Ausgelassene Stimmung auf der Wahlparty der Ludwigsburger Grünen im Café Grävenitz: Die Stimmenkönigin Christine Knoß bekommt eine Krone. Foto: factum/Weise

Stuttgarter Verhältnisse in Ludwigsburg: Die Grünen sind nicht nur mit 27,7 Prozent stärkste Partei in Ludwigsburg geworden. Auch die bürgerliche Mehrheit im Gemeinderat ist verloren gegangen.

Ludwigsburg - Es ist ein Paradigmenwechsel in der Ludwigsburger Stadtgeschichte: Die CDU ist erstmals seit Jahrzehnten nicht mehr stärkste Partei. Fast könnte man von Stuttgarter Verhältnissen sprechen: Die Grünen liegen mit mit 27,7 Prozent vorne, die CDU sinkt auf 19,1 Prozent ab. Politisch ebenso bedeutsam ist, dass das bürgerliche Lager seine Mehrheit gegen Grüne, SPD, Linke und die Umweltliste Lubu verloren hat.

Bislang dominierte im Ludwigsburger Stadtrat eine knappe Mehrheit von CDU, Freien Wählern, FDP und dem Einzelstadtrat Harald Lettrari, auf die sich der OB Werner Spec (Freie Wähler) lange Zeit gestützt hat, etwa in der Stadtbahndebatte. Doch der Siegeszug der Grünen kompensiert nun die Verluste der SPD, die auch in Ludwigsburg mit 14,8 Prozent auf ein historisches Tief absinkt. „Haben Sie eine Erklärung? Ich habe keine“, fragt die SPD-Fraktionsvorsitzende Margit Liepins am Montagabend. „Es ist ein riesiger Hype für die Grünen.“ Grüne, SPD, Linke und Lubu haben 20 Sitze, CDU, Freie Wähler und FDP 19.

Die CDU ist ziemlich ratlos

Ähnlich konsterniert ist Klaus Herrmann, der CDU-Chef. „Wir müssen als Union überlegen, wie wir junge Menschen wieder ansprechen können“, sagt er. Der Bundestrend sei ungünstig, doch man müsse sich auch fragen, was die CDU vor Ort anders machen könne. Vielleicht sogar auf die Grünen zugehen, um Mehrheiten zu finden? Da ist Herrmann skeptisch: „Die Grünen sind in Ludwigsburg sehr ideologisch.“ Derlei Kritik ficht die Ökopartei an diesem Wahlabend nicht an. Selbst der zurückhaltende Grünen-Fraktionschef Michael Vierling stößt um kurz nach 18 Uhr mit Sekt an, bei der Wahlparty der Grünen im Café Grävenitz ist die Stimmung euphorisch. Vierling bleibt sachlich. „Es gibt jetzt eine andere Gestaltungsmehrheit im Gemeinderat“, sagt er. Auch bei den drängenden Verkehrsthemen in der Stadt müssten nun die anderen auf die Grünen zugehen, sagt Vierling.

Liberale haben wieder Fraktionsstatus

Andere wie die Stimmenkönigin Christine Knoß können es immer noch nicht glauben. Als die Grünen in ihrem Wahlbezirk über 30 Prozent liegen, jubelt sie: „Das ist mein Stadtviertel!“ Vor allem in der Innenstadt ist die Partei dominant, in den Stadtteilen wie Neckarweihingen oder Poppenweiler halten CDU und Freie Wähler noch ihre Vormachtstellung.

Insgesamt holen die Freien Wähler ähnlich viele Stimmen wie vor fünf Jahren, glücklich sind sie trotzdem nicht. „Wir hätten uns mehr erhofft“, sagt der Fraktionschef Reinhardt Weiss und verweist auf eine „starke Liste mit bekannten Personen“. Anders die Stimmung bei der FDP, die mit 8,9 Prozent wieder Fraktionsstatus erlangt. „Wir sind sehr zufrieden“, sagt der Stadtrat Jochen Eisele.

Bislang spielten die Liberalen oft die Rolle des Züngleins an der Wage, stimmten auch Mal mit den Grünen und der SPD. „Diese sachorientierte Arbeit hat sich ausgezahlt“, sagt der FDP-Rat Johann Heer. So gewinnt die FDP entgegen dem Bundestrend, kann aber die dramatischen Verluste der Union nicht ausgleichen.

Linke, Lubu und das Bündnis Vielfalt erringen Sitze

Interessant ist auch das Abschneiden der kleineren Gruppierungen. Die Linken waren vor fünf Jahren mit zwei Stadträten vertreten, die aber die Partei verließen, der Splitterpartei Ökolinx beitraten und danach scharf gegen ihre ehemalige Partei schossen. „Gott sei Dank ist dieses Desaster mit Oliver Kube vorbei“, sagt Hans-Jürgen Kemmerle aus dem Kreisvorstand der Linken. Mit 5,3 Prozent ziehen nun zwei neue linke Kandidaten in den Gemeinderat ein. Auch die Liste Lubu von Elga Burkhardt, die der Umweltbewegung nahe steht, wird mit 2,5 Prozent wieder vertreten sein. Burkhardt sitzt seit bald 40 Jahren im Stadtrat und komplettiert die ökosoziale Mehrheit. Da sie aber durchaus eigenwillig ist, ist diese Mehrheit kein monolithischer Block.

Die entscheidende Stimme könnte von der neu eingezogenen Gruppierung kommen, dem „Bündnis der Vielfalt“. Hier sind Kandidaten aus 13 Nationen angetreten: Ludwigsburger mit Migrationshintergrund, die für Toleranz werben. „Wir wollten eine höhere Wahlbeteiligung erreichen und neue Zielgruppen ansprechen“, sagt Osman Taskin. Mit 3,3 Prozent erringen die Gruppierung einen Sitz und bringt eine neue Farbe ins Gremium.

Christine Knoß wird Stimmenkönigin

Bis zum Abend bleibt spannend, welche Personen im neuen Ludwigsburger Gemeinderat sitzen werden. Bei der CDU erhalten der Fraktionschef Klaus Herrmann und der Apotheker Claus-Dieter Meyer mehr als 15 000 Stimmen, gefolgt von Wilfried Link, Gabriele Seyfang und dem Stadtverbandschef Maik Stefan Braumann. Stimmenkönigin mit 19 612 Kreuzen ist Christine Knoß für die Grünen, gefolgt von der Spitzenkandidatin Arezoo Shoaleh, dem Fraktionschef Michael Vierling und Laura Wiedmann.

Den gebeutelten Sozialdemokraten kann der frühere Basketball-Nationalspieler Hubertus von Stackelberg fast 15 000 Stimmen einbringen, es folgen die Fraktionschefin Margit Liepins und Daniel O’Sullivan. Die Freien Wähler glänzen mit dem Bäckermeister Florian Lutz (15 796 Stimmen) und Fraktionschef Reinhardt Weiss, bei der FDP dürfte neben Eisele und Heer die Ex-Bundestagskandidatin Stefanie Knecht ein Mandat erringen. Bei der Linken liegt die Krankenhaus-Betriebsrätin Nadja Schmid vorn.