Die Musiker lassen ihre Zuhörer die profane Umgebung der Autowerkstatt momentweise vergessen. Foto: Horst Rudel

Das Abschlusskonzert des diesjährigen Podium-Festivals fordert das Publikum heraus. Der Konzertraum ist eine Autowerkstatt, die Zuschauer sitzen zwischen Nebelschwaden und Motorenöl.

Esslingen - Hier wäre ein Shuttle-Bus angebracht gewesen, weit eher als zum Eröffnungskonzert des Podium-Festivals in der gut erreichbaren Südkirche. Aber wer bei Novemberwetter zum Autohaus Jesinger will, weit weg im Industriegebiet zwischen Oberesslingen und Zell, kommt wohl mit dem Auto. Kann sich im Showroom aufwärmen, die neuesten Mercedes-Modelle anschauen und dabei ein Glas Sekt schlürfen. „Wir muten unserem Publikum einiges zu“, sagt der Festival-Organisator Steven Walter und meint damit nicht unbedingt primär die Musik, sondern abgelegene Event-Locations und ungewöhnliche Formate wie Ballettabende oder die szenische Aufführung zum Wahn Robert Schumanns mit Live-Visuals und Tanz, die einen erhöhten Probenaufwand erfordern.

Aber auch musikalisch verzichtet das Abschlusskonzert nicht auf einen gewissen Anspruch. Unter dichten Nebelschwaden betreten die Zuhörer den Konzertraum, der im gewöhnlichen Leben als Autowerkstatt dient. Sie müssen sich erst einmal orientieren, denn Stuhlreihen und Instrumentengruppen sind keineswegs auf Frontalunterricht gestellt. Wohl gibt es in der Mitte ein Podium, auf das die Sitzreihen gegenüber sowie links und rechts ausgerichtet sind, allerdings mit weiteren Musikern hinter dem Publikum und einem Laufsteg für den Dirigenten in der Mitte. Es riecht leicht nach Motorenöl, als Miguel Pérez Iñesta sein Stöckchen hebt und aus allen Richtungen schräge Glissandi ertönen. Es handelt sich um die Komposition „Aroura“ von Iannis Xenakis für zwölf Streicher mit jeweils eigenen Stimmen: für Konzertbesucher, die auf Wohlfühl-Sound eingestellt sind, durchaus eine Herausforderung.

Aber sie werden sofort entschädigt. Nach rund zwölf Minuten Xenakis folgt der britische Komponist Ralph Vaughan Williams mit einer Fantasie über ein Thema von Thomas Tallis. Wer meint, erst Karlheinz Stockhausen hätte damit angefangen, das Orchester über den Raum zu verteilen, täuscht sich. Williams‘ Stück stammt von 1910 und greift dabei weit zurück, eben auf ein Thema des genannten Renaissance-Komponisten in der phrygischen Kirchentonart.

Eine reduzierte Besetzung

Eigentlich für ein komplettes Streichorchester, ein mittleres Ensemble und ein Streichquartett geschrieben, ist die Besetzung im Autohaus Jesinger reduziert auf drei Gruppen zu zehn, sieben und vier Instrumenten. Das schadet der Aufführung aber nicht, die momentweise die profane Umgebung der Autowerkstatt vergessen lässt.

Nach der Pause konzentriert sich das Geschehen dann doch ganz auf die Raummitte. Bela Bartóks Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta beginnt mit einer chromatischen Fuge der Streicher, hier zunächst etwas zaghaft angestimmt, bis ein Paukenwirbel und bald darauf ein Beckenschlag zu einer Klimax führen, auf die eine Umkehr mit absteigenden statt aufsteigenden Melodielinien folgt. Mit den Saiteninstrumenten im Titel sind keineswegs nur die Streicher, sondern auch ein Klavier und eine Harfe gemeint. Das Klavier kommt aber erst im zweiten Satz zum Einsatz, der von Paukenschlägen grundiert sehr rhythmisch anhebt. Die Komposition wahrt eine feine Balance zwischen Streichern, den drei Schlagzeugern, Harfe, Klavier und der glockenspielartigen Celesta.

Die Organisatoren sind zufrieden

Der dritte Satz etwa beginnt mit einem einzigen, rhythmisch wiederholten Ton auf dem Xylophon sowie Paukenglissandi. Ätherische Tonskalen auf der Celesta und Streicher-Tremoli setzen weitere Akzente, während der vierte Satz Themen aus allen Teilen der Komposition neu verarbeitet. Manchmal fragt sich allenfalls, ob es am Dirigenten liegt, dass der Rhythmus nicht über kontrastierende Passagen hinweg trägt, oder ob doch ein Abstand von rund fünf Metern zwischen Dirigentenpult auf dem Laufsteg und den Musikern zu viel ist.

Solche Einwände mögen akademisch klingen, insgesamt erweist sich das Abschlusskonzert als gelungen. Steven Walter ist mit dem Festival, insbesondere der Publikumsreaktion sehr zufrieden, die freilich von Beteiligten in den hinteren Reihen immer kräftig mit angeheizt wird.