Aus tiefster Seele und in echt hohe Höhen: Singer-Songwriter Philipp Poisel (rechts) stimmt sich in Ludwigsburg auf seine Deutschland-Tournee ein. Foto: factum/Granville

Von Schwieberdingen über Genua bis Nashville: Poisel beweist beim Konzert im Ludwigsburger Scala seine musikalische Weltgewandtheit.

Ludwigsburg - Immer weiter Richtung Nacht, bis ans Ende der Hölle oder alternativ wenigstens bis nach Toulouse: wenn Philipp Poisel nicht gerade der Liebe nachtrauert, ist er auf Achse. Lied gewordene Roadtrips sind die Spezialität des 33-jährigen Singer-Songwriters, der aus Ludwigsburg kommt und am Mittwochabend dort im Scala auftrat. Ein Benefizkonzert, dessen Einnahmen an die Uni-Kinderklinik Tübingen flossen. Ein kleines Heimspiel vor überschaubaren 500 Zuhörern im ausverkauften Haus, bevor er im nächsten Jahr die Arenen und Hallen von München, Berlin, Stuttgart und Co mit seinem neuen Album „Mein Amerika“ durchtourt. Seit ihn Grönemeyer unter die Fittiche seines Grönland-Labels genommen hat, ist sein Erfolg immer weiter Richtung Decke gegangen. Die eigene Karriere gleicht den Märchen, von denen Poisel als Kind im Blühenden Barock nicht genug bekommen konnte: von der versemmelten Lehramts-Aufnahmeprüfung im Fach Musik über die Zeit als Straßenmusiker, die ihn quer durch Europa führte, bis hin zum hoch in den Charts platzierten Pop-Poeten, der mit seinem lyrischen, stimmbrüchigen Katerjammer durchaus auch die größten Konzerthäuser in Deutschland füllen kann.

Im 2er Golf durch den Landkreis

Im Scala erinnert er sich daran, wo die Reise begann, wie und wann sich seine Rastlosigkeit endlich Bahn brechen konnte: mit 18 und in einem „2er Golf in seegrün metallic“, der ihn Richtung Südeuropa brachte – „über Schwieberdingen, Möglingen und Vaihingen Enz“. Auch wenn die Kombi das Publikum zum Kichern bringt: der Typ meint’s ernst: „Da fahr’ ich heute noch gern rum.“ Nach Nashville hat er es in diesem Jahr auch gebracht („Ein alter Traum von mir“), was auf der Bühne in eine bluesige Version von „Zünde alle Feuer“ mündet, die beweist, wohin Poisels musikalische Reise führen kann, wenn er die Kreis- und Genregrenzen erweitert: in expressiv-treibenden Sound, der ohne Showeffekte auskommt, die Poisel ohnehin ablehnt. Schickt er doch zum „Warm-up“ als Vorband die Cellistin und Sängerin Luisa Babarro auf die Bühne, die dort etwas verloren wirkt. Erst recht, als sie mit einer kleinen Anekdote bei den Ludwigsburgern punkten will: auf dem Barock-Weihnachtsmarkt habe sie zum ersten Mal einen Cellisten spielen hören und dabei den Zauber dieses Instruments entdeckt. Reduziert, fast schon sperrig wirkt der Auftritt von Poisel und Band in der ersten Konzerthälfte. Ein Streicher-Trio, ein Klavier, ein Schlagzeug, ein Gitarrist und der schwarz gekleidete Sänger, der sich im Wechsel mit elektrischer und akustischer Gitarre begleitet – die Scheinwerfer von hinten machen aus allen Akteuren auf der dunklen Bühne Schattenrisse, nur Poisels Blondschopf und Pausbacken leuchten im Lichtkegel. Mit seiner Stimme, die aus tiefster Seele röhren und sich in echt hohe Höhen schrauben kann, und einer Aussprache, die manchmal klingt, als trage er eine zu große Zahnspange, erzählt er seine Liebeslieder mit zähem Flehen. „Halt mich“, „Liebe meines Lebens“, „Ich will nur“ – eine Kummer-Nummer nach der anderen, schön, aber düster. Und ein Poisel, der in sich versunken wirkt, als singe er für sich. Er bringt die Leute zum Lauschen; so still ist es im Saal mit den samtgepolsterten Stühlen, dass es keiner wagt, das Handy für eine Momentaufnahme zu zücken. Auf Kichern und Zwischenrufe, die die berückende Bedrückung durchbrechen wollen, reagiert der Sänger gar nicht. „Schneeflocken fallen am Seerosenteich“: leise muss man schon sein, wenn man seine haiku-hafte Lyrik hören will.

Eine Ode an das Lauschen

Und dann kommt doch noch die Beschleunigung. Erstens: wenn Poisel seine Filmsongs „Eiserner Steg“ und „Kaltes Herz“ ankündigt – schnell und atemlos. Zweitens: wenn er tatsächlich über die Bühne tanzt „als gäb’s kein Morgen mehr“ – mit zitternden Knien, in ungelenken Kreisen und mit improvisiertem Breakdance. Dave Mette am Schlagzeug kann es mit beidem gleichermaßen aufnehmen: dem schleppenden Herzschlag des Liebeskranken und dem hartnäckig-treibenden Rhythmus des einsamen Rufers in seinem bisher vielleicht genialsten Song: „Erkläre mir die Liebe“. Die Zugabe am Klavier folgt mit „Wie soll ein Mensch das ertragen“. Am Ende lässt Poisel für „Ich will nur, dass du weißt“ auch noch die Gitarre weg. Stück für Stück hat er im Konzertverlauf alles zurückgenommen – bis auf sich selbst. Und davon will man gern mehr.