nibelungenkaserne nur zeitlich in auffallender Nähe zu seinen Überweisungen erhielt. Das Areal war ja um die Zeit des Wahlkampfs 2014 ausgeschrieben; Tretzel hatte im ersten Anlauf verloren. Aber einen Tag, nachdem Wolbergs mit 70 Prozent über seinen CSU-Gegner triumphiert hatte, schrieb er als neuer OB auch die Nibelungenkaserne neu aus. Und da kam Tretzel zum Zug.

Unternehmer und Strohmänner

475.000 Euro soll Wolbergs von Tretzel, über einige Jahre hinweg, allein zum Wahlkämpfen bekommen haben – überwiesen immer an den kleinen SPD-Ortsverband Regensburg-Stadtsüden, wo Tretzel Vorsitzender und seine Frau die Kassenwartin war. Und erst später – kurioserweise einem Prüfer aus der eigenen Partei – ist aufgefallen, dass viele Zuwendungen systematisch knapp unter jener Zehntausend-Euro-Grenze geblieben sind, ab welcher sie nach dem Parteiengesetz als Spenden zu melden sind.

Tretzel sagt, das sei nicht sein Geld gewesen; vielmehr hätten – wenn auch auf seinen „Wunsch“ hin – Angestellte des Baunternehmens privat an Wolbergs gespendet. Die Staatsanwaltschaft ist der Meinung, diese Auslagen hätten sie anschließend vom Chef erstattet bekommen, aber diese „Strohmänner“-These weist Tretzels Verteidigung zurück. Diese sieben Angestellten hätten eben das Wohl der Firma im Blick gehabt, und sie hätten in den fraglichen Jahren insgesamt fast 20 Millionen Euro an Erfolgsbeteiligung bekommen: „Die haben sich dumm und dämlich verdient.“ Übersetzt: die 9900 Euro Spenden jeweils – das waren höchstens Peanuts.

Was die Staatsanwälte nicht durften

Die Staatsanwaltschaft ihrerseits geht nicht gerade ruhmreich aus dem Prozess: Wegen ihrer beträchtlichen Ermittlungsfehler hat sie sich eine ausdrückliche Rüge der Richterin eingefangen. Da wurden etwa private, intime Telefonate Wolbergs‘ abgehört und gespeichert, dazu auch Gespräche mit seinem Verteidiger; da wurden Abhör-Resultate zu Lasten anderer falsch „verschriftlicht“ und Passagen weggelassen, die entlastend gewesen wären für den Angeklagten. „Ein echtes No-Go“, sagte Richterin Elke Escher, der es nun über 60 Sitzungstage insgesamt gelungen ist, das Verfahren geordnet ablaufen zu lassen.

Viereinhalb Jahre Haft sowohl für Wolbergs als auch für Tretzel hat die Staatsanwaltschaft beantragt; die Verteidiger plädierten auf glatten Freispruch. Tretzel ließ bereits durchblicken, dass er Schadenersatz fordern wird für die mehrwöchige Untersuchungshaft. Und Wolbergs, der Angeklagte, droht der Staatsanwaltschaft ausdrücklich: „Wenn ich wieder ins Amt komme, wird dieses Thema strafrechtlich noch mal aufgegriffen. Wenn ich mal wieder in einer Position sein sollte, in der ich was zu sagen habe, dann würde ich anweisen, gegen Sie auf Amtshaftung zu klagen.“

Dass irgendeine Prozesspartei das Urteil am Mittwoch annehmen wird, steht nicht zu erwarten. Die Causa geht weiter.