Der Schein trügt: Im Deutschen Bundestag sind Frauen unterrepräsentiert: Im Parlament liegt der Frauenanteil bei unter 31 Prozent. Foto: dpa

In den Parlamenten sitzen zu wenig Frauen. Lässt sich eine gleiche Verteilung der Mandate durch staatliche Vorgaben erzwingen?Der Brandenburger Weg wirft viele Fragen auf. Wir versuchen einige zu beantworten.

Berlin - Das Gesetz für paritätische Wahllisten soll vor Gericht kommen.

Was wurde in Potsdam beschlossen?

In Brandenburg soll von 2020 an per Gesetz eine stärkere Vertretung von Frauen im Parlament gewährleistet werden. Brandenburg hat als erstes Bundesland ein Paritätsgesetz verabschiedet – dafür stimmten in Potsdam die Regierungsfraktionen von SPD und Linken zusammen mit den oppositionellen Grünen. Dagegen stimmten die CDU und die AfD. Nach dem Gesetz sollen künftig die Listen der zur Wahl antretenden Parteien abwechselnd von einem Mann und einer Frau besetzt werden. Ausgenommen davon sind die Direktmandate. Ziel des Gesetzes ist es, dass Frauen und Männer zu möglichst gleichen Anteilen im Parlament vertreten sind – und damit den Anteil an der Bevölkerung repräsentieren. Wenn eine Partei ihre Liste nicht paritätisch aufstellt, wird diese nicht zur Wahl zugelassen. Das Gesetz soll zum 30. Juni 2020 in Kraft treten. Ob es so kommt, ist allerdings offen. Wegen verfassungsrechtlicher Bedenken haben sowohl CDU als auch AfD angekündigt, gegen die Neuregelung zu klagen.

Ist das der Start einer Kettenreaktion?

Die rot-rot-grüne Koalition im Berliner Abgeordnetenhaus denkt über einen gleichen Antrag nach. Auf Bundesebene ist ein solches Vorhaben in dieser Wahlperiode nicht in Sicht. Es steht nicht im Koalitionsvertrag. Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) wäre dafür. Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD) hatte sich schon für ein Modell ausgesprochen, dass die Parteien dazu verpflichten würde, jeweils eine Frau und einen Mann als Direktkandidaten für einen Wahlkreis aufzustellen. Im Gegenzug sollten die Wahlkreise vergrößert werden, so dass die Zahl der Abgeordneten im Bundestag nicht steigen würde. In der Union aber ist das Vorhaben derzeit noch nicht mehrheitsfähig. Obwohl auch da etwas in Bewegung gerät. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat sich dafür ausgesprochen, „dass im Zusammenhang mit der Wahlrechtsreform die Frage der Frauenrepräsentanz entsprechend ihres Anteils an der Bevölkerung diskutiert wird“.

Wie sind die Reaktionen im Südwesten?

Ingeborg Gräßle, Chefin der Frauen-Union im Land, lobte den Vorstoß aus Brandenburg: „Er zeigt, dass man die systematischen Hemmnisse für Frauen im Wahlrecht abbauen kann.“ Die CDU-Europaabgeordnete hofft, dass im Stuttgarter Landtag wieder Bewegung in die Debatte über eine Wahlrechtsreform kommt. Die grün-schwarze Koalition in Stuttgart wollte ursprünglich das Landtagswahlrecht ändern, um mehr Frauen ins Parlament zu bringen. Die CDU-Fraktion sperrt sich jedoch dagegen. Momentan liegt die Frauenquote hier bei 24,5 Prozent. Die Grünen-Landesvorsitzende Sandra Detzer sagte, ihre Partei stünde nach wie vor zu der Wahlrechtsreform. „Wir wollen ein Zweistimmenwahlrecht mit Landesliste, wie es für die Wahl zum Bundestag längst etabliert ist. Wenn wir dabei die Paritätsvorgabe gleich mit beschließen könnten, wäre das ein Traum.“

Welche rechtlichen Bedenken gibt es?

In Artikel 3 des Grundgesetzes heißt es: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Der Staat fördert „die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“. Allerdings will der Gleichheitsgrundsatz die Chancengleichheit fördern, aber keine bestimmten Ergebnisse vorschreiben. „Fördermaßnahmen zur Gleichstellung sind etwas anderes als zwangsweise Regelungen“, sagt Ex-Verfassungsrichter Udo di Fabio. Zudem garantiert der Artikel 38 freie und gleiche Wahlen. Zur Wahlfreiheit gehört auch ein freies Wahlvorschlagsrecht. Ob ein Paritätsgesetz den Artikel 3 also zu offensiv auslegt, wird letztlich das Bundesverfassungsgericht klären müssen. Interessant ist dabei die sehr grundsätzliche Frage, ob Eingriffe an dieser Stelle überhaupt möglich sind, denn die Garantie freier und gleicher Wahlen gehört zum Demokratieprinzip, dieses ist unantastbar. Es unterliegt der „Ewigkeitsklausel“.

Wie hoch sind die Frauenanteile?

Im Brandenburger Landtag sind 36 Prozent der 88 Abgeordneten Frauen. Im Deutschen Bundestag liegt der Anteil derzeit bei unter 31 Prozent – so niedrig wie seit 20 Jahren nicht mehr. Der Grund dafür ist vor allem der deutlich niedrigere Frauenanteil bei den Fraktionen von AfD und FDP, die beide im vorigen Bundestag nicht vertreten waren. In kommunalen Parlamenten liegt der Frauenanteil bei knapp einem Viertel, unter Bürgermeistern und Landräten sind weniger als zehn Prozent weiblich. Nimmt man alle im Bundestag vertretenen Parteien zusammen, so liegt der Frauenanteil unter den Mitgliedern bei insgesamt lediglich 26 Prozent und Frauen sind damit im Verhältnis zur Bevölkerung deutlich unterrepräsentiert, obwohl ihr Anteil im Parlament kontinuierlich steigt. Am niedrigsten ist der Anteil in der AfD mit 16 Prozent. Bei der CDU stellen die Frauen ein Viertel der Mitglieder, bei der FDP rund 23 Prozent, bei den Sozialdemokraten gut ein Drittel. Linke und Grüne haben einen Frauenanteil von 37 beziehungsweise 39 Prozent.