Roberto Mata bei der Kaffeeprobe – bevor der Geschmackstest kommt, wird der Duft des Kaffees bewertet. Foto: dpa

Es ist ein Paradies für Zeitarbeiter aus den ärmsten Ländern der Welt. Die Region Dota in Costa Rica. Dort zahlen Kaffeebauern Löhne weit über dem Durchschnitt. Einen großen Anteil daran haben Stuttgarter Kaffeetrinker.

Santa María - Edilio Agüero stützt sich auf einen Kaffeebaum und blickt der tiefstehenden Sonne entgegen. Der 72 Jahre alte Mann mit sonnengegerbter Haut und zerfledderter Schirmmütze arbeitet selbst nicht mehr. Ab und an schaut er nach dem Rechten. Er zupft hier und da etwas Moos von den Schatten spendenden Bäumen, greift in den Baum mit den feuerroten Kaffeekirschen, pflückt eine und nimmt sie und seinen Gast mit nach Hause.

Dort gibt es Kaffee, im Hof sonnengetrocknet und selbstgeröstet. Frischer geht nicht. Während seine Frau Kekse anrichtet, erzählt Agüero von der Ernte. 100 000 Colones hat er für 20 Körbe, also für 45 Kilo Rohkaffee bekommen. Das sind 200 Dollar, rund 183 Euro. Ein Top-Wert. Im Jahr zuvor waren es noch 80 000 Colones. Seinen Erntehelfern zahlt er zwei Dollar pro Korb (1,83 Euro). Einige von ihnen kommen aus Panama, manche aus Nicaragua. Was nach wenig klingt, ist für sie ein Traumlohn. Auf den Plantagen ihrer Heimat bekämen sie nur einen Bruchteil. Selbst in Costa Rica liegt diese Bezahlung weit über dem Mindestlohn. 40 Erntehelfer stellt Agüero Jahr für Jahr als Saisonarbeiter ein. Warum er ihnen solch ein Gehalt zahlt? „Weil ich es kann“, antwortet er.

Die Antwort auf die Frage, warum gerade die Menschen im fast 10 000 Kilometer entfernten Stuttgart dafür sorgen, dass Agüero diese Preise zahlen kann, ist in dem Nachbardörfchen Santa María de Dota zu finden. Dort unten in dem Tal inmitten der Kaffeeberge laufen die Fäden bei Roberto Mata zusammen. Der Mittfünfziger mit dem strengen Blick leitet die Kaffee-Kooperative Coopedota. Ein Zusammenschluss von rund 850 Kaffeebauern. Die Löhne sind dort streng geregelt. „Weil es uns wichtig ist, faire Preise auch an die schwächsten Glieder in der Kette zu zahlen“, sagt Mata. 1960 begann die Geschichte der Kooperative. Matas Vater gehörte damals zu den 96 Gründungsmitgliedern. Fünf Jahre später war er derjenige, der den ersten direkten Handelsvertrag mit einer ausländischen Rösterei unterzeichnete – mit Hochland aus Stuttgart.

Bei der Kaffeeprobe darf ordentlich geschlürft werden

Zuvor hatte es in Costa Rica ausschließlich anonymen Kaffeehandel über die Börse gegeben. Der Onkel der heutigen Firmenchefin Martina Hunzelmann, Jürgen Hunzelmann, war auf der Suche nach dem besten Kaffee in Santa María gelandet – einem Tipp eines Freundes folgend: dem finnischen Konsul im Land. Es sollte sich für beide Seiten auszahlen. Hunzelmann war so überzeugt vom Kaffee, dass er direkt 100 Säcke davon mitnahm. „Mein Onkel hat damals quasi den partnerschaftlichen Handel erfunden“, erzählt seine Nichte. Heute nimmt die Stuttgarter Manufaktur 25 Prozent der Gesamtproduktion ab. Auf der anderen Seite der Handelsbeziehung und des atlantischen Ozeans schwingt Roberto Mata seit 20 Jahren das Coopedota-Zepter. Nach seinem Studium in New York City übernahm er die Leitung der Kooperative.

Neben seinem Sprachtalent ist es vor allem seine Nase, die ihm bei seiner Arbeit nützt. Mehrmals am Tag steht er in einem Raum, der aussieht wie eine Mischung aus Museum und Kleingärtner-Vereinsheim. Auszeichnungen hängen an den Wänden, hier und dort stehen alte Kaffeemühlen. Dort schlürft Mata Kaffee von einem Löffel. „Die Aromen entfalten sich so viel besser.“

Wie bei einer Weinprobe testet er sich durch drei Becher frisch aufgegossenen Kaffees. Erst die Duftprobe, dann der Geschmack. Ein echter Kenner, erklärt Mata, schmeckt bis zu 800 unterschiedliche Aromen aus den ätherischen Ölen der Bohnen. Positiv wie negativ. Von Schokolade über Blumen bis zu nassem Pferd. Die drei Proben stehen für 1200 Säcke Kaffee, die fertig verpackt in die Vereinigten Staaten sollen. Der Kunde bekam eine Testlieferung, empfand sie für gut und erwartet nun exakt die gleiche Qualität.

