Bewegung in der Gruppe: Die Ditzinger Tagespflege ist seit wenigen Tagen geöffnet. Foto: factum/

Die Ditzinger Tagespflege ist neu und ein Angebot der Sozialstation So.Di, einem Tochterunternehmen der Stadt. Dessen Geschäftsführer Ulrich Bahmer führt einen plakativen Vergleich an, um eine Debatte über den Wert der Pflege gerade in der Region Stuttgart zu initiieren.

Ditzingen - Pflegekassen mit Milliardenüberschüssen, Überschüsse im Staatsetat, doch wenig Bereitschaft, in die Pflege zu investieren: Das ärgert den Chef der Ditzinger Tagespflege, den Bürgermeister Ulrich Bahmer. Ein Gespräch über Wertschätzung und Anwälte.

Herr Bahmer, ein Tag in der Tagespflege Ditzingen kostet Hundert Euro, die Kasse bezahlt nur einen Teil. Haben Sie schlecht verhandelt?

Nein. Für eine erste Runde ohne Erfahrungswerte für die Einrichtung einer Tagespflege sei das Verhandlungsergebnis, so berichten andere, sehr akzeptabel. Die Hundert Euro sind die kalkulierten Kosten für die Sozialstation So.Di, das Verhandlungsergebnis entspricht 95,5 Prozent der Kalkulation aller Leistungen.

Somit sind die Kosten für die Gäste durch die Versicherung weitgehend abgedeckt, aber eben nicht vollständig.

Die Verhandlungsführer der gesetzlichen Kassen und der Ersatzkassen haben uns sehr unterstützt, hatten aber ihre internen Vorgaben von höheren Ebenen. Man muss schon fragen, warum bei Milliardenüberschüssen sechs Verhandlungsrunden mit umfangreichen Zwischenberatungen erforderlich waren. Neben den einzuhaltenden Vorgaben dient das Angebot ja Menschen, die darauf angewiesen sind.

Sie benötigen für das Angebot nicht nur die Pflegekassen, sondern auch das Personal.

Für die acht Planstellen der Tagespflege und den notwendigen Fahrdienst hatten wir genügend Bewerbungen und konnten qualifizierte Personen neu beschäftigen. Die geregelte Arbeitszeit mit Öffnungszeiten von halb neun bis 17  Uhr, kein Spät- und Wochenenddienst und ein angenehmes Arbeitsumfeld, auch ohne größere körperliche Anstrengungen, scheinen offenbar Argumente zu sein, die in der klassischen ambulanten Pflege nicht anzuwenden sind. Deshalb stellt sich die Frage, die im Aufsichtsrat zu beraten ist, ob Nachfrage und Stellenmarkt eine weitere Tagespflege sinnhaft machen. Mit einer gewissen Erfahrungszeit kann dies eine Überlegung wert sein.

Wartelisten sind schwierig

Anders sieht es offenbar bei der So.Di aus.

Im Kernbereich der So.Di, der ambulanten Pflege, ist – branchenüblich – die Personalsituation im Fachkräftebereich sehr angespannt. Deshalb bin ich auch den So.Dianern, wie sich die Kolleginnen und Kollegen nennen und damit mit der So.Di identifizieren, sehr dankbar für ihren großartigen Einsatz, um die rund vier Stellen, die aktuell nicht besetzt werden können, so gut als möglich aufzufangen. Denn Kunden sind Bürger, und Pflegeeinsätze wegen Personalmangel absagen und eine Warteliste führen zu müssen, ist für ein hundertprozentig kommunales Unternehmen im Grunde nicht darstellbar.

Was tun Sie dagegen?

Trotz vieler Maßnahmen wie etwa Bereitstellung einer Wohnung, Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes mit Zusatzversorgung, lediglich an jedem dritten Wochenende Dienst, Fortbildungsangebote, betriebliches Gesundheitsmanagement und Prämien zur Mitarbeitergewinnung, gibt es offenbar zu wenige Pflegefachkräfte.

Sie könnten selbst ausbilden.

Der Aufsichtsrat hat zwölf Ausbildungsplätze bereitgestellt, und das Konzept erlaubt die Übernahme bei guten Leistungen. Allein, es sind noch zehn Ausbildungsplätze zur Altenpflege offen. Offenbar scheint dieser Beruf wenig attraktiv.

Ein „cooler“ Beruf?

Liegt es allgemein an der Bezahlung, oder was muss sich aus Ihrer Sicht ändern?

Für die So.Di gesprochen gilt wie erwähnt der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes mit den üblichen Nebenleistungen und der Sicherheit eines öffentlichen Unternehmens. Liest man Berichte, dass teilweise Mindestlöhne bezahlt werden, ist dies sicher Teil des Problems. Hört man die Fachkräfte, ist die Bezahlung aber nicht alles: Wertschätzung und Anerkennung, Arbeitsbedingungen und die Bereitschaft, dass Pflege allgemein etwas wert ist, kämen viel zu kurz.

Inwiefern?

Überlegen Sie nur, Sie müssten als Pflegesatz wie für einen Steuerberater oder Rechtsanwalt 200 bis 300 Euro und mehr die Stunde bezahlen. Was für einen Aufschrei gäbe das? Dort ist es selbstverständlich. In der Pflege sind Prozentbeträge im einstelligen Bereich davon schon problematisch und werden von Patienten oder Angehörigen hinterfragt, notwendige Leistungen gar abgelehnt. Weil die Kassen es nicht übernehmen oder man selbst nicht bereit ist, für das Nächstliegende, die eigene Gesundheit oder die der Eltern, einen Beitrag zu leisten. Gerade in der vermögenden Region Stuttgart und bei den Überschüssen der Kassen, aber auch des Bundes, ist das kaum zu begreifen. Ein gesellschaftlicher Ruck und eine Bewusstseinsbildung ist dringend erforderlich, dann sind die Ausbildung und der Beruf in der Pflege tatsächlich „cool“, wie es die Bundesfamilienministerin Franziska Giffey plakativ und hoffentlich mit substanziellen Folgen formulierte.

Ein städtisches Unternehmen

Doppelfunktion
Ulrich Bahmer (CDU) ist sowohl Bürgermeister der Stadt Ditzingen als auch Geschäftsführer des städtischen Tochterunternehmens So.Di (Sozialstation Ditzingen). Der 48-Jährige, seit 2001 in Ditzingen, hat die Umwandlung der lokalen Sozialstation in die städtische Tochter mitgestaltet.

Gesellschaft
Der Zuschuss der Stadt für die So.Di beläuft sich im laufenden Jahr auf 600 000 Euro. Das ist eine Viertelmillion Euro mehr als im Vorjahr. Gründe dafür sind die Tariferhöhung, ein Stellenausbau, die neue Tagespflege und die Aufstockung der Ausbildungsplätze von sieben auf zwölf.