Rainer Brüderle ist der Arbeitgeber-Präsident des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste. Foto: Getty

Die mögliche große Koalition plant eine Fachkräfte-Offensive in der Pflege. Rainer Brüderle, der Arbeitgeberpräsident des zuständigen Fachverbandes, fordert dabei mehr Ehrlichkeit: Ohne eine Erhöhung der Beiträge würden die Kosten an die Pflegebedürftigen weitergereicht.

Berlin - Angesichts eines leegefegten Marktes an Fachkräften wird es schwer das Ziel zu erfüllen, kurzfristig 8000 neue Stellen in der Pflegebranche zu schaffen – abgesehen von offenen Finanzierungsfragen, glaubt Rainer Brüderle, der Arbeitgeberpräsident des zuständigen Fachverbandes.

Herr Brüderle, die mögliche große Koalition will eine Fachkräfte-Offensive in der Pflege starten. Es soll ein Sofortprogramm für 8000 neue Pflegekräfte geben. Ist das nicht viel zu wenig?
Es wird schon schwer sein, diese Kräfte überhaupt zu finden. Der Markt an Fachkräften ist angespannt. Wir haben in vielen Pflegeheimen Wartelisten, weil mehr Kapazität aufgrund der Personalsituation nicht verkraftbar ist. Deshalb wäre ein Gesetz für die gesteuerte Zuwanderung aus dem Ausland auch so wichtig.
Dabei ist die Marke von 8000 doch eher bescheiden.
Hinreichend ist das nicht, aber jede Kraft schafft konkrete Verbesserungen. Deshalb will ich das nicht schlecht reden. Die Frage ist nur, wie das Programm umgesetzt werden kann und – vor allem – wer es finanziert. Mehr Einsatz von Fachkräften und höhere Gehälter bedeuten mehr Kosten für die Anbieter. Wenn die Koalitionäre nicht sagen, wie das finanziert wird, schlagen die Kosten voll durch auf die Geldbeutel der Pflegebedürftigen.
Die möglichen Koalitionspartner wollen auch die Tarifbindung in der Pflege erhöhen. Finden Sie das gut?
Da muss man einen nüchternen Blick auf die Situation in der Pflege richten. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi vertritt ja nur wenige Prozent der Beschäftigten in der Pflegebranche. Dennoch hat sie zwei von vier Sitzen in der Mindestlohnkommission. Wir organisieren auf der Arbeitgeberseite 50 Prozent der Anbieter, haben aber nur einen Sitz. Schon heute ist der vereinbarte Pflegemindestlohn wesentlich höher als der gesetzliche Mindestlohn. Er geht bis 2020 auf 11,35 Euro hoch. Wenn nun Tarifverträge für allgemein verbindlich erklärt werden sollen, die bislang nur für einen ganz geringen Prozentsatz der Beschäftigten gelten, ist das wirtschaftlich und rechtlich nicht haltbar. Denn sie sind für die Branche eben nicht repräsentativ.
Welchen Effekt hätten die angestrebten Lohnsteigerungen für die Branche?
Eine bessere Bezahlung der Pflegekräfte führt natürlich direkt zu höheren Kosten für die Pflegeanbieter. Wie sollen die finanziert werden? Darauf müssen die Koalitionäre eine Antwort geben. Natürlich müssen die privaten Anbieter diese Zusatzkosten an die Kassen und die Pflegeversicherung weiterreichen. Wenn sich ein Kostenfaktor erhöht, muss Raum für eine Refinanzierung geschaffen werden. Zur Redlichkeit gehört die Feststellung: Was da in guter Absicht beschlossen werden soll, führt zu höheren Pflegeentgelten. Entweder zahlen das die Pflegebedürftigen oder die Pflegekassen. Letzteres führt zu höheren Beiträgen. Wer höhere Löhne will, muss dazu sagen, was das bedeutet: höhere Kosten für Dritte. Das ist die Logik des Systems. Zumal in den nächsten zehn bis zwölf Jahren eine Million zusätzlicher Pflegebedürftiger hinzu kommt. Das Versprechen des blauen Himmels über dem Pflegemarkt reicht nicht. Es braucht eine Umrechnung in Heller und Pfennig. Das liefern die Koalitionäre bislang nicht.
Höhere Beiträge zur Pflegeversicherung sind aber politisch immer nur schwer und in sehr kleinen Schritten durchsetzbar.
Wenn Union und SPD ihre Ziele durchsetzen wollen, ohne höhere Beiträge zu beschließen, geht das nur direkt über den Geldbeutel der Pflegebedürftigen. Das zu sagen, gehört zur Ehrlichkeit. Das muss man deutlich aussprechen.