Szene aus einem Konzert des Podium-Festivals Foto: Verena Ecker

Seit zehn Jahren präsentiert das Podium-Festival Esslingen klassische, alte und Neue Musik auf ungewöhnliche Weise und an ungewöhnlichen Orten: eine kaum glaubliche Erfolgsgeschichte.

Esslingen - Licht im Saal aus, Licht auf der Bühne an. Auftritt, Beifall, Musik, Beifall, Abtritt. Licht auf der Bühne aus, Licht im Saal an. Fertig. Das, haben sich 2009 ein paar junge Musiker rund um den Cellisten und Kulturmanager Steven Walter gesagt, ist nicht das, was klassischer Musik und ihrem Publikum guttut, und sie haben eine Veranstaltungsreihe ins Leben gerufen, bei der alles anders ist. „Musik, wie sie will“ lautet deren Motto, ihre Konstante ist die Überraschung, und zu erleben ist ab dem 27. April und bis zum 5. Mai etwas, mit dem 2009 noch niemand gerechnet hat: der nun schon zehnte Jahrgang des Podium-Festivals Esslingen.

Unglaublich: Aus dem experimentellen Konzertreigen von ehedem ist ein viel beachtetes, mit etlichen Preisen ausgezeichnetes und mittlerweile von der öffentlichen Hand und der Bundeskulturstiftung gut unterstütztes Festival geworden, das mit seiner beharrlichen Befragung tradierter Konzertformen, mit seinen barrierefreien Kombinationen von Altem und Neuem, Musik und anderen Künsten, seiner Lust am Experimentieren, seiner Lernfreudigkeit und mit seinen jungen, allürefreien Musikern einen Nerv getroffen hat. „Ein vielfältiges Musikschaffen braucht auch ein vielfältiges Konzertwesen“, bringt Steven Walter die Grundidee des Festivals heute auf den Punkt. Als ein künstlerischer Leiter, der sich als „postheroisch“ bezeichnet und seine Programmideen „zu neunzig Prozent“ aus den Impulsen eines kreativen Netzwerks bezieht, hätte er hinzufügen können, dass eine vielfältige und multimediale Gesellschaft wie die heutige halt auch ein Festival braucht, das ebenso ist: also vielfältig und multimedial.

Und: einzigartig. „Wir bieten auratische Erlebnisse“, sagt Walter, „fast jedes Konzert bei uns ist ein Prototyp“, und diese Qualität habe in einer Zeit, in der so Vieles verfügbar sei, stark an Wert gewonnen. So hat man in den letzten Jahren in Esslingen nicht nur an ungewöhnlichen Orten Musik hören können, sondern auch auf ausgesprochen ungewöhnliche Weise: Da wanderten Bachs Goldberg-Variationen in unterschiedlichsten Instrumentenkombinationen durch die Villa Merkel, Terry Rileys „In C“ wurde zur individuell begehbaren Raumkunst, es gab Klassik mit Lounge-Charakter oder als Dunkelkonzert, und dass dabei auf wundersame Weise unterschiedlichste Publikumsschichten (und Altersgruppen) zusammenfanden, hat mittlerweile sogar große Institutionen wie das Lucerne Festival, die Elbphilharmonie oder den Heidelberger Frühling aufhorchen lassen. „In Berlin“, sagt Walter, „kann man mit fast allem junge Leute begeistern, wenn’s nur irgendwie cool ist, aber im bürgerlich geprägten Esslingen ist das schwierig. Wenn uns das hier gelingt, dann gelingt es überall.“

So geben die Musiker aus der Kleinstadt mittlerweile Impulse weiter an die Klassikszene der großen weiten Welt. Sie machen auf sehr eigene Weise plausibel, warum sie, wie Walter es formuliert, „an die Absolutheit der Musik nicht glauben“ und deshalb unbedingt auf die „Verbindungsfreudigkeit“ des Erklingenden mit Kontexten und sehr viel Körperlichkeit setzen. Jetzt stellen sie aber erst einmal ein üppig ausgestattetes Jubiläumsfestival auf die Beine – unter anderem mit Künstlern des von der Bundeskulturstiftung geförderten #bebeethoven-Fellowship-Programms, mit einem Musiktheater mit Film und Maschinen („Gulliver’s Dream“), mit szenografisch gestalteten Klangräumen, der Konfrontation von Popkultur und alter Musik bei einem Abend über Vanitas-Motive, einem Konzert zum Thema Flucht (mit Steve Reichs „Different Trains“ und Musik von geflüchteten Komponisten), einem Tanzabend des Bundesjugendballetts (Choreografie: Demis Volpi) und mit einem ungewöhnlichen Liedprojekt, das Schumanns „Dichterliebe“ mit Thomas Manns Erzählung „Tonio Kröger“ zusammenbringt. Esslingen ist eine Reise wert.

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