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Die Theaterwelt verliert einen großen Regisseur des 20. Jahrhunderts. Peter Zadek (83) ist nach langer Krankheit in der Nacht zum 30. Juli in Hamburg gestorben.

Hamburg - Die Theaterwelt verliert einen großen Regisseur des 20. Jahrhunderts. Peter Zadek (83) ist nach langer Krankheit in der Nacht zum Donnerstag in Hamburg gestorben.

Er sprach nicht viel, sagte oft nichts, wenn er etwas sagte, klang es oft mürrisch, vorwurfsvoll. Wenn ihm etwas nicht gefiel, zeigte er es deutlich. Vergangenes Jahr verließ er während einer Aufführung von Jelineks "Ulrike Maria Stuart" am Hamburger Thalia Theater die Vorstellung, als die Schauspieler begannen, im Publikum mit Wasser gefüllte Lufballons auszuteilen.

Peter Zadek hatte eine Abneigung gegen das Alberne, nicht gegen Pop, nicht gegen das Experiment. Nicht Blut und Nacktheit kritisierte Zadek in den vergangenen Jahren immer grantiger, sondern starres Konzepttheater, das Regisseuren die Mühe des genauen Hinsehens und Hörens erspart. Jahrzehnte bevor ein Hamburger Magazin die sogenannte Ekeltheaterdebatte herbeiredete und sich über Nacktheit und Dreck auf der Bühne erregte, ließ Zadek in Shakespeares "Othello" seine Desdemona ohne Kleider auftreten. Die Leute verließen türenschlagend das Theater. 1976, als noch nicht so leicht wie heute die Hosen fielen und die Röcke flogen, war mit Nacktheit etwas Verletzliches verbunden. Die deutsche Trennung von Ernst und Unterhaltung ließ er nicht gelten. Sie interessierte ihn nicht. Ihn interessierte es, über den Menschen etwas zu erzählen. In seiner Inszenierung von Schillers "Räubern" experimentierte er mit Popkultur, mit comichaften Zeichen im Bühnenbild von Robert Rauschenberg.

1958 war Zadek, Sohn eines jüdischen Kaufmanns, aus der Emigration in die Bundesrepublik zurückgekehrt. Er schockierte und inszenierte Musicals ebenso wie zeitgenössische Dramatiker und Klassiker. Für seine erste Inszenierung von Shakespeares "Der Kaufmann von Venedig" 1961 in Ulm warf man ihm wegen der negativen Darstellung des Juden Shylock Antisemitismus vor. Zadek: "Solange die Deutschen nicht die schlechten Seiten von Juden aussprechen, haben sie nicht begonnen, sich mit ihrem Antisemitismus auseinanderzusetzen."

Peter Zadek war Perfektionist um der Sache willen. Er bestand darauf, mit "seinen" Schauspielern zu arbeiten. Ulrich Wildgruber, Gert Voss, Ulrich Tukur, Eva Mattes, Angela Winkler. Sie sind von seiner Arbeitsweise geprägt worden. Gab es den typischen Zadek-Schauspieler? Ulrich Wildgruber, sein Othello in der Hamburger Inszenierung, wurde damals so angesehen, weil er nuschelte, Silben verhaspelte, verschluckte, aber vielleicht war das aber eben er, "der" Wildgruber.

Zadek war kein umgänglicher Typ, doch konnte er auch charmant sein, wenn er es wollte. Er veränderte die Schauspielpraxis, er ließ die Schauspieler einfach machen, er vertraute ihnen, traute ihnen etwas zu. Er schaute zu und sprach kein einziges Wort. Es war keine Marotte, es war sein Wesen, das sich nicht anders mitteilen wollte. Schauspieler - vielleicht nicht alle - werden nach der Arbeit mit Zadek eine andere Sicht auf Theater, auf ihr Tun auf der Bühne, ja, sogar auf sich selbst gehabt haben.

Angela Winkler sagt, was sie von Zadek lernte: "Dass man auf der Bühne immer wach ist und sieht und hört, was hinter und um einen passiert. Dass man nicht spielt, sondern zuhört." Gert Voss war ihr Partner in der großartigen Inszenierung von Ibsens "Rosmersholm", im Jahr 2000 in Wien. Zwei umschleichen sich, es herrscht eine Spannung zwischen dem Pfarrer und der geheimnisvollen Frau vom Meer, Wesentliches wird durch Schweigen gesagt. Angela Winkler schwebt und ist so zart, dass man fürchtet, sie könne sich in einem Windhauch auflösen. Auf die Nuance kommt es an. Die Ungeduld, das latent Herrische und die Angst, die Frau zu verlieren, spielt Gert Voss klar und auf den Punkt; der Zuschauer fühlt sich wie ein Voyeur. Ein Psychodrama, eine schlimme Liebe.

Schauspieler sind vieles gewöhnt. Mit Zadek zu arbeiten muss die Hölle gewesen sein. Er hat sich gequält, und die anderen mussten bereit sein, sich von ihm quälen zu lassen. Man musste sich auf etwas einstellen, worauf man sich nicht einstellen kann: das Unerwartete. Für ihn, sagt Gert Voss, sei Zadek der größte Regisseur überhaupt gewesen. "Er hat einen Schauspieler davon befreit, sich zu verstellen, und ihn dazu gebracht, sich zu enthüllen." So wie ein guter Musiker jeden falschen Ton sofort höre, habe er sofort gemerkt, wenn sich ein Schauspieler verstelle. "Er hat einem alle Sicherheitsnetze weggenommen, die man sich als Schauspieler so aufspannt", sagte Voss. Kein Spiel, keine Verstellung, kein So-tun-als-ob. In den besten Arbeiten ist es da. Es ist das Schwerste. Manchmal geschehen dann Theaterwunder. In seinen letzten Arbeiten hat es sich nicht eingestellt. Nicht in Pirandellos "Nackt" in Hamburg und auch nicht 2009 in Shaws "Major Barbara" in Zürich. Aufführungen, die zu loben seinen größten Bewunderern schwerfiel.

Man sagt, Theater sei eine flüchtige Kunst. Peter Zadeks zwanzig Jahre alte Shakespeare-Inszenierung des "Kaufmanns von Venedig" aber ist gegenwärtiger als jede andere, die in den vergangenen Spielzeiten zu sehen war. Man erlebt Schauspieler beim Denken. Gert Voss gibt dem Juden Shylock eine befremdliche Kühle. Zadek legt Denkfiguren frei, dieser Shylock bewahrt Haltung im größten Moment der Demütigung, man begreift, wie durch perfide Rhetorik Geldgier überdeckt und gerechtfertigt werden soll und dies im Namen der herrschenden Moral. Ohne aufdringliche Zeichen sind die Parallelen zur Bereicherungstaktik, zur Rhetorik der NS-Zeit offenkundig. Er hat es sich und uns nicht leichtgemacht. In der Strenge, Härte, Genauigkeit lag seine Kunst.