Eine verzweifelte Infizierte (Emily Kusche) wird abtransportiert. Foto: ZDF/Stefan Erhard

Die Serie „„Sløborn“ auf ZDF Neo lässt eine tödliche neue Krankheit auf eine Nordsee-Insel los. Sie entstand lange vor Corona.

Stuttgart - Falls da wirklich ein gefährliches neues Virus in der Welt unterwegs sei, meint eine der Figuren in der neuen ZDF-Neo-Serie „Sløborn“, sei es doch ganz gut, auf einer Insel zu leben. Das ist nur halb richtig. Solange das Virus draußen herumschwirrt und die Insulaner schön abgekapselt unter sich bleiben, ist ein Fleckchen Welt wie die fiktive Insel Sløborn tatsächlich eine Schutzzone. Wenn es allerdings zur Infektion auf der Insel kommt, wird so eine abschottbare kleine Gemeinschaft eine Isolierstation mit hohem Innendruck. „Sløborn“ erzählt von der zweiten, der dynamischen Variante der Ereignisse.

Als dieser Achtteiler unter Federführung von Regisseur und Co-Autor Christian Alvart entwickelt wurde, mochten sich viele hierzulande so etwas wie die jetzige Corona-Pandemie nicht vorstellen. Zwar hatte es ein paar mal schon Virenalarme gegeben, aber irgendwie traf es dann doch immer nur andere Länder hart. Glückliches Europa, noch glücklicheres Deutschland.

Virus vom Gespensterschiff

Einer Gemeinschaft, die so oft und gründlich ihre Autos wäscht wie die hiesige, so das Bauchgefühl, kann ein dreckiges kleines Virus nichts anhaben: Das wird einfach weggeschrubbt. Das Team um Alvart aber denkt ein bisschen weiter. Die von September bis November 2019 unter anderem auf Norderney und im polnischen Badeort Sopot gedrehte Serie untersucht, wie eine Gemeinschaft unter Druck reagiert, wenn einerseits der Mitmensch zum Gefährder wird und andererseits die persönlichen Freiheiten stark eingeschränkt werden. Taubengrippe heißt die Infektionskrankheit hier, die auf die Nordseeinsel Sløborn kommt, als das Segelboot zweier Virenopfer auf Grund läuft und ein paar einheimische Jugendliche das Gespensterschiff erkunden. Die Taubengrippe verläuft aggressiver als Corona, sie führt viel häufiger zum Tode.

„Sløborn“ ist eine Prestigeproduktion, die gezielt darauf ausgerichtet ist, international verkauft zu werden. So etwas geht gerade in Deutschland oft schief. Das Personal wirkt bei solchen Projekten oft wie durch viele Zwischenlagen hindurch schlecht aus US-Serien abgepaust und alle Drehbuchhandlungen bekommen etwas Formelhaftes. „Sløborn“ aber ist in Figurenentwurf, Handlungsentwicklung und Atmosphäre angenehm anders.

Bundeswehr mit Schießbefehl

Obwohl deutlich darauf geachtet wird, dass jüngere und mittelalte Zielgruppen sich gut identifizieren können (ausgerechnet an die Alten als Hochrisikogruppe hat man weniger gedacht), haben die Konflikte, Beziehungen, Schrullen, Projekte und die Sprache der Insulaner mehr Lebendiges als Kalkuliertes. Trotzdem gibt es spielerische Elemente, Verknüpfungen mit anderen Fiktionen – etwa einen ulkigen Anklang an Stephen Kings „Misery“: Die örtliche Buchhändlerin sperrt einen Starautor mit Schreibkrise in ihrem Gästezimmer weg.

Bis das Virus ausbricht, vergeht viel Zeit, fast vergisst man, dass dies eine Katastrophenserie werden soll. Dafür wütet aber, als Sløborn zum gefährlichen Brennpunkt wird, nicht nur die Krankheit, sondern auch die Staatsmacht: Bundeswehrsoldaten mit Schießbefehl sind im Einsatz. Christian Alvart, erinnert man sich dann, hat die umstrittenen „Tatort“-Folgen mit Til Schweiger und die Netflix-Serie „Dogs of Berlin“ gedreht. Das macht die letzten drei „Sløborn“-Folgen unterhaltsam actionreich, man kann sie aber nicht als bloßen Amüsierkrawall abtun. Eher sollte man sich fragen: Wie würde oder müsste die Gesellschaft reagieren, sollte ein viel tödlicheres Virus als Corona drohen, sich auszubreiten?

ZDF Neo,
mit Emily Kusche und Wotan Wilke Möhring, in der ZDF-Mediathek abrufbar.