Direktverträge mit Röstereien sind Gold wert für die Produzenten

Mata erzählt von der Situation der Kaffeebauern in Costa Rica. Insgesamt, rechnet er vor, gibt es im reichsten Land Mittelamerikas 17 Kooperativen. An den Preisen ändern Zusammenschlüsse allerdings nichts. Den Markt bestimmt die Börse. Direktverträge mit Röstereien sind deshalb Gold wert für die Produzenten. Der Export hat sich im Lauf der Jahre deutlich gesteigert. 3970 Säcke Kaffee waren es in den 1960er-Jahren. Heute verkauft die Coopedota 55 000 Säcke mit jeweils 46 Kilo Kaffee an 800 Kunden.

„Früher“, sagt Mata und deutet auf den weitläufigen Hof hinter den Kaffeesilos, „haben wir unseren Kaffee dort ausschließlich sonnengetrocknet.“ Heute wäre das allein wegen der großen Menge an Kaffee zu aufwendig. Mata öffnet die Tür zu einem mehrere Meter hohen Fabrikgebäude. Dort verbergen sich die neueren Geräte, die den Kaffee innerhalb von Stunden trocknen. 80 Festangestellte arbeiten zusätzlich zu den heute 850 Kaffeebauern in dem Konstrukt. „Das ist aber immer noch familiär“, sagt Mata.

Ähnlich familiär ist sein Verhältnis zur Lieblingskundin aus Stuttgart. Wenn er von Martina Hunzelmann erzählt, gerät er ins Schwärmen: „Martina ist eine sehr warmherzige Person“, sagt er, „eine Kaffeelady.“ Und Hunzelmann kann gar nicht genug davon bekommen, die Vorzüge Matas zu loben. Während sie in ihrem Büro in Stuttgart verträumt in ihre Kaffeetasse blickt, lächelt sie und sagt: „Roberto ist ein wirklich guter Freund und ich freue mich jedes Mal auf ihn.“ Bei seinem letzten Besuch in Stuttgart sei er sogar beim VfB im Stadion gewesen, schwärmt Mata und berichtet, wie er danach im Rathaus erklärt hat, was es mit partnerschaftlichem Handel auf sich hat. Der Begriff ist vor allem Martina Hunzelmann wichtig, denn „fairer Handel bedeutet, dass es immer einen schwächeren Partner gibt“, sagt sie. „Wir begegnen uns aber auf Augenhöhe.“

Der Weltmarkt des Kaffees geht schweren Zeiten entgegen

Inzwischen folgen weitere Kleinmanufakturen in Deutschland dem Stuttgarter Modell und handeln in direkten Verträgen mit Mata und seiner Kooperative. Kleinröstereien wie Elbgold aus Hamburg, Café del Ángel aus Essen und 24Grad aus Hannover. Deren Inhaber Jürgen Piechaczek hat im vergangenen Jahr 16 Säcke bestellt. Statt des derzeitigen Weltmarktpreises von 1,25 Dollar (1,14 Euro) pro Pfund, zahlt 24Grad 3,25 Dollar (2,97 Euro) an die Coopedota. Wie auch in Stuttgart zahlen seine Kunden den höheren Preis mit, „aber das ist eine Qualitätsfrage“, sagt Piechaczek.

Mata selbst weiß inzwischen nur zu gut, was er an seinen deutschen Partnern hat. Mit ihnen kann er reden, wenn die Marktpreise einmal so weit fallen, dass die Bauern nicht genügend Geld bekommen. „Sie unterstützen uns und zahlen genug, dass es reicht“, sagt Mata. Einmal sei es schlimm gewesen. „Damals hatten die Röstereien die Chance, einen Haufen Geld zu machen“, sagt Mata. Martina Hunzelmann entschied sich dagegen. Sie zahlte ihre gewohnten Preise weiter. 90 Cent (0,82 Euro) pro Pfund Kaffee hätte Mata an der Börse bekommen. Die Stuttgarterin zahlte 2,50 Dollar (2,29 Euro).

Derzeit geht der Weltmarkt des Kaffee wieder schwierigeren Zeiten entgegen. Vor einigen Monaten zahlten Händler umgerechnet 2,20 Dollar (2,01 Euro) pro Pfund Kaffee. Inzwischen sind es nur noch 1,35 (1,24 Euro). Es ist der ewige Kreislauf von Angebot und Nachfrage, der die Kaffeebauern genauso trifft, wie Bananenexporteure, Kakaobauern und Kleiderproduzenten. Doch Roberto Mata bereitet das keine schlaflosen Nächte. So lange sie in Stuttgart seinen Kaffee trinken, ist seine Kooperative nicht gefährdet.