Günther Oettinger hat die Interessen der EU im Blick Foto: AFP

Frankreich ermöglicht eine neue EU-Gasrichtlinie, eine Voraussetzung für die Inbetriebnahme der Rohrleitung North Stream 2. EU-Kommissar Oettinger beharrt auf strenger Regulierung.

Berlin - In der Auseinandersetzung um den Bau der russischen Ostseepipeline Nord Stream 2 ist das große Zerwürfnis zwischen Deutschland und Frankreich abgewendet worden. Vertreter der EU-Staaten verständigten sich am Freitag in Brüssel auf einen Kompromiss zur Änderung der europäischen Gasrichtlinie. Er soll zu strengeren Auflagen für das Projekt führen. Grundsätzlich gefährdet ist Nord Stream 2 nun wohl nicht mehr, der Bau kann voraussichtlich wie geplant weitergehen. Die EU-Kommission pocht aber auf eine strikte Regulierung. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin hält die Rohrleitung für überflüssig und gefährlich.

Merkel wird eine diplomatische Niederlage erspart

Die Verständigung am Freitag in Brüssel war möglich geworden, nachdem Deutschland und Frankreich im Laufe des Vormittags ihre Meinungsverschiedenheiten überwunden und den anderen EU-Partnern einen gemeinsamen Kompromissvorschlag vorgelegt hatten. Damit bleibt der deutschen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) eine schwere diplomatische Niederlage erspart: Sie setzt sich seit Jahren hinter den Kulissen intensiv für den Bau der umstrittenen Pipeline ein. Vor allem die osteuropäischen EU-Staaten sehen das Projekt sehr kritisch. Auch die Brüsseler Kommission befürchtet, dass Europa noch abhängiger von russischen Energielieferungen werden könnte.

Am Donnerstag hatte es noch geheißen, dass Frankreich Deutschland brüskiert habe und ins Lager derjenigen EU-Staaten gewechselt sei, die sich für eine massive Verschärfung der Gasrichtlinie einsetzen. Dies hätte unter anderem dazu führen können, dass der russische Konzern Gazprom nicht gleichzeitig Erdgaslieferant und Betreiber der Röhre sein dürfte. Westliche Energiekonzerne wie Uniper und BASF/Wintershall sind als Finanzinvestoren in das Projekt eingebunden.

Aus dem Élysée-Palast in Paris hieß es nach der Einigung, Deutschland akzeptiere mit dem Kompromiss nun erstmals eine „europäische Kontrolle“ über die Rohrleitung. Vor zwei Wochen hatten Merkel und Macron bei der Unterzeichnung des Aachener Vertrags noch feierlich versprochen, dass sich beide Länder in der Europapolitik künftig noch enger abstimmen würden. Diese erneuerte Allianz zeigte nun bei erster Gelegenheit Risse.

Oettinger kämpft für einen echten Wettbewerb

Der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) beharrte am Freitag auf einer strengen Regulierung der Ostseepipeline. „Wenn die Russen gezwungen werden, Gas von anderen Anbietern durchzuleiten, dann schmeckt ihnen das sicher nicht, es wäre aber im Interesse von Wettbewerb und niedrigeren Preisen“, sagte Oettinger unserer Zeitung. Der 65-Jährige ist in der Brüsseler Kommission für den EU-Haushalt zuständig. Zuvor verantwortete er innerhalb der europäischen Exekutive die Energiepolitik – und vermittelte 2014 in dieser Eigenschaft erfolgreich im Gasstreit zwischen der Ukraine und Russland.

Die Energieexpertin des DIW Berlin, Claudia Kemfert, sagte unserer Zeitung: „Die zusätzliche Pipeline Nord Stream 2 ist energiewirtschaftlich unnötig, umweltpolitisch schädlich und unrentabel. Wir benötigen keine zusätzliche Pipeline, die uns auf Jahrzehnte an einen Gaslieferanten bindet.“ Der Bau behindere den Umstieg auf erneuerbare Energien. Ziel der Energiepolitik müsse auch sein, verstärkt auf verschiedene Gaslieferanten zu setzen. Statt den Bau der Rohrleitung durch die Ostsee voranzutreiben, solle Deutschland besser den Bau eines Flüssiggas-Terminals unterstützen.

– Hintergrund zum Pipelinebau