Gerhard Mayer-Vorfelder - er war ein streitbarer Geist Foto: dpa

Fast 30 Jahre lang prägte er Sport und Politik. Am Montag starb Gerhard Mayer-Vorfelder im Alter von 82 Jahren. Unser Autor Gunter Barner beschreibt den VfB-Präsidenten und CDU-Politiker aus ganz persönlicher Sicht.

Stuttgart - „Sie sind also der neue Sportchef Ihrer Zeitung“, sagte er und schlug vor: „Dann müssen wir uns mal zusammensetzen.“ Das war im Herbst 1989, vor einem Heimspiel des VfB Stuttgart gegen St. Pauli. Wir haben in den Jahren danach noch unzählige Mal zusammengesessen.

Mal haben wir uns angeherrscht, mal die Friedenspfeife geraucht. Und manchmal waren die diplomatischen Beziehungen abgebrochen. Monatelang. Dann half ein Anruf bei Ulrich Schäfer, dem Geschäftsführer beim VfB. „Der Alte isch sauer. Ihr Kommentar war ja auch heftig. Ich guck mal, was ich machen kann“, seufzte er. Ein paar Tage später kam der Anruf aus dem Vorzimmer des Ministeriums. „Ihr Interviewtermin: Mittwoch, elf Uhr!“

"Einen rechten Scheiß zusammengeschrieben"

Dann knarzte MV erst, dass man wieder einen rechten Scheiß zusammengeschrieben habe, keine Ahnung habe und schwenkte langsam um auf die Linie, dass die Einschätzung ja nicht komplett daneben liege, aber manches halt schwer zu ändern sei. So haben wir manches Scharmützel ausgetragen, aber immer im gegenseitigen Respekt. Und immer mit der Achtung vor der Arbeit des anderen. Was nicht bedeutete, dass er seine Kritiker schonte. Bei den Mitgliederversammlungen im Cannstatter Kursaal prügelte er nur zu gern auf die Besserwisser aus den Sport-Redaktionen ein.

Und wenn die Stimmung zwischen Weizenbier und Wurstsalat so richtig am Kochen war, deutete er unter dem Gejohle der Fans vom Rednerpult hinunter in den Saal: „Und da vorn, da sitzen sie!“ Es war seine Form der verbalen Lynchjustiz, die er so sehr genoss wie einen Sieg gegen die Bayern. Noch Jahre nach seinem Rückzug beim VfB kam er mir im Stadion schlendernd entgegen: „Mensch, der Barner. Mein Lieblingsfeind!“

Wer sich diesen Status erst einmal erarbeitet hatte, musste das eine oder andere aushalten. Wie damals im Trainingslager im Allgäu. Als ich gegen sechs Uhr morgens auf dem Barhocker zusammensank, ebenso ermattet von bunten Getränken wie Anekdoten aus Fußball und Politik, begleitete er meinen Gang ins Bett mit Schmährufen wie: „Barner, Sie Weichei! Jetzt geht der doch tatsächlich schon ins Bett“. Und wies mich darauf hin, dass ich einen Sonnenaufgang wie diesen nie mehr erleben werde. Es war schon taghell. Und es schüttete aus Kübeln.

Weiter spielen bis zum Sieg

In ein Trainingslager am Bodensee reiste er aus den USA an. Den Jetlag bekämpfte er bei sengender Hitze mit einem Weizenbier. Danach mischte er beim Kick der VfB-Funktionäre gegen die Journalisten mit. Als sein Team nach Ablauf der regulären Spielzeit 1:2 hinten lag, befahl er: „Wir kicken weiter.“ Dann stand es 3:2 für den VfB. „Abpfiff!“, rief MV und bat mit feuerrotem Kopf aber hochzufrieden zur Pressekonferenz.

Meine Hochachtung erwarb er sich aber bei einem Frühstück für ein Interview während der Fußball-Europameisterschaft 1996 in England. Plötzlich stürmte sein Leibwächter in den Pub und brüllte: „Bomb exploded. You must leave immediately!“ MV blickte von seiner Tasse hoch und fragte: „Was hat der jetzt g’sagt?“ Die IRA hatte in einem Kaufhaus in Manchester eine Bombe gezündet. Höchste Alarmstufe. MV, Delegationsleiter des Deutschen-Fußball-Bunds (DFB), entschied ungerührt: „Wir trinken jetzt erst mal in Ruhe aus. Und ob wir dann gehen, ist auch noch nicht sicher.“

Einigermaßen verblüfft war ich auch, als meine Frau Wochen später mit dem Telefon im Garten stand. „Das Kultusministerium, Herr Mayer-Vorfelder.“ Er sagte, dass ich schnell kommen soll, weil man gerade dabei sei, den VfB an die Wand zu fahren. „Ich schicke meinen Fahrer.“ Um Himmels Willen. Ich fuhr selbst. Und MV setzte mir auseinander, dass er dabei sei, den Trainer Rolf Fringer zu entlassen. Er wollte jemand mit unverstellter Meinung dazu hören. Wir diskutierten bis tief in die Nacht. Fringer durfte bleiben. Wochen später ereilte ihn der Ruf als Nationaltrainer in der Schweiz. Kurz bevor ihn MV doch noch gefeuert hätte.

Keine vollen Aschenbecher

Zu Hintergrundgesprächen bat er mich gern ins Kabinettchen im Schlossgartenhotel. Weil er im Nebenzimmer ungestört rauchen konnte. Den Aschenbecher ließ er alle halbe Stunde vom Kellner leeren. Als ich ihn darob fragend anblickte, sagte er: „Wissen Sie, meine Margit will, dass ich nach meiner Herz-OP nicht mehr so viel rauche. Sie holt mich nachher ab. Da ist es besser, wenn sie nicht soviel Kippen sieht.“

In unserem letzten Gespräch stellte er mir eine Frage, die ich ihm leider nicht mehr beantworten konnte: „Warum habt ihr eigentlich immer geschrieben, dass ich gern Rotwein trinke?“ Ehrlich gesagt, keine Ahnung. Aber wo liegt das Problem? „Dass mir zum Geburtstag deshalb immer alle Rotwein schenken. Und mein Keller voll mit Trollinger ist“, sagte MV und lachte. Wir haben dann bestellt, was er zeitlebens am liebsten trank: ein Gläschen Champagner.

Zum Abschied sagte er: „Wissen Sie, ich bereue nichts. Denn ich habe am Leben immer teilgenommen.“