Manfred Büchele leitet das Kompetenzzentrum für Obstbau seit vielen Jahren. Foto:  

Pflanzenschutzmittel sind höchst umstritten. Der Agrarwissenschaftler Manfred Büchele forscht am Bodensee. Kann man auf Spritzmittel ganz verzichten? Was sagt der Experte.

Bavendorf - Es dauert noch ein paar Minuten, bis Manfred Büchele, der Agrarwissenschaftler, Bauernsohn und Geschäftsführer des Kompetenzzentrums Obstbau in Bavendorf, Zeit hat. Er muss zuerst eine Gruppe aus den Niederlanden verabschieden, auch Besucher aus Kuba verschlug es schon nach Bavendorf, das gleich neben Ravensburg liegt. Alle wollen sie profitieren vom Wissen des Zentrums, das seit fast 60 Jahren die besten Wege sucht zwischen günstiger Produktion und guter Qualität sowie zwischen Ökonomie und Ökologie. „Ach kommen Sie, wir bleiben draußen“, sagt Büchele und setzt sich in den Schatten eines Baumes.

„Ohne Pflanzenschutzmittel gibt es keine Ernte“

Büchele (57) ist wie das Zentrum selbst nicht so einfach in eine Schublade zu stecken. Als Wissenschaftler glaubt er nur, was sich beweisen lässt; als Sprössling eines Bauernhofs kennt er die Nöte und Bedürfnisse des Obstbauern (in schlechten Jahren erhalten sie für ein Kilo Äpfel gerade 18 Cent); und als Vater zweier Söhne ist auch ihm der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen wichtig. Dennoch macht Manfred Büchele schon nach wenigen Minuten des Gesprächs aus seinem Herzen keine Mördergrube: „Ohne Pflanzenschutzmittel gibt es keine Ernte, und ohne Pflanzenschutzmittel könnten wir die Menschheit nicht mehr ernähren“, sagt Büchele.

Gerade im Obstbau – am Bodensee sind 1150 Betriebe mit 6000 Hektar Fläche angesiedelt – werden Spritzmittel intensiv eingesetzt. Laut dem Pestizid-Bericht des Nabu könnten bis zu 30 Spritzungen pro Jahr vorkommen gegenüber zwei bei Mais. Dies liege auch am Verbraucher: Während Weizen oder Mais immer weiterverarbeitet würden und das äußere Bild nicht ganz so wichtig sei, gingen Äpfel oder Kirschen oft direkt an den Endkunden. „Wir haben es so oft getestet“, sagt Büchele: „Ein Apfel mit winzigem Makel bleibt im Supermarkt immer liegen.“ Selbst Naturschutzverbände räumen ein, dass es im Obst- und Weinbau schwierig ist, ganz auf Spritzmittel zu verzichten.

Neue Sorten brauchen weniger Pestizide

Dennoch ist es ein wichtiger Arbeitsbereich des Kompetenzzentrums Obstbau (KOB), den Pflanzenschutz zu optimieren. So werden resistente Sorten gezüchtet – Manfred Büchele ist optimistisch, dass man dadurch eines Tages die Hälfte der Spritzmittel weglassen könnte. Das Problem: Der Handel und die Kunden verlangen süße Apfelsorten wie Gala oder Golden Delicious – und dort ist man noch nicht so weit. Eingriffe ins Genmaterial wolle auch keiner, und rein mit mendelscher Züchtung dauere es 25 Jahre bis zu einer neuen Sorte. Bücheles Bruder, der den heimischen Betrieb übernommen hat, könne die Sorte Opal, die gegen Schorf resistent ist, tatsächlich aber schon auf 50 Prozent der Pflanzenschutzmittel verzichten. Natürlich forscht das KOB auch an Nützlingen – so gehen heute viele Obstbauern mit Raubmilben gegen die „Rote Spinne“ vor, die die Blätter der Apfelbäume abtötet. Bald wird experimentiert, die Bäume zu „impfen“ – eine kleine Zahl etwa von Pilzen wird ausgesetzt, um eine Abwehrreaktion zu erzeugen. Die Idee stammt von kubanischen Wissenschaftlern.

Ein anderer Versuch ist gerade auf dem Gelände in Bavendorf live zu besichtigen. Viele Apfelreihen werden komplett unter Folie gehalten, um den Regen draußen zu halten, so dass erst gar kein Schorf entsteht. An den Seiten verhindern Netze, dass der Apfelwickler (er sorgt für den Wurm im Obst) in die Plantage gelangt. Doch Manfred Büchele ist selbstkritisch: „So könnten wir viele Spritzmittel weglassen – aber wollen wir ein solches Plastikmeer in unserer Landschaft?“

Ist der Öko-Anbau die Lösung?

Einfache Lösungen gebe es bei Spritzmitteln jedenfalls nicht, sagt Büchele – im Prinzip muss man die Quadratur des Kreises versuchen. Selbst eine ökologische Betriebsweise sei zwar gut, aber kein Allheilmittel: Erstens würde man dann deutlicher weniger ernten, es müsste also viel mehr Fläche in Plantagen verwandelt werden, und auch im Öko-Anbau würden Spritzmittel eingesetzt, wie Kupfer: „Das ist ein Schwermetall, das in den Boden gelangt.“ Rund um den deutschen Bodensee hat man im Jahr 2016 eine dramatische Artenarmut in kleineren Bächen festgestellt – seither dringen die Landratsämter mit Macht darauf, dass die Obstbauern die gesetzlichen Abstände zu Gewässern einhalten und eine neue Spritztechnik verwenden, bei der der Wind weniger Stoffe wegweht. Die Kontrollen würden jetzt „wesentlich erhöht“, heißt es in einem Schreiben.

Doch für Manfred Büchele ist die Aufregung um das Insektensterben befremdlich. „Wir brauchen oft drei Jahre, um eine einfache Beobachtung zu überprüfen“, sagt er: „Doch beim Insektensterben wissen alle schon Bescheid.“ Unter seinen Mitarbeitern würden aber noch ganz andere Ursachen als Spritzmittel diskutiert. Zum Beispiel könnten eingewanderte Insekten neue Erreger mitgebracht haben; auch die Strahlung des allgegenwärtigen Mobilfunks könne eine Rolle spielen. Experten der Landesanstalt für Umwelt sehen darin höchstens Randaspekte. Manfred Büchele betont dennoch: „Wir sollten zuerst die Ursachen herausfinden – und dann möglichst effektiv reagieren.“ Da behält doch der Wissenschaftler in ihm die Oberhand.

Kompetenzzentrum Obstbau

Umweltschutz

Geschichte
Das Kompetenzzentrum Obstbau (KOB) in Bavendorf bei Ravensdorf existiert seit 1959 – zunächst war es eine Versuchsstation der Uni Hohenheim, seit 2001 hat es die Rechtsform einer Stiftung, die von Politik, Universität und Obstbauverbänden getragen wird.

Aufgabe

Das KOB mit seinen rund 60 angestellten Mitarbeitern sieht sich als Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis. Auf 50 Hektar Fläche baut es selbst vorwiegend Äpfel an und erforscht neue Ansätze bei Anbau, Ernte und Lagerung – im konventionellen wie ökologischen Bereich. Daneben hält das KOB auf dem Gelände 450 alte Obstsorten lebendig. Manfred Büchele ist seit 2001 Geschäftsführer des KOB in Bavendorf.