Immer wieder kommt es in Deutschland zu Sympathie-Kundgebungen für die hierzulande verbotene Arbeiterpartei Kurdistans PKK. Foto: dpa

Vor dem Oberlandesgericht Stuttgart steht ein Mann vor Gericht, der in der Kurdenszene sehr aktiv ist, aber bestreitet Kader der PKK zu sein. Auch die Anklage spricht von einem ungewöhnlichen Fall.

Stuttgart - Mitte April beginnt vor dem Oberlandesgericht Stuttgart ein Prozess gegen einen im Landkreis Heilbronn lebenden Kurden, dem „Mitgliedschaft in der ausländischen terroristischen Vereinigung Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)“ vorgeworfen wird. Solche Prozesse sind in Deutschland, wo die PKK verboten ist, nicht selten. Dieser Fall aber ist von besonderem Interesse. Folgt man der Argumentation der Verteidigung, handelt es sich um das erste Verfahren, das sich gegen eine Person richtet, die dem üblichen Bild eines Parteikaders der PKK nicht entspricht und dennoch wie ein Parteikader verfolgt werden soll. Das klingt wie ein Fall für juristische Feinschmecker. Tatsächlich aber kommt dem Ausgang des Verfahrens eine große Bedeutung zu. Elke Nill, die Verteidigerin des Angeklagten, sagte unserer Zeitung: „Wenn die Anklage durchkommt, dann können alle Kurden in Deutschland nicht mehr ruhig schlafen, die sich im öffentlichen Leben durch Spendensammlungen und Organisation von legalen Demonstrationen aus persönlicher Betroffenheit und im Rahmen ihrer politischen Willensäußerung engagieren.“ Nill nennt die Anklage „martialisch“. Sie beträfe „eine Vielzahl kurdischer Vereine und Einzelpersonen“.

Nur gegen Kader darf ermittelt werden

Darum geht es: Der Anklage zugrunde liegt eine allgemeine Ermächtigung des Bundesjustizministeriums aus dem Jahr 2011. Darin werden die Anklagebehörden zur strafrechtlichen Verfolgung von PKK-Kadern ermächtigt. In dem kurzen Text wird der Personenkreis, gegen den ermittelt werden darf, ganz genau definiert. Es handelt sich um „Europaführung, den Deutschlandverantwortlichen und den jeweiligen Verantwortlichen für die in Deutschland bestehenden Sektoren, Regionen und Gebiete der PKK und ihrer Teilorganisation in Europa“.

Gegen Gebietsleiter der PKK darf also ermittelt werden, und das geschieht auch regelmäßig. Nach Ansicht der Verteidigung erfüllt aber der Angeklagte, ein 53-jähriger Familienvater, keineswegs die Kriterien eines PKK-Kaders. Kader, auch Gebietsleiter, die unterste Stufe der PKK-Hierarchie, werden in aller Regel von der zentralen Führung eingesetzt und sind sogenannte Reisekader, das heißt sie bleiben nur für eine befriste Zeit in einem Gebiet und werden dann abgezogen.

Angeklagter ist jedenfalls kein Reisekader

Der Angeklagte lebt allerdings seit 2001 in der Nähe von Heilbronn. Er hat auch nie einen Decknamen benutzt. Unbestritten ist, dass der Angeklagte die Teilnahme seiner Landsleute an Demonstrationen und Veranstaltungen mit organisiert hat. Er hat auch Spenden eingeworben – für den türkischen Roten Halbmond, sagt der Angeklagte, dem Pendant zum Roten Kreuz in der arabischen Welt. Es gibt aufgefundene Spendenquittungen für den Roten Halbmond. Er organisierte auch Fahrten für Kurden mit türkischem Pass, die im Juni 2015 an den Parlamentswahlen in der Türkei teilnehmen wollten. Für die Verteidigung sind das alles Tätigkeiten eines Kurden, der sich im zulässigen Rahmen für die humanitären und politischen Interessen seiner Landsleute einsetzt. „Wenn das unter Strafe gestellt wird, dann ist kein Kurde mehr sicher“, sagt Elke Nill, die Anwältin. Sie spricht von einem „Testballon“ der Anklagebehörde, die sehen möchte, „ob auch unterhalb der Schwelle der Gebietsleiter künftig Anklagen möglich sind“.

Anklage weist sich der Verteidigung zurück

Die Generalstaatsanwaltschaft weist das zurück. „Die Darstellung ist falsch, dass wir beginnen würden, Anklagen unterhalb der Ebene eines PKK-Kaders, hier eines Gebietsleiters, zu erheben“, sagt Oberstaatsanwalt Eckhard Maak unserer Zeitung. „Wir gehen davon aus, dass der Angeklagte das Gebiet Heilbronn von Mai 2015 bis Juni 2018 für die PKK geleitet hat.“ Maak räumt ein, „dass im Falle des Angeklagten das klassische Bild des Reisekaders nicht erfüllt“ sei. „Das mag eine Besonderheit des Falles sein, aber die übliche PKK-Praxis, Kader nach gewisser Zeit zu versetzen, ist kein notwendiges Merkmal eines Kaders.“ Die Verteidigung hat gegenüber unserer Zeitung angekündigt, gegen die Fortdauer der Untersuchungshaft Verfassungsbeschwerde einzulegen.