Das Rehkitz ist stubenrein, schläft neben den Hunden im Schlafzimmer und kuschelt auch mal. Foto: dpa

Ein stubenreines Rehkitz wächst in Südhessen zusammen mit zwei Hunden bei einem Paar auf. Die beiden Tierfreunde haben das fast verhungerte Wild aufgepäppelt. Tierschutzbeauftragte und Biologen sehen Gefahren.

Groß-Zimmern - Wenn Anja Pahlen und Peter Göbel mit ihren beiden Hunden einkaufen gehen, macht Bambi Piepsgeräusche. „Er will dann mit“, ist die Altenpflegerin überzeugt. Das Reh ist bei dem Paar im südhessischen Groß-Zimmern aufgewachsen. Die 50-Jährige entdeckte das fast verhungerte Kitz im vergangenen Sommer bei einem Spaziergang mit ihren Hunden an dem kleinen Fluss Gersprenz. Seitdem lebt das Wildtier mit in der Familie. Es ist stubenrein, schläft neben den Hunden im Schlafzimmer und kuschelt auch mal mit Pahlen und Göbel auf dem Sofa oder Bett. Die Tierschutzbeauftragte des Landes Hessen, Madeleine Martin, und ein Wildbiologe warnen jedoch vor Gefahren.

Kitz im Flussbett gefunden

Pahlen erinnert sich noch gut an den Juliabend, als sie das wohl erst wenige Tage alte Kitz in dem ausgetrockneten und verschlammten Flussbett entdeckte. Sie habe ein Piepsen gehört und zunächst an einen verletzten Vogel gedacht, aber nicht in die Natur eingreifen wollen. Als die Piepsgeräusche nicht aufhörten und sogar lauter wurden, ließ sie ihre Hunde Tequilla und Zola von der Leine. „Sie sollten mir suchen helfen.“

Als sie den Kopf des kleinen Rehs aus dem Schlamm hervorschauen sah, wusste sie zunächst nicht, was sie tun sollte, erzählt Pahlen. Sie wollte das Kitz auf keinen Fall anfassen, hatte aber schnell den Eindruck, dass es verlassen sein musste, weil es so elend aussah. „Es war nur noch Knochen.“ Die tierliebe Frau packte das Kitz vorsichtig in ihre Jacke und brachte es „mit Tränen in den Augen“ zum Auto.

Bambi blüht auf

„Alle hatten es schon aufgegeben“, beschreibt Pahlen ihre anschließende Suche nach Hilfe bei Jägern und Tierauffangstationen. Man riet ihr, das schwache kleine Reh von einem Jäger „erlösen zu lassen“. „Ich konnte es aber nicht übers Herz bringen.“ Gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten, einem Forstwirt, entschied sie sich, den Bock groß zu ziehen. Mit Ziegenmilch in einer Spritze päppelten sie Bambi langsam auf. Die ersten eineinhalb Wochen sei das Kitz gar nicht aus seiner Hundebox herausgekommen, weil es vor Schwäche nicht laufen konnte. „Wir haben es zum Füttern auf unseren Schoß gesetzt.“

Ein gutes halbes Jahr später scheint sich Bambi bei Pahlen und Göbel zu Hause zu fühlen. „Es ist himmlisch!“, schwärmt Pahlen. Das Reh suche die Nähe zu ihnen und lasse sich auch gerne mal vom Postboten streicheln. Bei gemeinsamen Ausflügen in den Wald und auf Wiesen schauten sie immer, ob sich das Wildtier nicht abwende. „Aber er piept und sucht nach uns.“ Pahlen weiß aber auch, dass sich das ändern kann, vor allem wenn der Bock - voraussichtlich im März - geschlechtsreif wird.

Geschlechtsreife Rehböcke können aggressiv werden

Die Gefahr, dass geschlechtsreife Rehböcke aggressiv werden und Menschen angreifen, sei groß, warnt Hessens Tierschutzbeauftragte Martin. Tierarzt Dominik Fischer vom Arbeitskreis Wildbiologie der Uni Gießen erklärt das so: Die Rehböcke hielten die ihnen vertrauten Menschen für Artgenossen und zögen sie für Rangkämpfe heran. „Das kann gesundheitsgefährlich sein“, warnt er.

Bambi müsse möglichst bald ausgewildert werden, sagt Fischer. Am besten sei zunächst eine kleine Gruppe - etwa mit zwei Ricken (Weibchen). Dabei könnten Auffangstationen für Wildtiere wie etwa im niedersächsischen Sachsenhagen helfen. „Die Handaufzucht bei Rehen ist generell problematisch“, betont er. Auch wenn es verdienstvoll sei, wenn sich Menschen wie Pahlen um Tiere kümmerten, sei es wichtig, Rehe möglichst früh einer Auffangstation zu übergeben.

Das Paar aus Groß-Zimmern sieht sich bereits nach einem Tierpark um. Das könnte schwierig werden, mahnt Martin. Es gebe Tierparks, die ausdrücklich solche Böcke nicht nähmen. Pahlen hofft, dass sie etwas geeignetes finden und sich Bambi dort wohlfühlen wird.